Die Erkenntnis verbreitet sich immer mehr, daß wir in einer Welt der Gedanken leben. Alles um uns her, alles was wir gebrauchen, alles was wir essen, alles was wir antun, alles was wir kaufen und verkaufen, das Haus, in dem wir wohnen, die Kirche, die wir besuchen — alle diese Dinge sind das Ergebnis des Denkens, ja vom christlich-wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet bestehen sie letzten Endes als Gedanken. Jede Bewegung des menschlichen Körpers, jede Tätigkeit innerhalb eines Staates, jedes Handels- oder Industrieunternehmen hat seinen Ursprung im Denken und wird vom Denken regiert. Das Denken ist die Quelle und die Wesenheit aller Dinge.
Da nun alle menschlichen Tätigkeiten und Mittel das Produkt des menschlichen Geistes oder Gemüts sind, müssen sie dessen Wesen teilen. Sie besitzen daher auch die Beschränkungen und Eigenheiten des Geistes, der ihre Ursache oder Veranlassung ist. Aus diesem Grunde sind die sogenannten materiellen Zustände stets der Veränderung, der Unbeständigkeit, der Umkehrung, der Störung, der Disharmonie, der Umwälzung, dem Kampf und Streit unterworfen. Vor mehr als vierzig Jahren schrieb Mrs. Eddy: „Schon heute wird diese materielle Welt zum Kampfplatz widerstreitender Gewalten. Auf der einen Seite wird Disharmonie und Schrecken sein, auf der andern Wissenschaft und Friede” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 96).
Da diese Welt eine Gedankenwelt ist, so ist es klar, daß die Sterblichen in hohem Maße von dem Gedankenzustand regiert werden, der gerade vorherrscht. Die gegenwärtigen Zustände sind solcher Art, daß man leicht von „Disharmonie und Schrecken” angesteckt und beherrscht wird, es sei denn, man habe ein genügendes Verständnis vom Prinzip, um sich den Frieden zu wahren. Die mentale Atmosphäre ist in dieser Zeit mit Kriegsgedanken erfüllt, und die Welt schaut mit Entsetzen auf den schrecklichsten Kampf, den die Menschheit je gesehen hat. Millionen von Sterblichen beschäftigen sich Tag und Nacht mit der Herstellung von Zerstörungsmitteln, während andre Millionen sie anwenden. Der menschliche Scharfsinn und die menschlichen Hilfsquellen werden bis aufs äußerste ausgenützt, damit eine Gruppe von Nationen über eine andre den Sieg erringen möge.
Aber damit ist noch nicht alles gesagt. Ehe noch der Krieg zu Ende ist, lassen sich über dem mentalen Horizont Anzeichen erblicken, daß sich das Ringen nach Friedensschluß in der Gestalt eines Kampfes um die Oberherrschaft im Welthandel fortsetzen wird. Und außerdem drohen uns bittere Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit, von politischen Störungen und Umwälzungen gar nicht zu reden. Man braucht nur Woche für Woche die Zusammenstellungen von Auszügen aus den Leitartikeln über die Tagesereignisse zu lesen, um zu sehen, daß jedes Tagesereignis einen „Wortkrieg” veranlaßt.
Da diese Zustände in der menschlichen Vorstellung bestehen, so braucht man sich nicht zu wundern, wenn Menschen zuweilen anscheinend ohne allen Grund reizbar, widerspruchsvoll, zänkisch, ja sogar zornig und gehässig sind. Ist es nicht begreiflich, daß sie sich zu andern Zeiten unglücklich, niedergedrückt und mutlos fühlen? Warum erstaunt sein, wenn solches Denken als unharmonische Zustände im Heim, im Geschäft oder in der Kirche zum Ausdruck kommt? Haben wir es hier nicht vielleicht mit der Ursache dieser oder jener Krankheit zu tun, für die wir keine Erklärung finden konnten?
Wie wir gesehen haben, kann kein sogenannter materieller Zustand ohne mentale Ursache bestehen, und es liegt auf der Hand, daß Zustände sozialer, politischer und wirtschaftlicher Unruhe im Denken ihren Ursprung haben müssen. Scheint also der Körper krank, das Heim zerrüttet, die Kirche unharmonisch, das Geschäft gestört, so tun wir als Metaphysiker wohl, unsre Aufmerksamkeit dem allgemeinen Glauben an Krieg als der möglichen Ursache dieser Zustände zuzuwenden. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns. wie man nach der mentalen Ursache der Disharmonie forschen muß und sie finden kann; wie diese Ursache aufgedeckt, analysiert und dann durch richtiges Denken vernichtet werden muß, d. h. dadurch, daß man die falschen Annahmen durch richtige Ideen ersetzt.
