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„Tut Buße”

Aus der September 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Daß Mrs. Eddys großes Werk Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift Teile der Bibel erschlossen hat, die lange versiegelt waren, weiß jeder Schüler der Christlichen Wissenschaft aus eignem Studium des heiligen Wortes. Viele Bibelstellen, deren Sinn verdreht und entstellt worden war, um sie mit herrschenden Anschauungen in Übereinstimmung zu bringen, erhalten nun durch die Schriften unsrer Führerin wieder ihre ursprüngliche, wahre Bedeutung. Die Bibel war in der Hauptsache weniger auf Grund ihrer eignen Darlegungen ausgelegt worden, als auf Grund der Bedeutung, welche ihr von Männern beigelegt wurde, die in den theologischen Lehren geschult waren.

Tausende von ernsten und aufrichtigen Menschen haben diese Auslegungen, die den Kern der Sache unberührt ließen, anstandslos angenommen, weil sie von angeblich maßgebender Stelle kamen, ohne zu bedenken, daß die Ausleger auch nur dogmatische Erklärungen angenommen und übermittelt hatten. Die Menschen haben daher zum großen Teil die Heilige Schrift mit Brillen gelesen, die durch vorgefaßte Meinungen gefärbt waren. Stellen, die mit der angenommenen Auslegung nicht übereinstimmten oder in ausgesprochenem Gegensatz dazu standen, wurden übergangen, weil man sie nicht verstand, und Verse und Kapitel, welche geistige Nahrung die Fülle boten, verloren ihre Bedeutung, weil man darauf bestand, sie vom Standpunkt eines menschenähnlichen Gottes und eines physischen Menschen zu erklären, von wo aus man Himmel und Hölle als Örtlichkeiten sah und das Weltall seinem Ursprung und Wesen nach für materiell hielt.

Mrs. Eddy hat nicht gesucht, jede Bibelstelle zu erklären. Sie wollte dem Schüler die richtige Grundlage geben, auf der er selbst weiter forschen kann. Genau wie der Mathematiker nicht daran denkt, jedes Problem für den Schüler zu lösen, sondern diesem das Verständnis von den grundlegenden Gesetzen beibringt, durch das jedes Problem gelöst werben kann, so wird jeder Schüler der Christlichen Wissenschaft durch die Schriften unsrer Führerin derart ausgerüstet, daß er die Bibel allein richtig auslegen kann. Eine willkürliche Auslegung der Bibel durch die Christlichen Wissenschafter gibt es ebensowenig wie eine persönliche pythagoreische Auslegung der Geometrie. Der Schüler dieser Wissenschaft liest die Bibel mit unbefangenem Sinn und mit dem ehrlichen und aufrichtigen Wunsch, die wahre Bedeutung jeder Bibelstelle, die ihm dunkel erscheint, zu erfassen. Es steht ihm dabei frei, sich der Schriften anerkannter Autoritäten zu bedienen, um sich mit dem Urtext vertraut zu machen.

Wie sehr der ursprüngliche Sinn mancher Stellen beeinträchtigt wurde, kann man aus dem Ausdruck „Buße tun” ersehen, der in verschiedener Form etwa fünfundfünfzigmal im Neuen Testament zu finden ist. Überall, wo dieser Ausdruck im deutschen Text vorkommt, ist er die Übersetzung einer Form des Zeitworts metanoeo im griechischen Text. Nun bedeutet aber dieses griechische Wort, das mit Buße tun übersetzt ist, so viel wie völliges Ändern der Grundlage des Denkens, oder genauer, es drückt aus, daß man die Dinge von einem falschen Standpunkte aus betrachtet hat und den entgegengesetzten Standpunkt einnehmen muß, um zur Wahrheit zu gelangen. Die deutsche Übersetzung Buße tun hingegen ist von dem Wort büßen, Strafe erdulden hergeleitet, hat also mit dem griechischen Wort nur wenig gemein.

