Die mannigfache Anwendung von Bildern und bildlicher Redeweise in den heiligen Büchern der Juden ist darauf zurückzuführen, daß dieselben von Morgenländern für ihr eigenes Volk und in der dort üblichen Weise, die sich bis heute erhalten hat, geschrieben wurden. Wahrscheinlich kam es den Verfassern nie zum Bewußtsein, daß der Sinn ihrer Worte durch diesen reichen Gebrauch von Bildern verdunkelt werden könnte, oder daß es ihren Lesern je schwer fallen würde, sie zu verstehen. Es war dies ihre besondere Art, ihre Lehren zu übermitteln, und sie erwarteten natürlich von Menschen mit gleichen Denkgewohnheiten, daß sie die volle Bedeutung ihrer Lehren verstehen würden.
Lesen und Schreiben war in jenen Zeiten der Entstehung der Bibel eine Ausnahme, nicht etwa eine allgemeine Kunst. Daher mußten religiöse Wahrheiten so lebendig wie möglich dargestellt werden, und was war somit naheliegender als die Anwendung von Sinnbildern und bildlicher Darstellung? Unseres Meisters Gleichnisse sind wunderbare Beispiele für diese Art zu lehren. Wie klar umrissen stehen sie da! Wie machtvoll bringen sie die Grundlagen des Christentums zum Bewußtsein! Und doch hat man nie den Eindruck, daß Jesus dabei von besonderen Personen oder Begebenheiten sprach. Er benutzte nur die alltäglichen Erfahrungen seiner Zuhörer, um seine Darlegungen zu erläutern und sie ihrem Denken tiefer einzuprägen.
Mrs. Eddy schreibt auf Seite 320 unseres Lehrbuchs, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“: „Die Bibel ist voll von bildlichen Ausdrücken; Namen drücken oftmals geistige Ideen aus.“ Nehmen wir z. B. einmal den Begriff, den das Wort „Engel“ übermittelt. In der volkstümlichen Auffassung ist ein Engel eine Art vergeistigtes menschliches Wesen in weißen Gewändern, mit Schwingen an den Schultern. Aber glaubt wirklich jemand ernsthaft an eine solche Naturwidrigkeit? Jeder Bibelkundige sollte wissen, daß die Engel von Gott gesandte Boten waren, und die von den jüdischen und griechischen Verfassern gebrauchten Wörter wollen genau dieselbe Auffassung übermitteln. Engel waren und sind Gottes Boten oder Botschaften an die Menschen, und sie erscheinen in der Form, die den Sterblichen am leichtesten verständlich ist. Solange nun Gott als ein verherrlichtes körperliches Wesen, als ein vergrößerter und verklärter Mensch betrachtet wird, solange wird die Menschheit mit allem, was sich auf Ihn bezieht oder von Ihm ausgeht, körperliche und endliche Begriffe verbinden. Es ist also ganz natürlich, daß eine klare Vorstellung von Gott bestimmend ist für die Art und das Wesen der Boten, die Ihn vertreten.
Der volkstümlichen Begriffe oder vielmehr Mißbegriffe ungeachtet ist Gott Geist, Leben, Wahrheit, Liebe, und mit diesem Namen wird Er auch in der Bibel bezeichnet. Überdies ist Gott Gemüt. Und als die eine allerhabene Intelligenz, das eine allerhabene Gemüt, erschafft, beherrscht und leitet Er in Seiner unendlichen Weisheit das Weltall, einschließlich des Menschen, Seines Bildes und Gleichnisses. Im Matthäus-Evangelium lesen wir: „Die Weisheit muß sich rechtfertigen lassen von ihren Kindern.“ Gott ist erkennbar durch alles, was Ihn zum Ausdruck bringt. Was ist natürlicher, als daß der Schöpfer sich Seinem Bild oder Seiner Idee zu erkennen gibt, und zwar durch Sein Bild oder Seine Idee, nämlich durch „Engel,“ die da sind Boten, Botschaften oder Gedanken? Wie kann jemand überhaupt von dem Dasein Gottes Kenntnis haben oder wissen, was und wo Gott ist, ohne daß oder bis diese Kenntnis ihm durch Gedanken übermittelt wird, die das Wesen und den Charakter des Allerhöchsten genau kundtun?
