Ich wurde mit liebevoller und zarter Rücksicht auf mein Wohlergehen auferzogen, und glaubte somit, daß die heilende Wirkung, die der Tat jenes Weibes folgte, die sich voll Eifer vorgedrängt hatte, um den Saum des Gewandes Jesu zu berühren, damit sie von ihrer Krankheit geheilt würde — daß diese Wirkung auf die persönliche Frömmigkeit eines Menschen von Fleisch und Blut zurückzuführen sei, der übernatürliche Heilkraft gehabt habe. Ich zweifelte niemals daran, daß dieses Weib, gleich so manchen anderen, von ihrer Disharmonie, welcher Art sie auch gewesen sein mag, befreit wurde; aber es kam mir niemals in den Sinn, daß Gott das Prinzip der Werke Jesu war. Ich glaubte, daß Arzneimittel die Krankheiten heilten und daß Gott sie mit Heilkraft versehen hätte, wiewohl ich mir niemals den Kopf darüber zerbrach, wie Er das eigentlich bewerkstelligte. Es ist dies ein deutliches Beispiel der scholastischen Verwirrung. Ich erkannte nicht, daß mein kranker Körper nur meine kranken Gedanken vergegenständlichte. Und so glich ich denn einem, der in der Wüste ist, den Ausweg sucht und bald nach dieser bald nach jener Richtung hin verzweifelte Anstrengungen macht.
Es kam jedoch anders. Im Verlauf der Zeit wurde nämlich das Kind meiner Schwester in sechs Wochen dank der Christlichen Wissenschaft wieder gesund und kräftig, nachdem der Zustand von den besten Ärzten der Stadt als unheilbar bezeichnet worden war, und gleichzeitig wurde ein anderes Kind von bösartigem Scharlach in drei Tagen geheilt. Diese Werke versetzten mich zunächst in Staunen, dann weckten sie großes Interesse in mir, und schließlich verlangte mich selbst nach der Christlichen Wissenschaft. Meine Not war groß. Ich hatte eine ganze Reihe Ärzte konsultiert, die sich des besten Rufes erfreuten, aber keiner hatte mir einen heilenden oder errettenden Gedanken gegeben. Die Qualen und die Schmerzen, die ich infolge von Blutarmut oder Abzehrung des Blutes litt, waren sehr groß, und meine Vorstellung von dem Ausgang der Krankheit wirkte nicht gerade beruhigend. Der Trost und der Friede, der mir dann durch christlich-wissenschaftliche Behandlung zuteil wurde, war etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte. Und wiewohl das völlige Ausrotten der Krankheit nicht rasch vor sich ging, so kam die Heilung doch dank der Güte des ewigen Gesetzes der Liebe zur rechten Zeit.
Ich bin immer dankbar gewesen, daß das Sehnen nach körperlicher Heilung meine Gedanken nicht ganz in Anspruch nahm, denn infolgedessen blieben die vielen Beweise von dem Fortschritt der Heilung nicht unbemerkt, sondern, ich erkannte sie alle dankbar an. Eine dieser Erfahrungen war mir immer besonders teuer. Damals litt ich so sehr, daß es mir vorkam, als ob kein Teil meines Körpers frei von Schmerzen sei. Ich lebte in einem Heim, in dem man sich sehr ablehnend gegen die Christliche Wissenschaft verhielt, und so kam noch zu meinem geistigen und körperlichen Leiden die Furcht vor den Gedanken meiner Umgebung hinzu. Schließlich bat ich jemand, mir aus einem der Evangelien vorzulesen. Es war mir ganz gleichgültig was gelesen wurde, solange ich nur die Worte des sanften Meisters hören konnte.
Als ich lauschte, zunächst mit großer Anstrengung, war es mir, als ob eine neubelebende, huldreiche Erscheinung in das Zimmer gekommen wäre; das Fieber und der quälender Schmerz ließen nach und schwanden schließlich ganz, und was das schönste war, ich wußte daß „der allgegenwärtige Christus“ bei mir war, „die geistige Idee, die vom Gipfel der Seligkeit das Tal des Fleisches überschaut, um die Seifenblasen der Erde mit Himmelsodem zum Platzen zu bringen und die sinnlichen Sterblichen mit dem Geheimnis der Gottseligkeit, mit der unwandelbaren, unauslöschlichen Liebe bekannt zu machen“ (Miscellaneous Writings, S. 328). Wie vollständig war nun der Schleier, der die heilende Kraft in der Persönlichkeit und der Materie gesucht hatte, von meinen Gedanken gelüftet!
Diese Erfahrung befähigte mich, vorwärts zu dringen und den Saum des Christuskleides zu berühren. Nie wieder konnte ich mit meinem alten Begriff vom Heilen zufrieden sein. Wahrlich, um „seines Kleides Saum“ berühren zu können, muß der Gemütszustand so demütig sein, daß man trotz des Drängens der sterblichen Gemüter selbst nach der geringsten Erkenntnis verlangt, nach dem Saum der Liebe, des Mitleids, des Glaubens und der Reinheit. Hierdurch werden die falschen Annahmen beseitigt, daß der Sterbliche mit Sünde, Krankheit und Furcht erfüllt und dem Tode unterworfen sei. Wird nicht der allgegenwärtige Christus unsere Notdurft erkennen, wenn wir diesen Gemütszustand erreicht haben, und sollten wir nicht an die Worte Jesu denken: „Wer hat mich angerühret?“ Wenn wir dann gleich jenem Weib, das unsere Not versinnbildlicht, vor „allem Volk“ verkündigen, „aus was Ursache“ wir Christliche Wissenschafter sind, sei es dem einzelnen gegenüber im täglichen Leben, oder öffentlich in unseren Zeugnisversammlungen, werden wir dann nicht auch die stille Stimme des liebevollen Christus vernehmen: „Sei getrost, meine Tochter; dein Glaube hat dir geholfen. Gehe hin mit Frieden!“ — mit dem Frieden der höher ist denn alle Vernunft? Dann gewinnen Mrs. Eddys Worte in „Christ and Christmas“ für uns eine neue Bedeutung:
Allgegenwärtig, gütig, frei,
Tritt Christus in das Dunkel
Und bringt in seiner ew’gen Huld
Gesundheit dir und mir.