Die moderne hebräische Literatur erkennt diese irrige Übersetzung und gibt den Ausdruck „Buße tun” mit teshubah wieder, was bedeutet, „zum Herrn zurückkehren.” So wiesen Hesekiel, Hosea und andre Propheten entschieden und eindringlich darauf hin, daß die Menschen Herz und Sinn völlig ändern müßten. Der Ruf: „So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen. Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?” ist nur eine von den vielen eindringlichen Warnungen vor dem falschen Glauben an ein materielles Leben, an dem das auserwählte Volk Gottes litt. Wie kam es zu einer solchen Umkehrung des ursprünglichen Sinnes, und was hat sie zu bedeuten? Im ersten Kapitel des Markus-Evangeliums lesen wir, daß Jesus, als er nach Galiläa kam und dort das Evangelium vom Reich Gottes predigte, die Worte sprach: „Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeikommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!”

Die Aufgabe unsres Meisters während seines ganzen öffentlichen Wirkens, der Zweck seiner Äußerungen, seiner Gleichnisse und all seiner Demonstrationen bestand darin, die Menschen um ihn her zu überzeugen, daß „das Reich Gottes ... herbeikommen” ist. Dies war das Evangelium (die gute Botschaft), welches sie seiner Aufforderung gemäß glauben sollten; und das Wort, welches hier mit „glauben” wiedergegeben ist, könnte ebensowohl mit erkennen, verstehen oder erfassen übersetzt werden, denn es hat nichts mit blindem Glauben an etwas Unsichtbares zu tun. Mit andern Worten, Jesus verkündete Gottes Reich als etwas bereits Bestehendes und lehrte die Menschen, ihre irrigen Anschauungen durch das Erkennen dieser Wirklichkeit zu ändern und somit die gute Botschaft anzunehmen.

Die Juden hatten seit Jahrhunderten auf die Gründung des Reichs Gottes auf Erden gewartet. Als die frohe Botschaft über Berg und Tal erschallte, daß der verheißene Messias endlich gekommen sei, war ihr Sinn auf ein irdisches, von einem unmittelbaren Vertreter der Gottheit regiertes Reich gerichtet, und sie glaubten, dieser göttliche Vertreter würde sie aus ihrer langjährigen Knechtschaft befreien und ihr Reich zur obersten Macht in der Welt machen. Dieser tief im materiellen Denken des Zeitalters wurzelnden Erwartung sah sich Jesus bei seinem Kommen gegenüber. Er mußte das Volk von dieser Täuschung befreien, von diesem falschen Begriff von Gott und vom Menschen. Er predigte und lehrte nicht das, was sie erwarteten, nämlich daß er ihre weltlichen Angelegenheiten von Grund aus umgestalten und ihnen durch materielle Mittel, nämlich durch Gründung eines irdischen Reiches, Hilfe bringen würde, sondern vielmehr, daß das Reich Gottes, das Reich der göttlichen Gerechtigkeit und Harmonie, schon besteht.

Mit andern Worten, Jesus erklärte, man müsse nur die Wahrheit über das bereits Bestehende erkennen. Gegen die Festungsmauern ihrer materiellen Vorstellungen schleuderte er die scharfe Ermahnung: „Metanoiete“ (tut Buße)— d.h. gebt eure falschen Vorstellungen für die Wahrheit auf; und er ließ den eindringlichen Ruf folgen, sie sollten die gnadenreiche Botschaft von dem Vorhandensein der Harmonie und des Glücks annehmen. Interessant ist, daß von dem Befehl Jesu, Buße zu tun, erst berichtet wird, nachdem er von seinem vierzigtägigen Aufenthalt in der Wüste als Sieger zurückgekehrt war — nachdem er zu der Versuchung, nach weltlicher Macht und Ehre zu trachten, gesprochen hatte: „Heb dich, Satan, von mir.” Er hatte diese Erfahrungen durchgemacht und erkannte daher klar und deutlich, daß die Welt einer völligen Sinnesänderung bedurfte.

