Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

„Erkenne dich selbst“

Aus der August 1920-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als der reiche Jüngling zu Jesus kam und ihn fragte, was er tun solle, um das ewige Leben zu ererben, sagte Jesus: „Halte die Gebote.“ Aus seiner Antwort, daß er das von Jugend auf getan habe, erkannte Jesus, vermöge seines Scharfblicks, sofort den schwachen Punkt in des Jünglings Denkweise, nämlich seine Liebe zum Reichtum. Als ihm Jesus sagte, er müsse diesen aufgeben, ging der Jüngling „betrübt von ihm; denn er hatte viele Güter.“ Er mag eingewandt haben, Jesus verlange zu viel von ihm. Er mag noch weiter gegangen sein und gefragt haben, warum denn sein materieller Überfluß beseitigt werden solle, da doch Mangel keine Eigenschaft des unendlichen Guten sei. Was auch immer die Einwände der Selbstsucht, der Rechtfertigung, der Eigenliebe sein mögen, sie können die Tatsache nicht ändern, daß die Wahrheit von ihrer Verwirklichung ausgeschlossen ist, solange irgendein spezieller Irrtum vorherrscht.

Wenn sich die Heilung zu verzögern scheint, ist es vielleicht deshalb, weil der Suchende unbewußt an einer Lieblingsphase des sterblichen Gemütes festhält, oder er mag sogar geltend machen, er habe das Recht, die Befreiung davon abzulehnen, indem er sich überredet, er sei in der Wissenschaft des Geistes noch nicht weit genug vorgeschritten, um diese besondere Form der Materialität aufzugeben. Wer das Vergnügen an der Materie beizubehalten wünscht, und zugleich um Befreiung von Schmerzen und Disharmonie bittet, arbeitet auf eine Weise, die ihm Enttäuschung bringen wird. Es ist unmöglich, der Annahme Kraft zu geben, daß Vergnügen in Materie zu finden sei, ohne zugleich der Annahme von Schmerzen Kraft zu geben.

In dem Aufsatz: „The Way“ (Miscellaneous Writings, S. 355) wird uns sehr klar gezeigt, daß Selbsterkenntnis, Demut und Liebe notwendige Errungenschaften sind; und in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 571) finden wir die Ermahnung: „Erkenne dich selbst, und Gott wird dir Weisheit und Gelegenheit zu einem Sieg über das Böse geben.“ Selbsterkenntnis verlangt ein Verständnis vom Prinzip. Der Durchschnittsmensch hat seinen Gedanken den Zügel schießen lassen, ohne zu wissen, was sein Bewußtsein erfüllte, viel weniger, welcher Beweggrund das Tun und Denken beeinflußt. Ernste, wachsame, beharrliche Arbeit ist erforderlich, um zu dem Punkte zu gelangen, wo wir wirklich uns selbst und die Beweggründe erkennen, welche unsere Handlungen und Worte verursachen. Wir mögen in aller Aufrichtigkeit glauben, liebevoll zu handeln und anderen zu dienen, wo doch eine sorgfältige Prüfung zeigen würde, daß in den tieferen Schlupfwinkeln des Bewußtseins die hinterlistige Suggestion verborgen liegt, daß vielleicht ein Vorteil für uns selbst zu erlangen sei. Das Erforschen der wahren Beweggründe verlangt eine sehr sorgfältige Prüfung, weil der erste Beweggrund, welcher uns in den Sinn kommt, oft nicht der wirkliche ist.

Ein hinterlistiger Irrtum, auf den man oft nicht achtet und der leicht den Fortschritt hindert, ist der, daß man dem unharmonischen Zustand, den man zu überwinden wünscht, fast fortwährend Glauben schenkt, anstatt ihn beständig, beharrlich, unermüdlich abzuweisen — anstatt sich jeder materiellen Augenscheinlichkeit des Mißtons, jedesmal, wenn man von ihr versucht wird, entschieden zu widersetzen. Man mag es sich zur Aufgabe machen, ein oder zweimal täglich aufrichtig die Wahrheit zu bekräftigen, wie es uns in der Christlichen Wissenschaft gelehrt wird. Wenn man aber während der übrigen Zeit in seinen Plänen und Entscheidungen dem Mißton als einer Wirklichkeit Gehör schenkt, dann wird dies dazu beitragen, die dann und wann getane Arbeit zu neutralisieren. Das Böse kann am Umsichgreifen verhindert werden, aber dessen völlige Vernichtung wird deshalb nicht bewirkt, weil man nicht auf der rechten Seite steht. Es will viel heißen, folgender Vorschrift auf Seite 392 von Wissenschaft und Gesundheit zu gehorchen: „Steh Wache an der Tür des Gedankens. Wenn du nur solche Schlüsse zugibst, wie du sie in körperlichen Resultaten verwirklicht zu sehen wünschst, dann wirst du dich harmonisch regieren.“ Keine gleichgültige, unbeständige Bemühung wird dies zustande bringen. Welches Recht hat man auf eine richtige Lösung, wenn man die Regel nicht befolgt? Wer die Nichtigkeit des Bösen und die Allheit des Guten behauptet, muß auch konsequent sein, indem er so handelt, wie er redet. Nachdem er das Gute bekräftigt hat, darf er nicht durch Handlungen dem Bösen Kraft geben. Es gibt keinen neutralen Boden, von wo aus man das Böse betrachten dürfte.

