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Der Same und der Boden

Aus der Juni 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ein pflichtgetreuer und tüchtiger Praktiker stellte einst im wesentlichen folgende Frage: Wie kommt es, daß in manchen Fällen, wo durch die Christliche Wissenschaft im Zustand eines Menschen eine bedeutende Besserung eingetreten ist und alle seine Freunde und Bekannten darüber staunen, der Betreffende hernach zu vergessen scheint, wie sehr er gefördert worden ist? Sein Eifer läßt vielleicht gänzlich nach, und er wendet sich weltlichen Dingen zu, so daß der Praktiker mit seiner Arbeit wieder von neuem anfangen muß. Die Antwort auf diese Frage setzt gewissermaßen eine Kenntnis landwirtschaftlicher Dinge voraus und erfolgt wohl am besten an der Hand des Gleichnisses vom Säemann.

Die ältere theologische Lehre bezog das Gleichnis vom Weizen und Unkraut auf Personen. Eine gewisse Anzahl von Menschen, die sich zu einem bestimmten Glauben bekannten, waren der Weizen, der eingeheimst werden sollte, und die Andersgläubigen, die diese Lehre nicht kannten, oder die Ungläubigen, die sie verwarfen, waren das Unkraut, dessen das Feuer wartete. Und doch war in dem Gleichnis nur von einem Felde die Rede und von gutem Samen, der an sonnigen Tagen auf dieses Feld gesät wurde; und sodann von einer finsteren Tat, indem während der Nacht der Feind heranschlich und mit teuflischer Arglist den bösen Samen auf den Acker streute. Es ist klar, daß das Bild auf das unbewachte menschliche Bewußtsein Bezug hat, und wir sehen, wie das dem Menschen stets feindliche Element dem Gemüt Gedanken und Vernunftgründe einflüstert, die der Herrschaft des Himmelreichs entgegenwirken. Auf Seite 72 des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, sagt Mrs. Eddy: „Die sterbliche Annahme (der materielle Sinn des Lebens) und die unsterbliche Wahrheit (der geistige Sinn) sind das Unkraut und der Weizen, die durch den Fortschritt nicht vereinigt, sondern getrennt werden.”

Ebenso verkehrt ist das schöne Gleichnis vom Säemann verstanden worden. Man hat es so ausgelegt, als ob es auf Personen Bezug hätte, und so manche Predigt hat dem Zweck gedient, die Menschheit in Klassen einzuteilen, von denen drei der Vernichtung preisgegeben sind und nur eine die ewige Seligkeit ererbt. Selbst die Jünger, zu denen der Meister das Gleichnis sprach, verstanden es nicht; daher seine Worte: „Verstehet ihr dies Gleichnis nicht, wie wollt ihr denn die andern alle verstehen?”

Dem gewissenhaften Praktiker, der eine Reihe von Jahren in Liebe an der Menschheit gewirkt hat, ist es klar geworden, was Christus Jesus seinen Jüngern beibringen wollte, als er sagte: „Euch ist’s gegeben, das Geheimnis des Reichs Gottes zu wissen, denen aber draußen widerfähret es alles durch Gleichnisse.” Und zwar lernt er hinsichtlich der menschlichen Erfahrung folgendes: Die ersten Worte über die Christliche Wissenschaft werden gewöhnlich nur halb vernommen. Es ist genau so wie bei den Samenkörnlein, die auf den hartgetretenen Pfad fallen, auf den Pfad, der im Morgenlande statt eines Zaunes die Grenze bildete zwischen Feldern und Landgütern. Kaum ist der Säemann schwingenden Schrittes vorbeigegangen, da schwirren die Vögel herbei und heimsen ein. So verschwindet das erste Wort aus dem Sinn, als ob die Vögel der Luft es aufgefressen hätten.

