Phidias, der um das Jahr 500 vor Christus geboren wurde, war einer der ersten großen Bildhauer. Ihm wird die Oberleitung der Erbauung des Parthenon, den Perikles errichten ließ, zugeschrieben. Mit diesem herrlichen Tempel als Mittelpunkt entwarf er das Werk der Verschönerung der Burg Akropolis und führte es aus; und wie sonst keiner genießt wohl er das Verdienst der Erhaltung der reinen dorischen Richtung im Stil der Baukunst. Seine Verzierungen waren den Umrissen des Baus stets untergeordnet. Kein Standbild schmückte ihn, wenn es in den allgemeinen Plan nicht harmonisch hineinpaßte, um mit ihm ein schönes, vollkommenes und vollständiges Ganzes zu bilden.
Solange sich die späteren Baumeister an die von Phidias eingeführte Einfachheit hielten, blieb die Baukunst auf der Höhe; aber in den folgenden Jahren kamen andere Baumeister auf, die mehr Wert auf eine Bereicherung des Plans mit Verzierungen legten. In dem Verhältnis, wie dieses Verlangen nach übertriebener Verzierung allgemeiner wurde, sank die Kunst von ihrer Höhe herab; und die Baukunst entfernte sich von der einfachen Natürlichkeit des Phidias so weit, daß die Bauwerke oft nur als Unterlage oder Hintergrund der Sicherung des Andenkens hervortretender Persönlichkeiten dienten, wie sie denn auch mit Helden und Heiligenstandbildern geschmückt wurden.
Der demütige Nazarener lehrte in kindlichem Vertrauen das Evangelium des Heilens und hielt am göttlichen Prinzip fest. Solange seine Nachfolger von dieser Einfachheit und von dem von ihrem Meister gegebenen Beispiel nicht abwichen, hatten sie Erfolg, selbst beim Auferwecken der Toten. Im Laufe der Zeit drängten sich aber diejenigen hervor, die mehr äußerliches Auftreten, Gepränge und Glanzentfaltung liebten; und es kam Konstantin mit seinen Religionsgebräuchen und Feierlichkeiten und Wagen herangefahren und schien die Einfachheit der Lehre Jesu, die seine Nachfolger betätigten, zeitweilig zu verdrängen. Die Glanzentfaltung eines gelehrten Formenwesens verbarg eine Zeitlang die Christus-Idee, der Sand der Verblendung schien den Grundbau des ursprünglichen Christentums zu verschütten, und Heuchelei erhob den Anspruch, seine Stelle einzunehmen. Der Geist, der lebendig macht, wurde um des Buchstabens willen, der tötet, verlassen. Das „Licht, welches alle Menschen erleuchtet”, schien zu erlöschen und mehr oder weniger dichte Finsternis das Erdreich zu decken, bis die Christus-Idee durch Mary Baker Eddy wieder ans Licht gebracht wurde. Die Falschheit des Glaubens an eine materielle Daseinsauffassung wurde durch ihre Entdeckung enthüllt, die den Felsen, Christus, die geistige Grundlage, worauf die Christliche Wissenschaft ruht, offenbart.
Unsere Führerin sagt uns in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 123), daß die Offenbarung der Christlichen Wissenschaft aus zwei Teilen bestehe. Der erste ist die „göttliche Wissenschaft des Gemüts-Heilens”, der zweite dessen „Beweis”. Sie schreibt ferner (S. 471): „Seitdem ist ihr [Mary Baker Eddys] höchstes Glaubensbekenntnis die göttliche Wissenschaft gewesen, welche sie, nachdem sie sie auf das menschliche Auffassungsvermögen zurückgeführt hatte, Christian Science nannte”. Im zweiten Teil finden wir auch den Beweis des Heilens, das die Anwendung ihrer Lehre ist.
