Unter den vielen herrlichen Gaben, welche die Christliche Wissenschaft uns bringt, ist wohl die köstlichste das Verständnis der göttlichen Liebe; denn sie ist Basis und Demonstration der Christlichen Wissenschaft zugleich. Wie mangelhaft ist doch das, was der sterbliche Sinn im allgemeinen unter Liebe versteht! Betrachten wir nur zunächst die Zuneigung einer Person zu einer andern. Sie fordert für das, was sie gibt, ein Gleiches zurück, möchte Zeit und Gedanken ihres Gegenstandes beschäftigen und ihn am liebsten ausschließlich besitzen. Solches Lieben trägt schon von vornherein den Stempel der Selbstsucht, da es im Grunde nur sein Eignes sucht, oft auf Kosten der persönlichen Freiheit des sogenannten geliebten Menschen.
Sogar die als Inbegriff des Höchsten geltende Liebe, die der Mutter zum Kinde, obschon sie der größten menschlichen Hingabe und Opfer fähig ist, reicht bei weitem nicht an das Ideal göttlicher, wirklicher Liebe heran. Sucht sie doch im Kinde meist ihr eignes Ebenbild und betrachtet es als ihr angehörig. Dadurch trennt sie es in ihrem Denken von Gott und glaubt sich allein verantwortlich für sein Wohlergehen und Gedeihen. Die Unzulänglichkeit des menschlichen Könnens aber erfüllt sie dann mit Sorge, die sie auf ihr Kind überträgt, in dem Wahn, damit das Rechte zu tun. Und solches Sorgen, welches in vielen Fällen das Kind durch seine Jugendjahre, oft sogar bis ins reife Alter begleitet, belastet es weit mehr, als es das Kind segnet. So wird das, was höchste Liebe heißt und sich zu diesem Namen vollberechtigt glaubt, oft zu schwerem Hemmnis, wenn nicht gar zu dauerndem Fluche. Die traurigsten Ereignisse des irdischen Lebens finden ihren Ursprung in den Irrwegen der sterblichen Menschenliebe in ihren verschiedenen Formen.
Da scheint wie ein Licht aus Himmelshöhen die Christliche Wissenschaft in dieses Chaos menschlichen Liebens hinein. Berichtigend und erlösend zugleich verkündigt sie uns aufs neue das alte Evangelium der Liebe, die ihren Ursprung allein in Gott hat und daher ewig ist. Wie trinkt unsre Seele die neue Kunde ein! Wie gerne möchten wir sie erfassen! Aber unsre sterblichen Sinne sind dessen nicht fähig, eine völlige Umwandlung unsres Denkens muß der höheren Erkenntnis vorausgehen.
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