Gott offenbart sich dem Menschen. Gemüt teilt sich seinen Ideen durch seine Ideen mit, „denn,“ wie Johannes sagt, „gleichwie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.“ Es ist der Wille des göttlichen Prinzips, in seinem wahren Wesen erkannt zu werden, damit auch der Mensch sich selbst erkennen möge als das wahre göttliche Bild und Gleichnis; denn es ist klar, daß er sich — die Wiederspiegelungnicht genau kennen kann, ohne eine richtige Kenntnis von dem Original zu haben. Nun steht es fest, daß Gott Seine Gedanken, Boten oder Engel in die Welt sendet, aber es kommt darauf an, ob sie von den Sterblichen aufgenommen und beherbergt werden. Vom streng metaphysischen oder geistigen Standpunkt aus betrachtet ist der Mensch unfähig, Gedanken zu hegen, die nicht aus dem göttlichen Gemüt stammen. Das sogenannte menschliche Gemüt jedoch nimmt anscheinend das als ebenso wahr und gottähnlich an, was an der Natur und dem Charakter des Prinzips keinen Teil hat, mit anderen Worten, die Sterblichen glauben an das Dasein von beidem, von Gut und Böse, von Geist und Materie, von Leben und Tod, und sie glauben, daß beide wirklich und ewig sind. Von diesem falschen Glauben muß die Menschheit erlöst werden.
Wie sollen wir nun die rettenden Engel beherbergen, und nochmals, wer sind diese Gäste, die uns Gott offenbaren? Diese Engel-Gäste sind reine und heilige Gedanken, und die Christliche Wissenschaft zeigt uns, wie man sie beherbergen kann. Das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch erhellt die Schriften der Propheten und Apostel, und die dadurch erschlossenen Schätze der Bibel enthüllen uns Gott und Seinen Plan der Erlösung von Sünde, Krankheit und Tod — von allem, das Ihm unähnlich ist — durch Christus, den Messias,— die absolute, wissenschaftliche und beweisbare Kenntnis von allem, was Gott ist, und was Er hat und tut. Aber, ehe wir für diese Gäste bereit sind, haben wir alle etwas zu tun: wir müssen unser geistiges Heim bereit machen. Einem guten Haushalter gleich müssen wir zunächst die Türen und Fenster des Verständnisses öffnen, um den Sonnenschein und den läuternden Einfluß der göttlichen Liebe hereinzulassen. Dadurch werden wir die Notwendigkeit gewahr, daß wir unser Denken befreien müssen von dem Glauben an eine Macht oder eine Gegenwart, die von dem absoluten und unendlichen Guten, dem allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen Gott getrennt ist oder Ihm entgegensteht. Wir müssen das Haus rein fegen,—„den alten Menschen mit seinen Werken“ ausziehen. Alles, was dem göttlichen Prinzip unähnlich ist, muß beseitigt werden, Übel und Materie müssen wir zurückweisen und alle Spinnweben des Neides, der Eifersucht, des Hasses, der Bosheit, der Furcht, des Ärgers und des Stolzes entfernen,— kurz alles, was uns davon abhalten könnte, Gott über alles und unseren Nächsten als uns selbst zu lieben. Dann und nicht eher sind wir bereit für die Besucher, über die die Entdeckerin und Begründerin der Christlichen Wissenschaft auf Seite 299 von „Wissenschaft und Gesundheit“ schreibt: „Engel sind Vertreter Gottes. Diese aufwärts schwebenden Wesen führen niemals zum Selbst, zur Sünde oder zur Materialität, sondern sie leiten uns zu dem göttlichen Prinzip alles Guten, dem jede wirkliche Individualität, jedes Bild oder Gleichnis Gottes zustrebt.“