Der herrschende Glaube an Krieg scheint also die Ursache vieler heutiger Leiden zu sein. Wie sollen wir nun diese Ursache analysieren? Was ist ihr Wesen? Was ist ihre Grundlage? Krieg beruht auf der Annahme, daß es unzählige Gemüter gibt. Dieser Glaube an viele Gemüter führt zu widerstrebenden Ansichten, zu Mißverständnissen, Hader, Streit, Zerstörung, Verwüstung und Mangel.
Die Wahrheit, die diesen falschen Glauben und seine schrecklichen Folgen berichtigt oder zerstört, lautet, daß es nur ein Gemüt gibt; denn in dem einen unsterblichen Gemüt kann es keinen Krieg, keine Disharmonie, keinen Tod geben. Das eine allmächtige Gemüt ist Gott, und Gott ist unendlich gut, unendlich liebevoll, unendlich gerecht. Krieg ist nicht gut, sondern das direkte Gegenteil vom Guten. Ein bekannter General bezeichnete ihn als die Hölle. Somit kann Krieg nicht eine Idee des einen, unendlich guten Gemüts sein. Er besteht nicht im Gemüt.
Krieg bekundet keine Liebe. Ja er ist der Ausdruck des Neides, der Furcht, des Hasses. Somit wird er von dem Gemüt, das unendliche, vollkommene göttliche Liebe ist, weder verordnet noch genehmigt. In der Liebe gibt es keinen Krieg. Krieg ist nicht gerecht. Die Ursache von Krieg ist sehr oft, wenn nicht immer, Ungerechtigkeit. Daher wird er von einem unendlich gerechten Prinzip oder Gemüt, das der einzig wahre Gesetzgeber ist, weder verursacht noch zugelassen. Im Prinzip gibt es keinen Krieg, und der Krieg ist ohne Prinzip. Er ist also nicht in der Wahrheit begründet und bringt keine wahre Intelligenz zum Ausdruck. Er ist gesetzlos und hat keine Berechtigung. In Wirklichkeit gibt es nichts, was ihn erhalten oder stützen könnte. Er findet nicht statt im Gemüt. Er hat keinen Ursprung, keine Geschichte, keine Fortdauer. Daher kann er keine Folgen, keine Resultate haben. Das Leben, das Gemüt hat allein Dasein, und das Leben kann nicht gestört oder zerstört werden. Im Reich der Wirklichkeit, im Weltall des Gemüts, gibt es keinen Aufruhr, keine Verwirrung. Alles ist vollkommen, ununterbrochen harmonisch.
Relativ gesprochen scheint der Krieg wirklich, ja unter Umständen gerechtfertigt. In jedem Streit kommt es dem menschlichen Sinn vor, als sei eine Partei mehr im Recht als die andre. Der Zweck dieses Aufsatzes ist jedoch nicht, Ursachen anzugeben oder Beweggründe zu beurteilen. Vom menschlichen Standpunkt aus scheint der gegenwärtige Konflikt äußerst wirklich, und wir als Christliche Wissenschafter sind für die Leiden, die er verursacht, nicht unempfindlich. Als Menschenfreunde haben wir gerne geholfen, der materiellen Not zu steuern; aber das enthebt uns nicht der Verantwortung, zu bekräftigen und zu wissen, daß dieser ganze Zustand im absoluten Sinn unwirklich ist, weil er nicht von Gott stammt, noch ist es recht von uns, wenn wir schlimme Zustände als unvermeidlich betrachten oder ihre Fortsetzung oder Wiederholung voraussagen.
Wohl schreibt Johannes in der Offenbarung, daß sich „ein Streit im Himmel” erhob, und Mrs. Eddy sagt auf Seite 566 von Wissenschaft und Gesundheit, der Engel Michael kämpfe „die heiligen Kriege.” Aber für den Christlichen Wissenschafter ist es klar, daß diese Aussprüche auf den mentalen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, dem Geist und der Materie Bezug haben, der in dem teilweise geläuterten menschlichen Bewußtsein stattfindet. Dies ist die christliche Kriegsführung, durch die das Böse im Einzelbewußtsein sowohl wie im Bewußtsein der Gesamtheit durch das Gute zerstört wird. Nur vom beschränkten, endlichen Gesichtspunkt aus kann Krieg oder Streit irgendwelcher Art wahr erscheinen; denn, wie Mrs. Eddy des weiteren von dem Engel sagt, dessen Aufgabe es ist, die Erkenntnis der beschützenden Macht der Liebe mitzuteilen: „Für den Gabriel Seiner Gegenwart gibt es keinen Streit. Für die unendliche, immergegenwärtige Liebe ist alles Liebe, und es gibt keinen Irrtum, keine Sünde, keine Krankheit und keinen Tod.”
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