Dann kommt eine Zeit, wo das Wort wieder gehört wird, und der Hörende sagt: „Das ist etwas Neues, damit will ich mich befassen!” Mit Begeisterung wendet er sich der neuen Sache zu und betätigt sich anscheinend eifrig und mit vielem Reden. Das Gleichnis beschreibt den Vorgang mit den Worten: „Und ging bald auf, darum daß es nicht tiefe Erde hatte. Da nun die Sonne aufging, verwelkte es, und dieweil es nicht Wurzel hatte, verdorrte es.” So geht es dem Sucher, der noch keine Wurzel hat, „sondern er ist wetterwendisch; wenn sich Trübsal und Verfolgung erhebt um des Worts willen, so ärgert er sich bald.”

Dann kommt das Wort wohl noch einmal, und der Betreffende hat die Absicht, es zu hören und aufzunehmen. Vielleicht erfährt er den Segen der Heilung, nimmt ihn aber bloß hin als eine der Annehmlichkeiten des Lebens. Er bestimmt der Christlichen Wissenschaft einen Platz in seinem Lebensplan, etwa wie man in einem Garten, wo überall Unkraut wächst, für eine neue Pflanze Raum macht. Von diesem Samen heißt es im Gleichnis: „Etliches fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsen auf und erstickten’s.” Dies ist die Erfahrung eines jeden von uns, der die Christliche Wissenschaft als ein Heilmittel annimmt und es dann mit früheren Annahmen zu verbinden sucht, die wie die Disteln und Dornen der Erde sind. Jesus schildert dies sehr anschaulich mit den Worten: „Und die Sorgen dieser Welt und der betrügliche Reichtum und viel andre Lüste gehen hinein und ersticken das Wort, und bleibet ohne Frucht.”

Schließlich wird aber die ganze Menschheit das gute Teil erwählen. Der Entschuldigungen und Ausreden überdrüssig, von weltlicher Weisheit und Philosophie enttäuscht, aus dem Wahn gerissen, in dem sie sich durch die hohen Verheißungen der Reiche dieser Welt befanden, die aber nie in Erfüllung gingen, sehnen sich die Menschen nach der wahren Religion, nach dem Wort der Wahrheit. Es fällt auf guten Boden, wird gläubig und in redlicher Absicht aufgenommen. Man denke an die feste Zuversicht der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, mit welcher sie sagen konnte: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Christliche Wissenschaft dazu bestimmt ist, die alleinige Religion und Heilmethode auf unserm Planeten zu werden” (Miscellany, S. 266). Sie sah also, daß der gute Same den guten Boden im menschlichen Bewußtsein sicher finden würde. In unserm Gleichnis heißt es: „Das aber auf dem guten Land sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.”

Bei seinem großen Werk der Bekräftigung des Wortes der Wahrheit schöpft der Praktiker zunächst Ermutigung aus dem Verständnis von der Bedeutung und Kraft des Wortes. Ermutigung entströmt dem ganzen 55. Kapitel des Propheten Jesaja, besonders da, wo von dem Regen die Rede ist, der zu seiner Zeit die Erde feuchtet, wodurch die Knospe und Blüte erscheint, und der „Samen” gibt „zu säen, und Brot, zu essen,” und wo es heißt: „Also soll das Wort, so aus meinem Munde gehet, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, das mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich’s sende.”

Wohl mag so mancher Arbeiter an Hunderte von Fällen denken, wo das Wort Gottes scheinbar vergeblich gesprochen wurde. Doch kann er Trost schöpfen aus der Erklärung Jesu: „Wenn jemand das Wort von dem Reich höret und nicht verstehet, so kommt der Arge und reißet hinweg, was da gesäet ist in sein Herz.” Da die Arbeit des Praktikers darin besteht, täglich die Nichtsheit und Falschheit des Anspruchs des Bösen zu beweisen, so weiß er, daß es nur eine Frage der Zeit ist und die nötige Arbeit und Erfahrung fordert, bis sich das hörende Ohr und das empfängliche Herz einfinden. Keine besondere Erbsünde, kein vorherbestimmtes Schicksal hält die Menschen vom Hören ab, sondern nur der zeitweilige Einfluß des animalischen Magnetismus, der keine wahre Intelligenz oder Macht hat und der sicher zergehen wird, wie der Nebel vor der Morgensonne. Überdies beweist jede gute Arbeit, daß die Vorstellung, als habe das Übel Macht, irrig ist. Und durch immer zahlreicher werdende Heilungen gelangt die Menschheit zu der Überzeugung, daß das Gute die alleinige Macht ist.