Zweifel, Furcht, Mangel am Guten — all diese Phasen, welche durch die Hinterlistigkeit des Irrtums entstehen —, suchen den Glauben herbeizuführen, daß sie nicht beseitigt werden könnten. Die Unfähigkeit, eine falsche Suggestion als Irrtum zu erkennen, die Neigung, unser Problem als Wirkung von Ursachen anzusehen, die von uns getrennt sind, Verzögerung, Ungeduld, Mangel an Nachsicht gegen andere, Kritik, Selbstgerechtigkeit und Gleichgültigkeit mögen den Platz in unseren Gedanken einzunehmen suchen, welcher mit Liebe, Freude, Dankbarkeit, Vertrauen und Frieden erfüllt werden muß.

Das Gesetz, daß das Gute nur Gutes und nichts Böses hervorbringt, ist unabänderlich, und wir können froh sein, daß das so ist, denn sonst gäbe es kein bestimmtes Prinzip, womit man arbeiten könnte. Zuweilen sucht das menschliche Gemüt das Verheißene zu beanspruchen, ohne die daran geknüpfte Bedingung zu erfüllen. Die Verheißung lautet: „Du erhältst stets Frieden nach gewisser Zusage; denn man verläßt sich auf dich.“ Haben wir ein Anrecht auf den vollkommenen Frieden, wenn wir uns nicht direkt auf Gott, das Gute verlassen? Dies bedeutet, daß man auch nicht einen Augenblick dem Anspruch des Bösen Kraft geben darf. Ferner lesen wir: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Dürfen wir hoffen, von unharmonischen Zuständen befreit zu werden, wenn wir uns einen großen Teil der Zeit mit bösem Denken, mit der Lüge anstatt der Wahrheit beschäftigen?

Wenn jemand unter unharmonischen Annahmen leidet, erscheint es ihm oft schwer, nicht beständig auf eine materielle Heilung zu warten. Wenn jedoch ein solcher ernstlich danach strebt, eine höhere geistige Erkenntnis zu erlangen; wenn er sich zu vergegenwärtigen sucht, daß das Erlangen des Einsseins mit dem einen Gemüt, wo Liebe, Freude, Friede beständig Wache halten, wundervoller und zufriedenstellender ist als ein physischer Körper; wenn er sich bewußt wird, daß Liebe, Freude und Friede zerstören „die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi,“ der Wahrheit — wenn dieser Zustand des Bewußtseins erreicht ist, wird man finden, daß Disharmonie, sei sie physischer oder anderer Art, unmöglich lange ein Teil unserer Erfahrung sein kann.

Nachdem der Schüler angefangen hat, die Forderungen der Christlichen Wissenschaft zu erfassen — anstatt dann jeden Tag mutig zu versuchen, diesen Forderungen gerecht zu werden, mag er geneigt sein, sich über die Schärfe der Regel zu beklagen oder den Einwand zu erheben, daß zu viel verlangt werde, daß das Vorbild der Vollkommenheit zu hoch sei, um auch nur einen Versuch zu rechtfertigen. Vielleicht stellt sich überdies die Suggestion ein, daß es besser sei, sich ein wenig gehen zu lassen, und daß man sich später, wenn man ein besseres Verständnis erlangt hat, zum vollkommenen Vorbilde emporarbeiten könne.

Nehmen wir an, ein Mann, der gerne Bildhauer werden möchte, denkt, es sei ihm unmöglich, irgendein Modell genau nachzubilden, und er nimmt daher als Muster einen entstellten, falsch proportionierten Gegenstand an, indem er sich sagt, erst wenn er gelernt habe, sich der Vollkommenheit zu nähern, könne er sich auch an das vollendete Muster wagen. Welch ein mühsamer, umständlicher Weg wäre das! Wenn wir das vollkommene Vorbild wählen und täglich bestrebt sind, besseres zu leisten und heute durch die unvollkommene Arbeit von gestern zu lernen, dann machen wir Fortschritte. Nachdem an einem Gebäude das Fundament gelegt ist, vollzieht sich die Arbeit des äußeren Baues rasch, und es scheint als ob täglich viel erreicht werde. Kommt es aber erst zum inneren Ausbau, dann läßt oft die Arbeit eines Tages oder einer Woche wenig oder gar keinen Fortschritt erkennen. Der Bauherr weiß jedoch, daß die Arbeit voranschreitet, wenn auch der Unerfahrene wenig Beweis davon sieht. Je feiner die Vollendung, umso erfahrener, umso geduldiger, umso mehr bemüht muß der Arbeiter sein. Wenn man bedenkt, daß oft jahrelange Arbeit vieler Arbeiter nötig ist, um einen Bau zu errichten, der in wenigen Minuten durch Kanonenfeuer in einen Trümmerhaufen verwandelt werden kann, erscheint es dann nicht viel wichtiger, unverdrossen, geduldig, aufrichtig und ernst am Erbauen des Charakters tätig zu sein? Wir bauen für die Ewigkeit, und zwar einen Bau, den niemand und nichts zerstören kann. Jeder Sieg über den Irrtum kann nur zur Kräftigung und Verschönerung unserer Arbeit beitragen.

Wenn wir an Geistigkeit zunehmen, vermindern sich die materiellen Probleme für uns. Wir werden geistiger gesinnt und spiegeln dauernd „die Frucht des Geistes“ wieder, die, wie uns Paulus sagt, „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit“ ist. Es gibt Zeiten, wo der Irrtum durch die erste Erklärung der Wahrheit entwurzelt wird, und zu anderen Zeiten scheint das Überwinden viele Kämpfe, Schlachten und Enttäuschungen zu erfordern. Da wir aber wissen, wo „Recht tatsächlich liegt,“ können wir mutig arbeiten, auch sind wir der Überzeugung, daß die Wahrheit immer der entgültige Sieger ist. „Lasset uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören.“

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / August 1920

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.