Nachdem einer, der erst angefangen hat, sich mit der Christlichen Wissenschaft zu befassen, den Segen der ersten Früchte erfahren hat, die ihm das Erforschen der Christlichen Wissenschaft bringt, wird es ihm manchmal klar, daß es in seinem Charakter vieles gibt, das verbessert werden muß. Er sieht sich, wie er sich nie zuvor gesehen hat, und diese Selbsterkenntnis veranlaßt ihn nicht nur zum Nachdenken, sondern eröffnet ihm auch ein weites Feld, auf dem er die Irrtümer des materiellen Sinnes wissenschaftlich überwinden kann. Aus diesem Zustand führt natürlich ein Weg heraus, und dieser Weg ist der Maßstab Christi Jesu. Obwohl der an den Christlichen Wissenschafter gestellte Maßstab ein hoher ist, so ist es doch immer möglich, das Christus-Ideal zu erlangen. Selbst als Christus Jesus unter der Last des Hasses und Mißverständnisses der Welt niedergebeugt war, konnte er sagen: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht”. Wies er mit diesen Worten nicht auf die Machtlosigkeit des Bösen, auf die Tatsache hin, dass das Böse nicht imstande ist, das göttliche Wesen seines Menschentums zu überwiegen? Es ist wahrscheinlich. Auf jeden Fall bereitete er seinen Jüngern keine Schwierigkeiten, auch deutete er nicht durch Wort oder Tat an, daß er ihnen eine unausführbare Aufgabe gestellt hatte.
Seine Jünger waren hauptsächlich einfache Männer ohne Verstandesoder Gelehrtenauszeichnung, die sie der Nachwelt empfehlen konnte. Dennoch lebt ihr Name im Denken von Millionen von Christen fort, die die Lehren Christi Jesu als ihre Richtschnur angenommen haben. Die Jünger waren einfache Männer. Das hinderte sie aber nicht, große Männer zu sein. Tatsächlich war es ihre unverkennbare Gedankenschlichtheit, die dazu beitrug, sie groß zu machen. Ebenso waren sie demütige Männer; denn gaben sie nicht ebensowohl ihre Schwächen zu, als wie sie sich auch ihrer Siege erfreuten? Immer und immer wieder während seines dreijährigen Wirkens mußte sie der Meister wegen ihrer Stumpfheit und ihres Unglaubens zurechtweisen. Sie wurden aber dadurch nicht entmutigt, und zu unserer Unterweisung haben sie Berichte über die damaligen Umstände hinterlassen.
Ein Schüler kann am Anfang seines Lernens unmöglich so viel wissen wie zuletzt bei der Prüfung. So kann auch einer, der mit dem Forschen in der Christlichen Wissenschaft erst angefangen hat, nicht erwarten, seinen Mangel an geistigem Verständnis auf einmal und ohne alle nötigen Schritte zu tun, die ihn aus seiner Unwissenheit herausheben, zu überwinden. Wiederum ist auch der vorgeschrittene Christliche Wissenschafter demütig. Er brüstet sich nie mit überragendem Wissen. Durch die Taufe des Heiligen Geistes hat sich aber sein Bewußtseinszustand, um die Worte Mrs. Eddys in Miscellaneous Writings (S. 204) zu gebrauchen, festbegründet in „Kraft, Freiheit, einem tiefen Gottes-Glauben; und einem erstaunlichen Verlust an Glauben an das Böse, an menschlicher Weisheit, an menschlicher Klugheit, menschlichen Wegen und Mitteln”.
In dem göttlich geoffenbarten Gesicht der Wirklichkeit, das sich dem Johannes am Ende seiner irdischen Erfahrung auf der Insel Patmos entfaltete, und worüber im Buch der Offenbarung berichtet ist, drückt Johannes keine Selbstzufriedenheit wegen seines so tiefen Verständnisses der Dinge Gottes aus. Im Gegenteil, eine tiefe Demut liegt dem ganzen Ton seiner Botschaft zu Grunde. Es ist die Demut eines Menschen, der die Größe und Güte Gottes erfahren hat und in Ehrfurcht davor steht. Es ist das Verhalten eines Menschen, der die seinem Blick entfaltete Schönheit einer lieblichen Landschaft betrachtet. Die Nachtnebel der Materialität werden durch das Kommen eines mächtigen geistigen Erwachens zerteilt. Durch die Läuterung, die seine Erfahrungen bewirken, lernt er, daß er aus sich selbst nichts tun kann. Er sieht Gott als den Urheber alles Guten an.
Wie viele von uns fühlen und wissen, daß alles Gute von Gott ist, daß Sein Wille der einzige Wille ist, Sein Gutes das einzige Gute, Seine Liebe die einzige Liebe? In dem Maße, wie wir uns das vergegenwärtigen, geben wir unsere Güte, unsern Willen und unsere Liebe für das auf, was vom Vater kommt. Christus Jesus sagte: „Ich kann nichts von mir selber tun”. Aber in jenem erhabenen Augenblick vor seiner Himmelfahrt konnte er auch sagen: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden”, womit er klar bewies, daß das Aufgeben persönlicher Güte, menschlichen Willens und anderer sterblicher Eigenschaften ihm nichts Wünschenswertes nehmen konnte, sondern ihm alles gab.
Zu keiner Zeit in der Weltgeschichte war Selbstlosigkeit mehr vonnöten als heute. Schreit die Welt nicht nach Ruhe, nach Befreiung? Befreiung wovon? Von Krieg? Ja, gewiß, Befreiung von Krieg, was aber wichtiger ist, nach Befreiung von dem, was Krieg verursacht, nämlich der Selbstsucht. Die Christliche Wissenschaft hat eine Botschaft an die Menschheit über die Selbstsucht. Sie beweist, daß Selbstsucht sich nicht lohnt. Im Geschäft verhindert sie Zusammenarbeit und Wachstum, aus dem Familienkreise schließt sie Liebe und Harmonie aus, in den Angelegenheiten der Völker verzögert sie den Fortschritt. Selbstsucht übt auf alle menschlichen Tätigkeiten einen verderblichen Einfluß aus und erwürgt schließlich ihr Opfer mit eben der Waffe, die sie zu dessen Verteidigung geschaffen hat. Aber der Tag bricht an und Befreiung von diesem Joch ist nahe. Liebe zu Gott und dem Menschen muß der Prüfstein der Größe sein; dann wird Güte und Geistigkeit nicht länger verachtet und zurückgewiesen, sondern von allen Menschenkindern geliebt und gelebt werden.
Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.—Phil. 2:12, 13.
