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Die Schwelle der Demokratie

Aus der Januar 1919-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Seit vielen Jahrhunderten beugt sich die Menschheit vor einem persönlichen und begrenzten Begriff von Gott. Die Regierung irgendeines Landes ist das Ergebnis seiner Auffassung von Gesetz oder Macht, kurz, von Gott, und die Regierung von Ländern, die einen willkürlichen, mit guten und bösen Eigenschaften ausgerüsteten Gott verehren, ist daher despotisch. Während der Entwicklung einiger Arten der öffentlichen Verwaltung haben Völker gewisse bestimmt hervortretende Stadien durchgemacht, die zum großen Teil ihrem Fortschritt in der Erkenntnis der Wahrheit entsprechen. Tatsächlich besteht eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen eines Menschen geistiger Auffassung von dem Wesen Gottes und seinem höchsten Begriff von der besten Art und Weise, die öffentlichen Angelegenheiten zu verwalten.

Nachdem ein Volk der Stammesgemeinschaft oder dem Patriarchentum entwachsen ist, nimmt es gewöhnlich die theokratische Regierungsform an; d.h. die Untertanen schreiben dem Herrscher göttliche Eigenschaften zu, und darauf beruht seine Macht. Es liegt auf der Hand, daß ein einzelner Mensch nicht ein ganzes Volk tyrannisieren kann. Des Volkes Unterwerfung unter die Idee, die der Selbstherrscher vertritt, ihr Aberglaube und ihre törichte Vorstellung, daß er in gewissem Grade göttliche Macht ausübe — diese Dinge sind es, die es einem Tyrannen ermöglichen, Einrichtungen zu treffen, vermöge deren das Volk unterdrückt, getäuscht und beraubt werden kann. Vor nur wenigen Jahren gelang es einer Regierung im Osten, mit Hilfe einer von dem früheren Despoten erlangten Entscheidung die starke Opposition des Volkes gegen eine Maßnahme, die diese Regierung verlangte, völlig zum Schweigen zu bringen. Hier haben wir also einen Fall, wo das Volk einem unumschränkten Herrscher mehr zugetan war als den von ihnen erwählten Vertretern. Zu einer Zeit, als die Kinder Israel, von den Anschauungen der benachbarten Völker beeinflußt, die Wahrheit nicht mehr klar erkannten, verlangten sie eine monarchische Regierungsform. Unter diesem Einfluß konnten sich die Juden den erwarteten Messias bloß als einen Kriegshelden, einen persönlichen Herrscher, einen großen König denken.

Die Kirchen haben gelehrt, daß sowohl das Gute wie das Böse von Gott komme; daß Gott in Seinem Reich launenhaft handeln könne. Dadurch haben sie die Vorstellung von einer menschenähnlichen Gottheit begünstigt, haben die Völker dazu angehalten, sich einer Willkürherrschaft zu unterwerfen, weil dies die göttlich verordnete Art der Erlösung sei. Die Bande der alten theologischen Auffassungen lösten sich jedoch immer mehr, und die Menschheit gewann allmählich ein besseres Verständnis von dem wahren Wesen einer Regierung, bis dann Mrs. Eddy im Jahre 1875 „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ veröffentlichte und dadurch der Welt Gott, das Gute, voll und ganz als Prinzip offenbarte.

Diese Offenbarung der Wahrheit hat die Anschauungen der Welt über den Begriff Autorität umgewandelt, so daß man sich nun fast in allen Ländern einer gerechteren Vertretung des Volkswillens nähert, auch wird dem Wohl des Volkes größere Aufmerksamkeit geschenkt. Eine mustergültige Regierung erlangt man jedoch nicht durch die bloße Erweiterung des Wahlrechtes, oder durch Freiheit von äußerem Zwang, oder durch Reformen in der Gesetzgebung. Obgleich das Volk im ganzen in seinem Urteil unparteiischer und gerechter ist als eine einzelne Klasse, so läßt es sich doch leicht von einem bloßen Schlagwort, von dem Losungswort einer Partei beeinflussen, obgleich dieses oft sehr weit von der Wahrheit entfernt ist. Man denke an Jesu siegreichen Einzug in Jerusalem, dem nur einige Tage darauf die Verhörung vor Pilatus und der Ruf des Volkes folgte: „Kreuzige ihn!“ sowie an ihre Blindheit gegenüber der Auferstehung und dem auferstandenen Jesus.

