Daß die Christliche Wissenschaft sowohl christlich wie wissenschaftlich ist, wird durch den Umstand dargetan, daß sie das ursprüngliche Christentum wieder zur Geltung gebracht hat. Ihre Lehren gründen sich auf die Worte und Werke Jesu, des Wegweisers, wie sie in der Bibel aufgezeichnet sind. Die Christliche Wissenschaft liefert jedem vorurteilsfreien Forscher den Beweis, daß die Verheißungen Jesu auch für unsre Zeit gelten, daß sie wahr und praktisch anwendbar sind und daß auf die gleiche Weise physische und moralische Heilungen bewirkt werden können wie in den ersten drei Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung. Daraus geht klar hervor, daß diese Lehre christlich ist. Alles, was in bezug auf Gott wissenschaftlich ist, muß notwendigerweise unveränderlich und wohlgeordnet sein und auf Gesetz beruhen.
Jesus heilte die Kranken und Sünder und erweckte die Toten in Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes, ohne menschliche Mittel und Wege. Er sagte, er sei gekommen, den Willen des Vaters zu tun, und gab der blinden Menschheit die Verheißung: „Wer an mich glaubet, der wird die Werke auch tun, die Ich tue.” Die Wahrheit dieser Verheißung geht aus dem Umstand hervor, daß dreihundert Jahre lang nach der Kreuzigung die Kranken geheilt und die Sünder bekehrt, ja sogar die Toten erweckt wurden. Diese christliche Heiltätigkeit ging jedoch allmählich verloren, bis Mrs. Eddy im Jahre 1866 den Weg dazu wieder entdeckte.
Die vier Evangelien handeln von dem Leben und Wirken Jesu. Die Berichte über seine Heilungswerke nehmen mehr Raum in Anspruch als irgend etwas andres, und selbst ein oberflächliches Lesen der Werke Mrs. Eddys läßt erkennen, daß die Lehren der Christlichen Wissenschaft mit denen der Schrift genau übereinstimmen und ein absolutes und unerschütterliches Vertrauen auf dieselben verlangen. Die Christliche Wissenschaft unterscheidet sich dadurch von den andern Konfessionen, daß sie den Befehl des Meisters, das Evangelium zu predigen und die Kranken zu heilen, wörtlich und in seiner vollen Bedeutung auffaßt.
Die christlich-wissenschaftliche Auslegung und Anwendung des ersten Gebots lautet dahin, daß Gott unendlich und allerhaben ist, das schöpferische Prinzip oder die schöpferische Intelligenz des Weltalls, die alles im Reich des Seins gestaltet, regiert und beschützt. Um ewig zu sein, muß Gott Seinem Wesen nach harmonisch sein, wie auch Sein Gesetz harmonisch sein muß. Da Gleiches stets Gleiches hervorbringt, so kann die Wirkung nicht von der Ursache verschieden sein. Die Liebe kann sich nur durch Liebe bekunden und in Schutz, Leitung und Hilfe zum Ausdruck kommen. Die Wahrheit kann nur unendliche Erkenntnis mitteilen, kann nur verbessern und berichtigen. Das Leben kann sich nur in Tätigkeit, Energie und Dasein kund tun, usw. Gott als Geist kann nicht körperlich, räumlich beschränkt oder menschlich bestimmt werden. Wenn daher die Christliche Wissenschaft mit unserm Kritiker bezüglich der Persönlichkeit Gottes nicht einig ist, so ist es deshalb, weil sie an der Einheit und Allheit Gottes festhält, die über den menschlichen Begriff von Persönlichkeit hinausgeht und unsre Auffassung vom Höchsten Wesen erweitert. Wenn Gott als vollkommen gut anerkannt wird (und im ersten Kapitel des ersten Buchs Mose lesen wir, daß alles, was Er gemacht hat, „sehr gut” ist), so muß es der menschliche Begriff von Gott sein, der sich ändert, und nicht Gott. Gerade das ist es, was die Christliche Wissenschaft lehrt, und alle Disharmonie, an der die Menschheit leidet, ist das direkte Ergebnis der Unkenntnis Seiner Gebote oder der absichtlichen Mißachtung derselben.
Es wird allgemein zugegeben, daß die auf einer richtigen Verbreitung von Kenntnis beruhende Bildung die menschliche Gesellschaft veredelt. Zu glauben, man müsse erst das Böse kennen, um das Gute schätzen zu können, ist ebenso inkonsequent wie wenn man behaupten wollte, man müsse erst im Kot herumwaten, ehe man reine Schuhe schätzen könne. „Die äußere Reinlichkeit ist der inneren Unterpfand,” sagt Rückert. Man macht sich dadurch von der Sünde frei, daß man aufhört zu sündigen. Erlösung bedeutet Befreiung vom Bösen und ist in erster Linie ein Vorgang des Wachstums — das Sichaneignen des Guten und das Aufgeben des Bösen. Wer auf irgendeine Weise der Sünde frönt, muß dafür leiden. Da Sünde und Rechtschaffenheit in jeder Hinsicht Gegensätze sind, so liegt es auf der Hand, daß Unsittlichkeit das Gewand der göttlichen Liebe nie berührt, und wer da behauptet, die Christliche Wissenschaft ermutige das Sündigen oder lasse die geringste Abweichung von der höchsten Norm einer rechtschaffenen Lebensweise zu, entweder in allgemeinen menschlichen Beziehungen oder in der Ehe, macht sich der gröbsten Verdrehung der Tatsachen schuldig. Die Christliche Wissenschaft flößt ihren Anhängern die höchsten Ideale der Moral und des rechten Lebens ein. Sie verlangt Reinheit des Denkens, veredelt die Menschheit und wird sie mit der Zeit zu einem solchen Grad der Vollkommenheit führen, daß sie nicht mehr sündigen und krank sein kann.
Mrs. Eddys Stellung zur Materie, gegen die unser Kritiker Einwand erhebt, ist nicht neu. In der Naturwissenschaft erklärt man die Materie dadurch, daß man sie wegerklärt. Die Christliche Wissenschaft leugnet durchaus nicht, daß die Materie etwas ist, was dem menschlichen Gemüt als Substanz erscheint, etwas, dem es Intelligenz und Macht einräumt. Indem Mrs. Eddy die Wirklichkeit der Materie leugnet, tut sie dar, daß das, was uns als Materie vorkommt, nichts andres ist als eine falsche menschliche Vorstellung von Substanz. Im absoluten Sinn (d.h. vom Standpunkt der Wirklichkeit oder des Unvergänglichen, des Unzerstörbaren und Ewigen) ist die Materie unwirklich. Im relativen Sinn (d.h. gestützt auf das Zeugnis der materiellen Sinne) scheint die Materie wirklich. Paulus erklärte, der menschliche oder fleischliche Sinn sei „Feindschaft wider Gott.” Er erkannte das trügerische Wesen der materiellen Sinne. „Fleischlich gesinnet sein ist der Tod,” sagt er, fügt aber bei, „geistlich gesinnet sein ist Leben und Friede.” Seine weitere Ermahnung lautet: „Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen,” denn das eine ist dem andern entgegengesetzt.