Ebenso besteht auch die Auslegung des Begriffs Kirche aus zwei Teilen (Wissenschaft und Gesundheit, S. 583). Der erste heißt: „Der Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht”. Dies „auf das menschliche Auffassungsvermögen zurückgeführt”, ist im zweiten Teil bekundet, der lautet: „Die Kirche ist diejenige Einrichtung, die den Beweis ihrer Nützlichkeit erbringt, und die das Menschengeschlecht hebt, das schlafende Verständnis aus materiellen Annahmen zum Erfassen geistiger Ideen und zur Demonstration der göttlichen Wissenschaft erweckt und dadurch Teufel oder Irrtum austreibt und die Kranken heilt”. Die geistige Idee von Kirche muß für uns also ein Tempel der Ehre, der Gerechtigkeit, der Reinheit und der Wahrheit sein,—ein aus dem vergeistigten Bewußtsein hervorgegangener Tempel; und dieses „auf das menschliche Auffassungsvermögen” zurückgeführte Verständnis wird einen Bau zur Folge haben, worin man den immer gegenwärtigen und allmächtigen Gott anbetet.
Durch Gehorsam gegen die Christliche Wissenschaft gewinnt unser Charakter beständig das Gott-gleiche—„ein Haus, nicht mit Händen gemacht”—, und wir erbringen den Beweis, daß wir „der Tempel des lebendigen Gottes” sind. Dies führt zu einer geistigen Wiedergeburt, die sich nicht nur in einer Rückkehr zu der von Jesus gelehrten und bewiesenen reinen Einfachheit sondern auch in einer Rückkehr zu dem von Jesus und seinen Jüngern und Nachfolgern ausgeübten Heilen bekundet.
Als die Israeliten in der Wüste die Stiftshütte bauten, „brachten aber beide, Mann und Weib, wer’s willig tat, Spangen, Ohrringe, Ringe und Geschmeide und allerlei goldenes Gerät. Dazu brachte jedermann Gold zum Webeopfer dem Herrn”. In sehr kurzer Zeit hatten sie mehr als genug; und wir lesen: „Da gebot Mose, daß man rufen ließ durchs Lager: Niemand tue mehr zur Hebe des Heiligtums. Da hörte das Volk auf zu bringen”. In gleicher Weise wurde der zum Bau Der Mutter-kirche im Jahre 1894 und zum Erweiterungsbau Der Mutter-Kirche im Jahre 1906 nötige Betrag überzeichnet. In beiden Fällen mußte der Vorstand der Kirche der Christlichen Wissenschaft öffentlich bekannt geben, daß keine weiteren Beiträge mehr nötig seien. Wenn wir nach dem auf dem Berge gezeigten Bilde gehen, dann bauen wir genau und unsere Mittel sind in Überfülle vorhanden; sich aber von Prinzip abund der Persönlichkeit zuwenden, heißt, sich von der allgegenwärtigen Versorgung trennen und sich verpfänden und in Schulden stürzen, und bedeutet heutzutage ebenso einen Verfall der Kunst und des Heilens wie zur Zeit Konstantins.
Wenn wir nur wüßten, daß wir bloß zum Ausdruck bringen müssen, was im Reich des Gemüts als schon vollbracht besteht! Der Mensch, den wir als vollkommen sehen sollten, ist schon vollkommen. Fähigkeit und Gelegenheit gehen Hand in Hand. Immer, wenn uns Gelegenheit geboten wird, einen Kranken zu heilen, sollten wir wissen, daß uns, da Gott durch uns wirkt, die Kraft verliehen ist, es zu vollbringen; und wenn uns Gelegenheit geboten wird, eine Kirche der Christlichen Wissenschaft zu bauen, sollten wir aus demselben Grund wissen, daß uns die Fähigkeit verliehen ist, sie zu bezahlen. Jesus sagte: „Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke”.