Die Juden wollten jedoch nicht auf die geistige Botschaft des Messias hören, deren Annahme ihnen alles gebracht hätte, was sie erhofften, ja mehr als sie erwarteten. Sie wiesen den großen Lehrer zurück und kreuzigten ihn; doch in seinem Sieg über den Tod bewies er die Wahrheit seiner Lehre, daß das Walten der göttlichen Liebe allenthalben und immerdar über alles erhaben ist. Dies war die „frohe Botschaft,” die er ihnen bringen wollte. Sein stetes Bemühen war, die Schicht der materiellen Vorstellungen zu durchbrechen, und dies trug ihm scheinbar Hohn, Schande und Verfolgung ein.

So kurz der Bericht von der irdischen Laufbahn des Meisters auch ist, so bietet er uns doch, wenn er richtig verstanden wird, alles, was nötig ist, um der Menschheit den Weg zur Erlösung zu weisen und zu beweisen. Nicht nur durch seinen oft wiederholten Befehl, Buße zu tun, sondern auch durch Gleichnis, Beispiel und Betätigung suchte er seinen Hörern nahezubringen, daß das geistige Weltall das allein wirkliche Weltall ist. Zu Nikodemus, der den Weg des Lebens suchte, sprach er: „Ihr müsset von neuem geboren werden,” womit er sagen wollte, Nikodemus müsse seinen Glauben an Leben in der Materie aufgeben und sich zu der Wahrheit bekennen, daß das geistige Leben das einzig wirkliche Leben ist. Dem reichen Jüngling, dessen Sinn ganz von materiellen Gütern in Anspruch genommen war, verkündete er, daß nur die himmlischen oder geistigen Güter wirklich sind.

Der müden und hungernden Volksmenge, die ihm in eine öde Gegend gefolgt war, bewies Jesus, daß materielle Zustände mit der Versorgung der Menschen nichts zu tun haben, daß aber Gottes geistige Fülle stets vorhanden ist. Den Kranken und Betrübten, den Armen und Blinden, den Tauben und Verzweifelten, die ihm scharenweise folgten, so „daß sie sich untereinander traten”— ihnen verkündete er die Wahrheit von der ewigen Harmonie. Die brausenden Wogen sterblicher Disharmonie, die das hilflose Boot hin und her warfen, beruhigten sich auf sein Wort hin, und eine große Stille trat ein. Am Sarge vor dem Tore der Stadt Nain, am Grabe des Lazarus, im Grabgewölbe des Joseph von Arimathia trat er der Vorstellung von Leben in der Materie entgegen und verkündete und bewies in einer Weise, die dem unbelehrten menschlichen Denken ein Rätsel war, daß das Reich des Lebens und der Liebe von dem tiefgewurzelten Glauben an die sterbliche Existenz nicht berührt wird.

Der Glaube an das materielle Wesen aller Dinge gereichte der Menschheit vor neunzehnhundert Jahren ebensosehr zum Hindernis wie heutzutage. Die Beseitigung dieses Hindernisses kann nur durch eine vollständige Änderung unsrer Gedankenvorgänge erfolgen — d.h. dadurch, daß wir den Standpunkt verlassen, von wo aus uns die Materie wirklich und intelligent erscheint, und uns auf den Standpunkt stellen, der uns das Gemüt als die einzige Ursache und den einzigen Schöpfer erkennen läßt. Ein kranker Mensch, der darauf besteht, durch materielle Mittel geheilt zu werden, und der die gute Botschaft zurückweist, die ihm die Christliche Wissenschaft bringt, indem sie ihm Freisein von Disharmonie als sein göttliches Recht bietet, ist ein Opfer desselben Irrtums, der die Juden veranlaßte, Christus Jesus zurückzuweisen, weil er ihnen nicht Befreiung durch eine materielle Regierungsform verhieß. Der Glaube, daß alles Bestehende seinem Wesen nach materiell sei, liegt beiden Irrtümern zugrunde, und dieser Glaube kann nur durch jene gründliche Änderung in unsrer Denktätigkeit beseitigt werden, die der Meister im Sinne hatte, als er das befehlende Wort sprach: „Metanoiete!“

