Ein junges Mädchen, das von jeher mehr oder weniger schwächlicher Natur gewesen war, empfand es als eine große Last, hin und wieder Einkäufe und Besorgungen machen zu müssen, da es sie zu ermüden schien; draußen im Freien jedoch, zwischen den Bäumen und Blumen, konnte sie stundenlang herumlaufen und spielen, ohne die geringste Müdigkeit zu verspüren. Dann trat die Christliche Wissenschaft in das Leben dieses Mädchens und heilte sie von mancherlei persönlichen Neigungen und Abneigungen sowie von verschiedenen physischen Gebrechen. In ihrer neuentdeckten Freiheit machte sie eines Tages freudig notwendige Besorgungen. Da stellte sich plötzlich die alte Abneigung wieder ein und alles schien ihr zuwider. Der Lärm und das Gewühl in dem Kaufhause beraubten sie des Friedens und eine große Müdigkeit überkam sie. Sie hielt einen Augenblick inne und wandte sich der allgegenwärtigen Hilfe zu. Wie ein „stilles, sanftes Sausen“ kam es alsdann: „Ist Gott dir in diesem geschäftigen Treiben nicht ebenso nahe wie draußen in dem stillen Schweigen der Natur?“ und wie von süßen Engelstimmen gesungen, hörte sie die Worte Whittiers:
In des Lebens Sturm und Drang berühren wir Ihn,
Und sind wieder heil.
Friede und Freude und ein neuer Sinn von Liebe für alle Menschen fluteten nun in ihr Bewußtsein und verdrängten den Widerwillen und jegliches Gefühl der Müdigkeit. Das überfüllte Kaufhaus, mit seinem geschäftigen Treiben, das soeben noch einen trüben Eindruck hervorgerufen hatte, erschien ihr nun plötzlich wie von einem milden Schein erleuchtet. In diesem einen Augenblick hatte sich ihr Denken gewandelt, so daß sie alles in einem neuen Licht sah und sich wieder kräftig und freudig fühlte. Nicht ein physischer Zustand, sondern die Abneigung hatte die Ermüdung hervorgerufen, und rechtes Denken hatte das falsche Empfinden zerstört und die unmittelbare Heilung zustande gebracht.
Ermüdung ist eine mentale Erfahrung und wird durch mentale Zustände erzeugt. Angst, Empfindlichkeit, Verwirrung, Aufregung, Langweile sind Elemente des sterblichen Denkens, die ihrer Natur nach zerstörend sind und daher in ungleich höherem Maße ermüden, als die Annahme physischer Anstrengung. Geschäftige Martha-Naturen, die über so mancherlei Dinge besorgt und beunruhigt sind, fühlen sich „erschöpft,“ nicht infolge der vielen Arbeit, sondern weil die Sorgen dieser Welt sie der geistigen Erfrischung beraubt haben. Das Kind fleht mit weinerlicher Stimme: „Was kann ich spielen?“ und wird verdrießlich und müde. Entmutigung drückt nieder und Empfindlichkeit macht uns müde. Der Eigenwille peitscht seine Opfer zu solch sinnloser Hast an, daß sie schließlich vor Erschöpfung umfallen. So ist es auch mit dem Neid. Wie erschöpft und abgehärmt ist sein Blick, bis er schließlich dahinschwindet.
Wer hätte andererseits sich nicht erfrischt gefühlt durch einen plötzlichen Umschwung im Denken, einen neuen geistigen Antrieb, einen das eigene Ich hintenanstellenden Dienst? Wenn die Verzweiflung der Hoffnung Platz gemacht hat und die Furcht zerstört ist, dann erfüllt uns eine neue Kraft, und wir fühlen uns frisch und stark. Mit gebührender Selbstachtung kommt stille Ruhe, und die schweren Lasten der sterblichen Sorge heben sich von uns. Alle, die sich Gott Untertan machen, stellen sich damit unmittelbar unter das Gesetz des Friedens und der Harmonie. Ein freundliches Wort, ein liebevoller Blick — wie oft haben sie die Mühseligen erquickt! Herzlichkeit, Reinheit, Treue, Glaube und Liebe sind Eigenschaften des vergeistigten Denkens, die mit lebenspendenden Elementen überfließen und das Gemüt, und somit auch den Körper, befreien und stärken. Sie bringen Einsicht und Charaktertiefe mit sich, die uns im Schauen des Unendlichen niemals verloren gehen. „Güte und Mildtätigkeit,“ sagt Mrs. Eddy (Miscellany, S. 165), „ermüden niemals. Sie erhalten sich selbst und andere und stehen niemals vor Erschöpfung still.“
Es ist nicht der bewußtlose Schlaf, sondern das rechte Denken, das uns wahrhaft ausruhen läßt. In dem stillen und erhabenen Frieden des Christus-Gemüts findet jedes müde Herz die himmlische Ruhe; die Engel Gottes verkünden still und leise die Herrlichkeit der fürsorgenden Liebe und heben alle Spannungen und Bewegungen des menschlichen Gemüts auf. Mit sanfter Hand beseitigt Demut den Hochmut persönlicher Verantwortlichkeit und gibt uns die Zusicherung, daß wir aus uns selbst nichts zu tun vermögen. Sie nimmt den müden Sinn gewohnheitsmäßiger Besorgnis von uns und lenkt jeden willigen, auf sich verzichtenden Gedanken zu Gott hin, wo er Ruhe finden wird. So kommt schließlich die Genesung des menschlichen Gemüts zustande, und wir können an den frischen Wassern, zu denen Er uns führt, ausruhen.
Diese geistige Ruhe ist für alle. Wenn wir inmitten dringender Pflichten nur einen Augenblick innehalten, unser Herz zu Gott erheben und uns zu Seiner Allgegenwart bekennen,— wenn wir auf die Christus-Idee lauschen,— dann werden wir aller Sorgen und Bedrückungen los und frei wie die Kinder. Dann wirst du dich in deiner täglichen Arbeit,— sei es auf dem Lande oder in der Fabrik, im Bureau oder im Hause,— nicht mühselig uid beladen fühlen, denn der allgegenwärtige Christus gibt dir Ruhe.
Immerhin mag es Augenblicke geben, wo für uns eine tiefere geistige Erfrischung notwendig ist. Als einst die Jünger zu Jesu kamen und „verkündigten ihm das alles was sie getan und gelehrt hatten,“ sprach er zu ihnen: „Lasset uns besonders an eine wüste Stätte gehen und ruhet ein wenig. Denn ihrer waren viele, die ab und zu gingen; und sie hatten nicht Zeit genug, zu essen.“ Der Meister selber zog sich gern auf einen Berg zurück, um dort zu beten. Das Zurückziehen ins Geistige aus dem Materiellen bringt uns Genesung und befähigt uns, über Krankheit und Sünde zu triumphieren.
Wenn du dich auf der rauhen, steilen Lebensbahn, inmitten widerstrebender Meinungen, ermüdet oder gar wunden Fußes nach Ruhe sehnst und fragst: „Wozu das alles? Wem liegt daran?“ dann ist es heilige, selbstlose Arbeit, die dir wahre Erfrischung bringen wird. Wenn wir uns an Gott um Ruhe wenden, können wir vertrauensvoll die Bürden, die Er uns niemals auferlegt, von uns werfen, und was auch immer unsere menschliche Erfahrung sein mag, auf den grünen Auen der Christlichen Wissenschaft ausruhen und, wie es im Kirchenlied heißt, „auf dem mühsamen Pfade anhalten und die Engel singen hören.“