Völker können nur dann einen Begriff von wahrem Volkstum erlangen, wenn ihre Gedanken im Gehorsam auf das Prinzip gerichtet sind. Mrs. Eddy macht dies klar in „Miscellaneous Writings“ (S. 189), wenn sie sagt: „Die Herrschaft der göttlichen Liebe erlangt ihre Allmacht von der Liebe, die sie in den Herzen der Menschen erzeugt, denn Liebe ist treu, und außerhalb der Liebe gibt es keine Treue.“ Eine Regierung kann also nur dann wahrhaft demokratisch werden, wenn die Gedanken und Handlungen sowohl derer, die nominell regieren, als auch der Nation als Ganzes mit dem Geist selbstloser Liebe durchdrungen sind, und wenn ihre Zwecke und Ziele von der Selbstsucht, von dem Streben nach menschlicher Macht und von der Äußerung des menschlichen Willens gereinigt werden. Reformen und Revolutionen werden bekanntlich von einigen wenigen ins Werk gesetzt, und obgleich die Stimme des Volkes weit hinter den geistigen Begriffen des Reformers zurück ist, so ist doch gerade dieser Konservatismus sehr oft ein Schutz gegen die Anstiftungen des Fanatikers. Tatsächlich hat die Welt ein Stadium der Entwicklung erreicht, wo die Volksstimme sich in den meisten Fällen auf der Seite von Recht und Gerechtigkeit äußert. Die große Kluft zwischen Pöbelherrschaft und der intelligenten Äußerung des Volkswillens am Stimmkasten ist überschritten.

Im absoluten Sinne kann der Mensch den Menschen nicht regieren, und er kann sich nur in dem Grade selber regieren, wie er sich bewußt wird, daß Gott regiert. Der sterbliche. Mensch glaubt, er könne über seinen Mitmenschen herrschen, und macht Gesetze, die- diesen unterjochen, wo doch in Wirklichkeit der Mensch der Ausdruck des Gemüts ist und die einzigen Gesetze die Gesetze des Gemüts sind. Somit kann der wahre Mensch seinen Nächsten nicht unterdrücken, er muß ihm helfen, und er tut es, indem er sich bewußt wird, daß der Mensch der Ausdruck Gottes ist, daß Gott jetzt regiert. In früheren Tagen unterwarfen sich die Menschen ihrer Regierung und fürchteten sie, und zwar deshalb, weil sie eine Gewaltherrschaft darstellte.

In unseren Tagen herrscht die Neigung, jede Form der Regierung zu tadeln, ihr zu mißtrauen, sie womöglich umzustürzen. Gewisse Klassen, die von der Herrschaft der Furcht, unter der sie jahrhundertelang geschmachtet hatten, befreit worden und infolgedessen gar zum Wohlstand gelangt sind, haben die grundlegende Wahrheit nicht erkannt, daß man Freiheit und Gesetz unmöglich trennen kann, daß ohne das Gesetz keine wahre Freiheit bestehen kann. Es gibt keinen größeren Irrtum als die Meinung, das wahre Gesetz beschränke die Freiheit. In Wirklichkeit gibt das wahre Gesetz denen, die ihm gehorchen, ein größeres Maß der Freiheit und der Herrschaft. Dies tritt auf der menschlichen Daseinsstufe klar zu Tage, wie z.B. in der Mechanik, wo die Fügsamkeit gegenüber ihren Gesetzen Eisenbahnzüge, Fernsprecher, Ozeandampfer und all die anderen mechanischen Einrichtungen möglich gemacht hat, von welchen unsere heutige Zivilisation abhängig ist. In gleicher Weise erweitert das richtige Erfassen und das richtige Anwenden der Gesetze der Metaphysik den Wirkungskreis des Menschen und erhöht seine Freiheit und sein Glück.

Der Christliche Wissenschafter kann sich nur freuen, wenn er beim Lesen der neueren Schriftsteller sieht, wie die Ideale der Wahrheit die Gedanken der Allgemeinheit in solchem Grade durchdringen, daß ein Gärungsprozeß stattfindet; und obgleich sich dieser Gärungsprozeß durch gewaltige Umwälzungen kundtut, so ist doch die Stimme der Wahrheit deutlich zu hören. Ideale der selbstlosen Anstrengung, der Einheit, der Brüderschaft kommen jetzt in dem Wortschatz fast aller Autoren und Redner zum Ausdruck. Wenn wir auch zuweilen das Gefühl haben, daß Worte mit nur geringem Verständnis ihrer Bedeutung gebraucht werden, so wissen wir doch, daß sich die Stimme der Wahrheit hörbar macht, selbst durch solche, die sich nicht bewußt sind, ihr Organ zu sein. Sodann erkennen wir, daß Harmonie in der Leitung öffentlicher Angelegenheiten sich in dem Verhältnis kundtun wird, wie diese wahren Ideen Aufnahme finden und die Angelegenheiten der Völker nicht mehr von der Grundlage des blinden Glaubens an menschliche Mittel und Methoden, sondern von dem Standpunkte der tatkräftigen metaphysischen Erkenntnis aus geleitet werden — d. h. mit Hilfe einer demonstrierbaren Gotteserkenntnis.

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