Zu wissen, daß Versorgung allgegenwärtig ist, eben weil sie von Gott stammt, macht den Menschen unaufhörlich empfänglich. Der Mensch braucht sich nicht einen Lebensunterhalt zu schaffen; er bringt ihn zum Ausdruck. Wenn wir dies verstehen, werden wir uns mehr als je nutzbringend betätigen. Das göttliche Gemüt ist der einzige Schöpfer. Es schuf des Menschen Lebensunterhalt, als der Befehl erging, daß es Licht werde, „und es ward Licht”. Das unendliche Gute schließt des Menschen unerschöpfliches Einkommen in sich; und die einzige Beisteuer, die von uns verlangt wird, ist, daß wir „dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!” Wenn man sich ans Gold hängt, betrachtet man die Materie als Versorgungsmittel und macht sich von wirtschaftlichen Verhältnissen und den Schwankungen des Geldmarktes abhängig. Vertrauen auf Gott hingegen läßt einen die Gedanken des göttlichen Gemüts als Tauschmittel erkennen und schützt einen vor Mißerfolg, vor Geschäftsstockungen oder Geldentwertung. Je mehr man glaubt, Geld sei Macht und Substanz, desto mehr treibt einen die Furcht dazu, sein angelegtes Geld zurückzuziehen und es im Schrank aufzuhäufen; und wenn genug Leute den regelmäßigen öffentlichen Geldverkehr auf diese Weise ins Stocken bringen, verursachen sie einen unheilvollen Zustand, den die Annahme als allgemeine Geldnot oder Bestürzung kennt. Unbewegte Luft wird unrein; stehendes Wasser wird faul; Geld, das nicht im Verkehr ist, wird zum verborgenen Zentner. Umlauf ist das Heilmittel. Untätigkeit auf jedem Gebiet ist das Gegenteil von Gott. Gottes Stille verlangt Tätigkeit,—das Wirken des Friedens. „Meinen Frieden gebe ich euch”.
Unbenützter Überschuß ist Verschwendung. Den Israeliten verdarb mehr als genug Manna. Wenn wir erkennen lernen, daß Gott die Quelle unserer Versorgung ist, und daß Er uns jeden Tag alles gibt, was wir brauchen; wenn wir nur um den täglichen Bedarf bitten, dann hören wir auf zu glauben, daß Geld Macht ist, und wir vergegenwärtigen uns, daß Gemüt die einzige Macht ist. Dann hören wir auf, unser Geld aufzuhäufen, und geben es wieder in den Verkehr. Vertrauen auf Gott und auf unsere Mitmenschen verdrängt die Bestürzung, und jede Geldnot verschwindet. Wir demonstrieren nicht Geld: wir demonstrieren das göttliche Prinzip; und das göttliche Prinzip versorgt uns mit dem, was wir brauchen. Indem wir dies tun, verwirklichen wir, daß das Gemüt die einzige Substanz und die alleinige Quelle der Versorgung ist.
Wenn wir Vermögensanlagen in der Geistigkeit machen, so werden unsere Gewinnanteile—die „Früchte”, die „alle Monate” hervorgebracht werden—sicher sein. Mit Gedanken, die das göttliche Gemüt zum Ausdruck bringen, als Kapital und mit dem Wirken des Geistes als Arbeit bringen wir Kapital und Arbeit in Einklang. Jeder von uns wird Kapitalist; jeder von uns wird Arbeiter beim Errichten unserer Kirche; und weder unser Kapital wird je entwerten oder der Ausbeutung anheimfallen, noch unsere Arbeit durch Streik aufhören.
Außerhalb der Unendlichkeit gibt es kein Sein. Daher kann der Mensch in Wirklichkeit nicht außer Stellung, außer Versorgung oder außer Gesundheit sein; denn er kann nicht außerhalb Gottes sein. Der Mensch ist immer da, wo Gott ist; und Gott versorgt den Menschen stets mit dem, was er braucht. Denn der Mensch lebt unter dem nie versagenden Gesetz der Versorgung; er ist das ewige Spiegelbild von Gottes ewigem Geben. Der Mensch lebt im Überfluß—in der Fülle, im Reichtum—des unendlichen Geistes, „trunken von den reichen Gütern deines Hauses”. Wenn wir auf diese Weise lernen, alle unsere Vermögensanlagen unter der Führung des göttlichen Gemüts zu machen, werden wir finden, daß unsere Kirchengebäude gebaut, bezahlt und eingeweiht sind, nach den Worten Maleachis: „Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf daß in meinem Hause Speise sei, und prüfet mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle”.