Der Arbeiter braucht nicht entmutigt zu sein über den scheinbaren Rückfall bei einem Menschen, der anfangs das Wort mit Freuden aufnahm, denn dieser Hörer mag noch auf der Stufe stehen, wo er alles Neue, ungeachtet seines wahren Wertes, als eine Liebhaberei oder Modesache aufnimmt. Er erfaßt die Wahrheit auf intellektuellem Wege, nimmt sie an, wie er einst ein Glaubensbekenntnis annahm, hat aber noch keine klare Auffassung von ihr. Wenn Schwierigkeiten eintreten, schwindet seine Begeisterung, und seine Freude scheint zu welken. Man muß gläubig und geduldig harren und hoffnungsvoll der Zeit entgegensehen, da die Erlösung bewirkt sein wird. Vielleicht kehrt dieser selbe Enthusiast später wieder und sucht Heilung zu erlangen, indem er jetzt die unbegrenzten Möglichkeiten in der Christlichen Wissenschaft besser erkennt als früher. Durch die Heilung eröffnet sich ihm ein neuer Ausblick auf Frieden und Harmonie. Und doch kann man in manchen Fällen beobachten, daß alte Anschauungen zurückbleiben und daß der Segen der Heilung mit einem eigensüchtigen Gefühl aufgenommen wird, als ob er den Vorstellungen und Wünschen entgegengesetzter Art hinzugefügt werden könne. Wenn ein Mensch, der die Bibel liebgewonnen hat, dieses Buch in seiner Handtasche zusammen mit einer Schnapsflasche, einer Schachtel Zigarren und einem Medizinkästchen mit auf die Reise nähme, in dem Glauben, von all diesen einen Segen erwarten zu dürfen, so würde er ähnlich handeln wie die, welche die Wohltaten der Christlichen Wissenschaft behalten zu können glauben, aber aus Unkenntnis des wahren Wesens dieser Lehre in der alten Selbstgerechtigkeit verbleiben, sich vom Eigenwillen statt vom Prinzip leiten lassen, oder, wie die, die immerfort Platz machen für „Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens” und die daher „ersticken und bringen keine Frucht.”

Haben wir nicht alle gehört, ohne auf das Gehörte zu achten? Haben wir uns der Christlichen Wissenschaft gegenüber nicht vielleicht so Verhalten, als sei sie ein religiöser Brauch? Haben wir nicht gesucht, uns ihren Segen zunutze zu machen und gleichsam ein altes Kleidungsstück mit neuem Tuch zu flicken? Haben wir aber nicht schließlich zu unsrer tiefen Befriedigung gefunden, daß das Wort der Wahrheit wahre Erlösung bedeutet, uns von dem Einfluß des Bösen befreit, unsern herablassenden Stolz beseitigt, uns von der Täuschung der Materialität erlöst? So wird es der ganzen Menschheit ergehen. Der gute Same wird auf guten Boden fallen und Frucht bringen, „etlicher dreißigfältig und etlicher sechzigfältig und etlicher hundertfältig.”


Am Ende ist’s doch gar nicht schwer,
Ein sel’ger Mensch zu sein;
Man gibt sich ganz dem Herren her
Und lebt für ihn allein.

Man ist nicht Herr; man ist nicht Knecht;
Man ist ein fröhlich Kind
Und wird stets sel’ger, wie man recht
Den Herren lieb gewinnt.

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