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Ohne Vorurteil

Aus der November 1922-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Vor einigen Jahren bemerkte ein Gesetzgeber einem angehenden Staatswissenschaftler gegenüber: „Wenn Sie eine dem Parlament vorliegende Sache von Grund aus verstehen wollen, dann holen Sie sich Ihre Aufschlüsse nicht aus den Leitartikeln der Tageszeitungen, sondern aus den Berichten und Verhandlungen selbst.“ Es wäre ungerecht zu sagen, daß die Zeitungsberichte über die Arbeit der gesetzgebenden Körperschaft absichtlich gefärbt wären. Doch ist es sehr schwer, über Verhandlungen Bericht zu erstatten, ohne sich dabei von vorgefaßten Meinungen beeinflussen zu lassen. Bekanntlich ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Der Prüfstein für einen guten Berichterstatter ist die Fähigkeit, in seinem Bericht einen möglichst genauen Eindruck von dem zu übermitteln, was tatsächlich vorgekommen ist, und was die Redner gesagt haben. Um diesen Beweis erbringen zu können, muß er vor allen Dingen lernen, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden und sich selbst freizuhalten von äußeren Einflüssen und von einseitigen Neigungen: er muß frei von Vorurteilen sein.

Wie leicht können wir uns Fälle ins Gedächtnis rufen, wo wir uns eine ungünstige Meinung über einen Menschen bildeten durch die zufällige Bemerkung eines Freundes oder durch etwas, das wir über den Betreffenden gelesen hatten. Unsere Meinung über die verantwortlichen Staatsmänner bilden wir uns fast ausschließlich nach dem, was wir über sie gelesen oder gehört haben, und wir überlegen uns meist gar nicht, ob das Gesagte auch wahr ist. Als Christliche Wissenschafter sollten wir uns jedoch bemühen, stets aufbauend zu denken und nie die Menschen zu verdammen, wie die Umstände auch liegen mögen. Daher ist es notwendig, daß wir uns sorgfältig über die Wahrheit vergewissern und daß wir Behauptungen und Gerüchte erst erwägen, ehe wir ihnen Glauben schenken. Neue Gedankengänge, finden nicht immer bereitwillige und schnelle Aufnahme, und die Erfahrung lehrt, daß es vielfach Zeit und Geduld erfordert, bis sie richtig verstanden werden.

Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß unseres Meisters Lehre beinahe drei Jahrhunderte lang nach seiner Himmelfahrt so klar verstanden wurde, daß die Mitglieder der ersten christlichen Kirche die Kranken heilten und den Berichten gemäß sogar die Toten erweckten. Darauf folgte ein langer Zeitraum, währenddessen die praktische Bedeutung der Lehre Jesu für die Menschheit verloren schien, bis Mary Baker Eddy im Februar des Jahres 1866 die Wissenschaft derselben entdeckte. Nach dieser Entdeckung sah sich Mrs. Eddy vor die Schwierigkeit gestellt, wie sie die ihr gewordene Offenbarung der Menschheit übermitteln sollte. Sie schreibt auf Seite 114 des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“: „Neben dem üblichen Widerstand gegen alles Neue, ist das eine große Hindernis für die Aufnahme der Geistigkeit, durch welche das Verständnis der Gemüts-Wissenschaft kommt, die Unzulänglichkeit materieller Ausdrücke für metaphysische Behauptungen und die daraus folgende Schwierigkeit, metaphysische Ideen so auszudrücken, daß man sie einem jeden Leser verständlich machen kann, der die Christliche Wissenschaft, so wie sie in meiner Entdeckung zutage tritt, nicht persönlich demonstriert hat.“

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