Wer Treue gegen Gott zum Ausdruck bringen will, muß auch in gewissem Grade verstehen, was Gott ist. Seit Jahrhunderten haben die Menschen versucht, Ihm treu gesinnt zu sein; aber wie oft hat gerade diese Gesinnungstreue zu den bittersten Kämpfen unter Brüdern geführt, weil man über Sein Wesen verschiedener Meinung war! Die irrtümliche Annahme, daß die Menschen keinen Anspruch darauf haben, Gott zu verstehen, ja daß selbst der Versuch, ein solches Verständnis zu erlangen, gotteslästerlich sei, ist in hohem Grade verantwortlich für die Verschiedenheit der Auffassung darüber, worin die Treue gegen Ihn besteht.
Im Gegensatz zu dieser Annahme lehrte Jesus, daß Verständnis von Gott die Grundbedingung zu allem christlichen Streben ist. Obschon die Christenheit bereitwillig zugibt, daß Jesus den Vater verstand, scheint sie doch in der Hauptsache vergessen zu haben, daß er stets die Tatsache betonte, daß Gott nicht nur sein Vater sondern auch unser Vater ist, und daß wir gleich ihm das Vorrecht haben, Gott zu verstehen und zu erkennen. Jesus offenbarte das wunderbare Wesen Gottes. Kraft seines Verständnisses von diesem Wesen und seiner Treue gegen dasselbe konnte er beweisen, daß Gottes Kind stets die göttliche Macht und Gegenwart wiederspiegelt.
Indem die Christliche Wissenschaft die Ausdrücke „Gemüt” und „gut” anwendet, um Gott Zu erklären, öffnet sie sogleich den Weg zum richtigen Verständnis von Ihm. Selbstverständlich muß man Gemüt an seinen Gedanken erkennen. Da nun Gott göttliches Gemüt ist und da Gott gut ist, müssen auch die Gedanken des Gemüts gut sein, und durch die guten Gedanken des göttlichen Gemüts lernen wir demnach Gott kennen. Alle guten Gedanken entspringen also dem göttlichen Gemüt und gehören diesem Gemüt an, da Gemüt, Gott, unendlich ist. Daraus geht deutlich hervor, daß der zum Bilde Gottes erschaffene Mensch die von Gott verliehene Fähigkeit haben muß, die guten Gedanken zu denken, die Gott, das göttliche Gemüt, ihm gibt. Das ist eine sehr einfache Logik, und sie ebnet den Weg zu dem Beweis, daß der Mensch mit Gott eins ist, was Jesus so vollkommen demonstriert hat.
Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 183): „Das göttliche Gemüt verlangt mit Recht des Menschen ganzen Gehorsam, seine ganze Neigung und Stärke. Kein Vorbehalt wird für irgendeine geringere Pflichttreue gemacht.” Diese Erklärung zeigt, was vollkommene Treue gegen Gott in sich schließt, nämlich: liebevollen, unentwegten Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gemüt! So einfach und so klar ist diese Darlegung wahrer Treue, daß kein ehrliches Herz sie mißverstehen kann. Man stelle sich vor, was es bedeuten würde, wenn man dem göttlichen Gemüt allein gehorchte, wenn man stets nach Seinen guten Gedanken Ausschau hielte, sich an sie klammerte, sie anwendete und sich weigerte, auch nur einen andern zu hegen! Auf das Gemüt Vertrauen haben bedeutet notwendigerweise auch auf die dem Gemüt entspringenden Gedanken Vertrauen haben.
Wie klar auf der Hand liegt es doch, daß wir Gott, dem göttlichen Gemüt, dann treu sind, wenn wir auf Seine guten Gedanken Vertrauen haben! Sie mit diesem Vertrauen anwenden würde bedeuten, daß man im Gemüt Christi verharrt, und es würden unvermeidlich die Werke zustande kommen, die Jesus tat. Werfen wir jedoch einen Blick über das Arbeitsfeld: wie spärlich scheint dann dieses Vertrauen zu sein, wie gering die Treue gegen das göttliche Gemüt! Jede Zeile ihrer Lehrbücher lehrt die Christlichen Wissenschafter, daß Treue gegen Gott es ihnen möglich machen würde, sich so auf dieses Gemüt und seine guten Gedanken zu verlassen, daß Furcht und Zweifel keine Gelegenheit mehr hätten, in ihr Denken einzudringen.
Wenn die Christlichen Wissenschafter in Versuchung kommen, für das Wohlergehen ihrer Mit-Wissenschafter besorgt zu sein, dürfen sie nicht vergessen, daß sie dem Gemüt, das gut ist, Treue zu bewahren haben. Angenommen, z. B., einige unsrer Kirchenmitglieder vernachlässigen scheinbar die Gottesdienste und werden allem Anschein nach von weltlichen Dingen ganz in Anspruch genommen. Wie können wir ihnen helfen? Dadurch, daß wir ihre Versäumnisse überall tadelnd herumreden und Befürchtungen für das Gedeihen der Kirche äußern wegen der Nachlässigkeit ihrer Mitglieder? Solches Vorgehen bringt sicherlich keine Treue gegen das göttliche Gemüt zum Ausdruck. Es zeigt nicht, daß man Vertrauen hat auf das Gemüt und seine heiligen Gedanken. Im Gegenteil, es würde beweisen, daß man die Macht des göttlichen Gemüts, jeden falschen Schein, jede falsche Neigung zu berichtigen, ganz und gar vergessen hat.
Wenn jedes Kirchenmitglied mental zu Hause bleibt und sich weigert zuzugeben, daß irgend etwas das Gedeihen Zions aufhalten oder verhindern kann, wenn es seine Zeit dazu anwendet, seinen Glauben an einen feindlichen Einfluß, der die Menschen von freudiger Treue gegen Gott und Seine Sache abbringt, zu zerstören, wenn es auf diese Weise den Christus erhöht, werden dann seine irrenden Brüder nicht um so schneller wieder erkennen, daß es auch für sie besser ist, Gott treu zu bleiben? Auf jeden Fall gibt es immer noch Millionen von Menschen, die sich danach sehnen, Gott so verstehen zu lernen, daß Seine Verheißung aus Jeremias Zeit an ihnen in Erfüllung gehen möge: „So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.” Pflichtgetreue Arbeiter werden sich gewiß davor hüten, vom Kernpunkt der Sache abzuweichen, d.h. von der Notwendigkeit, ihr Denken fest auf das göttliche Gemüt gerichtet zu halten und seine guten Gedanken wiederzuspiegeln, damit um so eher bewiesen werde, daß Treue gegen Gott von allen geübt werden kann.
Die Christlichen Wissenschafter haben das beseligende Vorrecht, ihr eignes Bewußtsein von allem, was dem göttlichen Gemüt unähnlich ist, zu reinigen. Sie können sich stets der Tatsache bewußt bleiben, daß Treue dem Gemüt, dem Guten, gegenüber heißt, an nichts andres zu glauben als an dieses Gemüt, und sich zu weigern, andre Gedanken zu beherbergen als die Gedanken des göttlichen Gemüts; denn, wie unsre Führerin in Retrospection and Introspection (S. 28) sagt: „Er [Gott] muß in praktischer Weise der unsre sein, muß jeden Gedanken und jede Tat regieren; denn sonst können wir die Allgegenwart des Guten nicht genügend verstehen, um die Wissenschaft des vollkommenen Gemüts und des göttlichen Heilens auch nur teilweise zu demonstrieren.”
