Bei der Betätigung der Christlichen Wissenschaft kommt man bald zu der festen Überzeugung, daß durch die Vergegenwärtigung der Wahrheit des Seins diese Wahrheit auch stets demonstriert wird. Wohl mag das Böse seine falschen Ansprüche an uns nach mancher Richtung hin geltend machen; aber in dem Augenblick, da man sich die Allheit Gottes, des Guten, vergegenwärtigt und somit auch die Tatsache erkennt, daß das Böse unwirklich ist, beweist man naturgemäß auch die Macht des Guten über die Annahme vom Bösen. Heißt das Böse nun Krankheit, so verschwindet die Krankheitsannahme dadurch, daß man sich die Allheit und Allgegenwart des harmonischen Seins vergegenwärtigt. Gerade über diesen Punkt äußert sich Mrs. Eddy auf Seite 7 von Unity of Good mit großem Nachdruck. Sie schreibt da: „Ein unbestreitbarer Punkt in der göttlichen Wissenschaft ist der, daß die Vergegenwärtigung der Tatsache, daß Gott Alles ist, sogar den Sinn für Sünde oder das Bewußtsein davon verbannt und uns Gott näher bringt, wodurch die höchsten Phänomene des All-Gemüts ans Licht gebracht werden.”
Bei der Überwindung der falschen Annahmen des sterblichen Gemüts ist der Schüler der Christlichen Wissenschaft also vor allem bestrebt, eine klare Vergegenwärtigung von der Wahrheit zu erlangen. Das ist das Hauptziel, das zu erreichen er entschlossen sein muß. Ob er nun längere Zeit gebraucht, um sein Denken durch mentale Beweisgründe zu klären, oder ob es ihm augenblicklich gelingt, sein Ziel ist, sich die Wahrheit so klar zu vergegenwärtigen, daß er diese Wahrheit auch beweist durch die Zerstörung aller falschen Annahmen, die sich ihm entweder in Gestalt seiner eignen Gedanken oder durch die eines andern scheinbar aufdrängen möchten. Und nichts kommt der Freude gleich, die man empfindet, wenn man infolge der Vergegenwärtigung der Allheit Gottes und der wunderbaren Wirklichkeit des vollkommenen Seins das Alpdrücken der Krankheit von einem Leidenden weichen sieht wie Nebel vor den warmen Strahlen der aufgehenden Sonne und wenn der Betreffende seinen „gesunden Sinn,” d.h. in gewissem Grade das Gemüt Christi, wiedererlangt; denn für dieses Gemüt ist aller Irrtum unwirklich, er ist ihm also auch unbekannt.
Eine nähere Betrachtung der Heilungswerke Christi Jesu, wie sie in den vier Evangelien berichtet sind, eröffnet die Tatsache, daß der Nazarener beinah jedesmal, wenn die Kranken und Sündigen zu ihm gebracht wurden, sich die Wahrheit äußerst lebhaft und unmittelbar vergegenwärtigte, sodaß die meisten der von ihm vollbrachten Heilungen augenblicklich waren. Ein Beispiel dafür ist der kranke Mann am Teiche Bethesda in der Nähe des Schafmarktes, zu dem er sagte: „Stehe auf, nimm dein Bett und gehe hin!” worauf „der Mensch gesund [ward] und nahm sein Bett und ging hin.” Ein andrer Fall der sofortigen Demonstration der Wahrheit war die Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand. Als dieser aufgefordert wurde, seine Hand auszustrecken, „streckte [er] sie aus; und sie ward ihm wieder gesund gleich wie die andere.” Wie klar und unmittelbar muß die Vergegenwärtigung der Wahrheit bei dem Meister gewesen sein, da er solche augenblicklichen Wirkungen erzielen konnte! Beim Gedanken an diese wunderbaren Werke kommen einem auch Mrs. Eddys Worte auf Seite 13 von Rudimental Divine Science in den Sinn: „Wenn sich der Heiler die Wahrheit vergegenwärtigt, wird sein Patient frei werden.” Die Vergegenwärtigung der Wahrheit durch die Christlichen Wissenschafter zeitigt in unsern Tagen Ergebnisse ganz derselben Art wie die von Jesus hervorgebrachten.
Wir müssen beständig auf der Hut sein, damit wir uns nicht verleiten lassen, die heilende Macht der Vergegenwärtigung der Wahrheit zu vergessen. Das sterbliche Gemüt scheint uns, der Annahme nach, beständig mit dem Glauben zu versuchen, daß wir uns die Wahrheit nicht klar genug vergegenwärtigen können, um diesen oder jenen Fall zu heilen. Diese Lüge ist wohl der erste Irrtum, den wir zu überwinden haben, ehe wir den Fall richtig behandeln können. Aber welch eine Täuschung ist die Versuchung zu glauben, daß das vergeistigte Bewußtsein eine Krankheit nicht zu heilen vermag! Man sollte ihr augenblicklich entgegentreten und ihr durch das geistige Verständnis von der Tatsache entgegenwirken, daß Wahrheit allmächtig ist, alles ihr Unähnliche zu zerstören. Scheint dieser Irrtum uns von außen eingeflüstert zu sein, so wird das Verständnis von der Allheit des Gemüts die falsche Vorstellung aufheben; denn nur die vollkommenen und harmonischen Ideen des göttlichen Gemüts können dem Menschen übermittelt werden und von ihnen allein kann er Kenntnis haben.
Jeder aufrichtige Vertreter der Christlichen Wissenschaft ist bestrebt, augenblickliche Heilungen zu erzielen. Und wer geheilt zu werden wünscht, wer aufrichtig bemüht ist, die heilende Wahrheit kennen zu lernen, sollte seine Demonstration von der Wahrheit nicht durch das Heraufbeschwören des Furchtgedankens aufhalten, daß es eine unbestimmte oder längere Zeit dauern wird, bis der Irrtum, der ihn scheinbar in Banden hält, zerstört ist. Er sollte sich an allem, was er von Gott weiß, festklammern; er sollte mehr und mehr bestrebt sein, sein Denken zu vergeistigen, und auf diese Weise dem ausübenden Vertreter helfen, sich die heilende Macht der Wahrheit zu vergegenwärtigen. Der Aufforderung unsrer verehrten Führerin auf Seite 412 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” gemäß sollten wir „mental darauf [bestehen], daß Harmonie die Tatsache, und Krankheit ein zeitlicher Traum ist. Vergegenwärtige dir die Anwesenheit der Gesundheit und die Tatsache des harmonischen Seins, bis der Körper dem normalen Zustand von Gesundheit und Harmonie entspricht.” Und selbst wenn sich die Heilung zu verzögern scheint, so darf das kein Nachlassen in dem Bestreben verursachen, sein Denken zu vergeistigen, um sich die Wahrheit vergegenwärtigen zu können, die Wahrheit, die letzten Endes über jede falsche Annahme des materiellen Sinnes den Sieg erringen muß.
