Im dreiundzwanzigsten Kapitel des Propheten Jeremia finden wir folgende wunderbare Wahrheitserklärung: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß ich dem David ein gerecht Gewächs erwecken will, und soll ein König sein, der wohl regieren wird und Recht und Gerechtigkeit auf Erden anrichten. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, daß man ihn nennen wird: Der Herr unsre Gerechtigkeit.“
Wo könnte man wohl eine einfachere und klarere Darlegung der Wahrheit finden, die die Christliche Wissenschaft einer sorgenbeladenen Welt offenbart? Mit obiger offenen Erklärung geht der Prophet der ganzen Sache auf den Grund. Er verkündigt in diesen Tagen, in denen die Trone wanken, daß der Herr des Himmels und der Erde der rechtmäßige König ist. Ja er geht noch weiter; er zeigt uns deutlich, wie dieser König auf die Erde kommen soll, wie Er die Herrschaft erringen und „Recht und Gerechtigkeit auf Erden anrichten“ wird. Er wird gewiß kommen, dieser König, der „wohl regieren“ wird, nämlich durch das Bewußtsein des einzelnen — durch dein Bewußtsein und mein Bewußtsein. Er muß der Herr in uns werden, ein jeder von uns muß Ihm Gehorsam leisten, ehe Er ein recht Gericht auf Erden richten kann.
Haben wir uns nach der großen Wiederherstellung und Neuordnung gesehnt, nach dem Anbruch des Tages, da kein Krieg mehr sein wird, nach dem Schimmer jeder helleren Zukunft, die uns allen Freiheit und Fortschritt bringen wird? Wollen wir diesen Tag herbeiführen und ihn fördern, den herrlichen Tag, der über den Gewässern des sterblichen Gemüts anbricht? Jeremia erklärt uns, wie wir helfen können, die Vorhänge beiseite zu ziehen und das Licht dieses schöneren Tages hereinzulassen; wie wir zu Arbeitern werden, die der König dazu gebrauchen kann, Seine Herrschaft auf Erden aufzurichten. Er sagt es uns mit den Worten: „Der Herr unsre Gerechtigkeit.“ Erfüllt uns nicht die Erkenntnis, daß uns der König an Seiner Absicht teilnehmen läßt, Recht und Gerechtigkeit auf Erden anzurichten, mit einem Gefühl wunderbarer individueller Möglichkeiten? Die Friedensversammlung hat die Abrüstung der Welt erwogen, die Nationen der Erde entlassen ihre großen Armeen; aber diejenigen, die den großen König „den Herrn unsre Gerechtigkeit“ auf die Weise anerkannt haben, die die Christliche Wissenschaft offenbart, halten sich zum Vormarsch bereit und putzen die Rüstung der geistigen Erkenntnis blank. Sie beten wie der Psalmist vor Alters: „Verzeihe mir die verborgenen Fehle!“ damit keine listige Sünde im Innern das Kommen des Königs hindern möge, und marschieren dann dem zunehmenden Lichte mit einem Lied im Herzen entgegen; denn lautet nicht die Verheißung sehr bestimmt: „Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen“?
Viele von denen, die sich um das Banner der Gerechtigkeit geschart haben, erinnern sich, mit welchem Gefühl der Ungewißheit sie einst nach der geistigen Wiedergeburt strebten. Viele denken ferner an ihre blinde Zuflucht zu Gebeten, die nicht erhört wurden, an die verfehlten Bemühungen, den Weg zu finden, indem sie annahmen, daß sie durch ein Glaubensbekenntnis und durch die Taufe für immer „erlöst“ seien. Zuweilen flüsterte wohl eine Stimme in der peinlichen Dunkelheit: „Erlöst wovon?“ Krankheit stellte sich nach wie vor ein; die schweren, hemmenden Annahmen des sterblichen Gemüts hielten sie an Händen und Füßen gebunden; der „alte Mensch“ mit seinen Werken war nicht abgelegt, noch war die Wahrheit, die da frei macht, oder das höhere Maß des Lebens in der wirklichen Erfahrung zu erkennen. Woran lag das? Ist die Antwort nicht klar? Glaubten die gelehrten Rabbiner oder die Pharisäer zur Zeit Jesu, daß sie durch die Annahme der religiösen Lehren der Kirche von den Folgen ihrer Sünden erlöst worden waren? Jesus sagte zu ihnen: „Die Zöllner und Huren mögen wohl eher ins Himmelreich kommen denn ihr.“ Mrs. Eddy schreibt auf Seite 20 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“: „Er wußte, daß die Menschen getauft werden, am Abendmahl teilnehmen, die Geistlichkeit unterstützen, den Sabbath heiligen, lange Gebete machen und trotzdem sinnlich und sündig sein können.“
Was ist es nun, das erlöst, was sichert Israel Befreiung zu? Jeremia war darüber nicht im Zweifel. Er sagte: „Und dies wird sein Name sein, daß man ihn nennen wird: Der Herr unsre Gerechtigkeit.“ Das von dem stets gegenwärtigen Christus durchdrungene und umgewandelte Gemüt, der Gedanke, der von dem Prinzip regiert und beherrscht wird, das Herz, das mit selbstloser Güte erfüllt ist — all dieses Einssein mit dem Guten erlöst von der Sünde, hat Macht über das Böse, segnet und heilt. Rechtes Denken und dessen Ergebnis, rechtes Handeln, tragen Frucht. Das ist unausbleiblich. Und ihre Frucht besteht in der Erlösung von den bösen Annahmen der Materialität und der ruhigen Gewißheit des vollkommenen Friedens.