Nachdem die wahre Bedeutung der Lehren des Meisters vom Unkraut der materialistischen Auslegung überwuchert war, trat die Lehre von der Reue im Sinne von menschlichem Büßen und Leiden allmählich an die Stelle der Christus- Ermahnung an die Menschheit, ihr Denken zu berichtigen. Statt daß die sogenannten christlichen Kirchen wie Christus Jesus verkündigten: „Das Reich Gottes ist nahe herbeikommen,” erklärten sie, das Reich Gottes sei weitab und man könne nur durch den Tod dahingelangen, trotzdem Jesus durch seinen Sieg über den Tod bewiesen hatte, daß das Reich Gottes hier und jetzt besteht.

Die Christliche Wissenschaft nun baut auf den Grund, den Christus Jesus legte; sie erklärt, daß das Reich Gottes herbeigekommen, daß das geistige, harmonische Sein das wirklich Bestehende ist, und daß die Menschen dies nur zu erkennen brauchen, um sich ihres Freiseins von den Leiden und Übeln der Sterblichkeit bewußt zu werden. Wie zur Zeit Jesu die überlieferte Theologie diese einfache Lehre, welche die Materie und ihre Ansprüche nicht anerkannte, mit Verachtung zurückwies, so sehen wir auch in unsern Tagen, daß der materialistische Charakter der herrschenden religiösen Anschauungen die christlich-wissenschaftliche Lehre von der Unwirklichkeit der Materie und der Allheit Gottes und Seiner Bekundungen verwirft. Und wie Jesus seine Lehren durch „mitfolgende Zeichen” bewies, so wiederholt auch die Christliche Wissenschaft die Demonstration der Allgegenwart des Geistes und seiner unbestreitbaren Herrschaft, indem sie die vermeintliche Intelligenz, Gegenwart und Macht der Materie überwindet.

Johannes kam in die Wüste der irrigen Vorstellungswelt mit dem Ruf: „Tut Buße”! ändert euer Denken! Jesus brauchte diese Worte wiederholt, als er zum Volk sprach und seine Schüler lehrte. Von den Jüngern lesen wir, daß sie sich „an allen Orten” mit den gleichen Worten an die Menschheit wandten. Paulus erklärte auf dem Gerichtsplatz, auf die materialistischen Gottesdienste der gelehrten Griechen Bezug nehmend: „Und zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebeut er allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun,” d.h. ihr Denken zu ändern. Dies war die „gute Botschaft,” die die ursprünglichen Christen voller Begeisterung den durch falsche Vorstellungen gebundenen Sterblichen brachten, und dies ist die frohe Kunde, die Mrs. Eddy unserm Zeitalter verkündet hat, nämlich: daß Leben etwas Stetsgegenwärtiges und Geistiges ist, und daß wir durch das Erfassen dieser Wahrheit und durch das Festhalten an ihr vom falschen Glauben an das, was nicht Leben ist, befreit werden. In dem Maße wie das Verständnis von der göttlichen Wahrheit unser Bewußtsein erleuchtet, sehen wir immer weniger „durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort,” wie Paulus schreibt, und immer mehr „von Angesicht zu Angesichte.” Und in dem Maße wie die große Wahrheit von der geistigen Existenz durch die Demonstration des einzelnen ihren Einfluß auf das Weltbewußtsein ausübt, naht sich die Erlösung der Menschheit.


Das ist das Schöne und Große im Reiche Gottes, daß nicht nur die, die Großes arbeiten und eine halbe Welt bekehren, sondern jede arme Magd und jeder arme Knecht in seinem Dienste hochgeschätzt sind in Gottes Augen. So sie Ihm treulich und rechtschaffen dienen.—

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