Vor mehr als zwei Jahrhunderten sah Milton ein, daß Lauterkeit ihr eigener Schutz ist. Hin und wieder beobachten wir alle, wie die unparteiische und zutrauliche Zärtlichkeit eines Kindes in dem gefühllosesten Mann oder der selbstsüchtigsten Frau Liebe erweckt. John Burroughs sagt uns, daß diejenigen, die frei von Furcht sind, mit schwärmenden Bienen umgehen können, ohne im geringsten der Gefahr ausgesetzt zu sein, gestochen zu werden. Haben wir nicht schon oft bemerkt, wie die Vögel, die wir in unseren Bäumen und Sträuchern willkommen heißen, im Frühjahr die Hauptgehilfen des Gärtners werden? Und kehrt das, was wir für unseren Bruder getan haben, nicht mit erneuter Kraft und tieferer Liebe zu uns zurück? Wir mögen die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit lesen und darin studieren, wir mögen uns einbilden, wir hätten die Botschaft vollständig erfaßt; unser Verständnis der Liebe jedoch beweisen wir nur durch unsere Bereitwilligkeit und Fähigkeit, unserem Bruder zu helfen. Wenn wir ihn geliebt haben wie uns selbst und ihm die Segnung haben zukommen lassen, zu der uns unsere Erkenntnis der Wahrheit gebracht hat, dann haben wir auf eine neue und wesentliche Art die Macht der Gerechtigkeit kennen gelernt; und nicht nur das, sondern durch unsere Dienstbereitschaft ist uns auch eine höhere Auffassung von der Wahrheit möglich geworden und wir haben an Kraft zugenommen, so daß wir unsere eigene Arbeit besser tun können. Mit anderen Worten, wir haben bewiesen, daß Gerechtigkeit ihren Lohn und ihren Schutz mit sich bringt.
Als der Hirtenknabe David furchtlos vor Goliath trat, stand er nicht da in der Kraft bewußter Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit? Sein Mut bei jener denkwürdigen Gelegenheit war das Ergebnis seines monatelangen ruhigen Wohltuns und seiner Treue in den täglichen Pflichten. Als dieser eifrige Jüngling die Schafherden verlassen hatte, vor den König Saul trat und die Worte hörte: „Du kannst nicht hingehen wider diesen Philister, mit ihm zu streiten; denn du bist ein Knabe, dieser aber ist ein Kriegsmann von seiner Jugend auf,“ beunruhigte ihn das durchaus nicht. Er wies unerschrocken auf seine Erfahrung als Hirte hin, denn er war ein treuer Hüter der Schafe und kein Mietling gewesen. Seine Antwort lautete: „Dein Knecht hütete die Schafe seines Vaters, und es kam ein Löwe und ein Bär und trug ein Schaf weg von der Herde: und ich lief ihm nach und schlug ihn und errettete es aus seinem Maul. Und da er sich über mich machte, ergriff ich ihn bei seinem Bart und schlug ihn und tötete ihn.“ Aus seinen schlichten Worten sprachen unerschütterliche Treue und hoher Mut. Saul war überzeugt, daß dieser sanfte Hirtenknabe stärker war als irgendeiner seiner geschulten Krieger. Deshalb sagte er: „Gehe hin, der Herr sei mit dir!“ Die Monate der Treue in der einsamen Wüste, wo David die Schafe gehütet hatte, trug Frucht in seinem hohen Mut und unerschütterlichen Gottvertrauen. Durch die Rechtschaffenheit, die er wiederspiegelte, wurde er zum Befreier seines Volkes; denn Goliath, der Prahler, lag bald hilflos zu seinen Füßen.
Die Mitwirkenden in dem großen Drama der Jahrhunderte mögen kommen und gehen, die Streitpunkte mögen sich ändern; aber es wird nicht eher endgültigen Frieden auf Erden geben, als bis alle Goliath ihre Waffen und ihre wertlose Rüstung zu Füßen des Geliebten niederlegen. Wenn das menschliche Bewußtsein alle prahlenden Riesen in seinem Innern durch die Kraft der göttlichen Liebe entdeckt und hinausgeworfen haben wird, dann wird „der Herr unsre Gerechtigkeit“ in der Tat gekommen sein; und „zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen.“ Diejenigen, die die Türen des menschlichen Gemüts dem Christus geöffnet haben, bringen diesen Tag des Sieges jedesmal näher, wenn sie einen wahren Gedanken an Stelle eines falschen treten lassen. Auf ihnen ruht die frohe Verantwortung, stets eins zu sein mit der Gerechtigkeit und hierdurch das Richten des rechten Gerichts auf Erden zu beschleunigen.
Verfallen wir manchmal in die alte Gewohnheit, uns auf Etiketten zu verlassen? Vergessen wir nicht zuweilen, daß unser einziger Schutz in richtigem Denken und Handeln besteht und nicht einfach darin, daß wir zu einer Kirche gehören? Wir werden nicht deshalb erlöst, weil wir Mitglieder einer Kirche Christi, der Scientisten, sind. Wir sind nicht allein deshalb Christliche Wissenschafter, weil wir die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit lesen. Nur in dem Maße sind wir Christliche Wissenschafter, wie wir richtiges Denken bekunden und die Tätigkeit der Gerechtigkeit in uns zur Kraft wird, die uns befreit und nach außen hin unsere Erfahrung umwandelt. Laßt uns nicht vergessen, daß Jesus sagte: „Es sei denn eure Gerechtigkeit besser denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Paulus erklärt uns das Wesentliche in bezug hierauf in seinem Brief an die Römer, wenn er sagt: „Fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.“ Es ist unser großes Vorrecht, ja unsere heilige Pflicht, als Christliche Wissenschafter zu lernen, wie wir unser Denken so beherrschen können, daß „der Herr unsre Gerechtigkeit,“ die göttlich tätige, richtige Idee, der stets gegenwärtige Christus in der Tat herrschen und gedeihen kann.