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Das Überwinden des mesmerischen Mitleids

Aus der März 1925-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Eine der stärksten Neigungen des sogenannten sterblichen oder fleischlichen Gemüts ist sein Verlangen nach Mitleid, ein tiefes Sehnen danach, daß andere seine Freuden und Leiden kennen und sie mit ihm teilen. So stark wird dieses Sehnen nach Mitleid zuweilen, daß die Sterblichen ohne Mitleid zu ermatten, ja, sogar umzukommen scheinen. Ferner verlangt die Art des Mitleids, das begehrt wird, nicht nur das Bekanntsein mit den eigenen Gedanken, Wünschen, Freuden und Sorgen, sondern sogar auch die Übereinstimmung mit dem und die Annahme dessen, was auch immer das sterbliche Gemüt für sich als wirklich und dauernd beanspruchen möge. Ein derartiges scheinbares Übereinstimmen mit seinen Ansprüchen scheint dem sterblichen Gemüt tiefe Befriedigung, ja, große Genugtuung zu bereiten.

Die Kranken freuen sich, wenn man ihre Krankheitsannahmen kennt und als wahr annimmt; die Traurigen möchten die Ursache ihres Kummers anerkannt haben und Mitleid mit ihrem Gemütszustand ausgedrückt sehen; auf der höchsten Höhe des Erfolgs verlangen die Menschen Anerkennung ihrer Errungenschaften und Zustimmung zu ihrer eigenen hohen Meinung darüber. In dieser Weise wird das sterbliche Gemüt durch sein großes Verlangen nach Mitgefühl sozusagen zum Tyrannen und Autokraten, der nicht nur Beachtung verlangt, sondern auch darauf besteht, daß die Wichtigkeit seiner Stellung anerkannt und ihr die gebührende Ehre erwiesen werde.

Die Christlichen Wissenschafter begegnen dieser Erscheinungsform der sterblichen Annahme so oft, daß sie ein tiefes Dankbarkeitsgefühl gegen Mrs. Eddy dafür empfinden, daß sie die Lage so klar zergliedert und für ein Heilmittel gesorgt hat. In einer jener kurzgefaßten Darlegungen, die so häufig eine dunkle Ecke des menschlichen Bewußtseins erleuchten, schreibt Mrs. Eddy in Unity of Good (S. 18): „Der Irrtum sagt, daß du den Kummer kennen mußt, um ihn zu trösten. Wahrheit, Gott, sagt, am häufigsten tröstest du andere in Schwierigkeiten, die du nicht hast. Kommt unser Tröster nicht immer von außen und oben anstatt aus uns selbst?”

Wie klar ist die Lage in diesen Worten dargelegt! Nicht dadurch, das man den Irrtum—Leid, Krankheit, Elend—kennt, kann man ihn trösten und heilen; vielmehr hilft man dadurch, daß man seine Nichtsheit, seine vollendete Unwirklichkeit, erkennt; denn Gott kennt vom Menschen nur dessen Vollkommenheit; und nichts, das Gott nicht über den Menschen weiß, ist wahr über ihn. Daher kann der, der die Kranken und Traurigen trösten möchte, einem Hilfebedürftigen in dem Maße helfen, wie er sich über die Versuchung, einem mesmerischen Mitleid nachzugeben, erhebt und mit Verständnis des Menschen Vollkommenheit und Unversehrtheit behauptet. Wie man sieht, stimmt diese Haltung den falschen Ansprüchen des sterblichen Gemüts, seinen Befürchtungen und Unwahrheiten, nicht bei sondern widerspricht jedem seiner Ansprüche bis auf den kleinsten Anschein von Wahrheit; es erkennt vielmehr das sterbliche Gemüt als einen „Lügner und ein Vater derselben”.

Des Meisters Anklage des Irrtums, den die Juden in der Absicht, ihn zu quälen, bekundeten, ist ebenso wahr über jede Erscheinungsform der sterblichen Annahme, die sich als wahr darzubieten wagt, wie über jene besondere Irrtumsform, die seine Worte so wirksam zurechtwies. Diese Form der sterblichen Annahme ist außerdem „ein Mörder von Anfang”, der nie in der Wahrheit bestand, denn seine Grundlage ist gerade die Sterblichkeit, deren einziger Ausgang die Erfahrung ist, die er den Tod nennt. Und es folgt, daß alle, die dem Irrtum beistimmen, denselben Weg der Erfahrung zurücklegen müssen, bis das fleischliche Gemüt, von Geist erleuchtet, aus seinen Unwahrheiten herauserzogen ist. Doch dieses Ergebnis wird nie dadurch erreicht, daß man den Ansprüchen des Irrtums beistimmt, sondern vielmehr dadurch, daß man bestimmt und unwiderruflich seine Unwahrheit erklärt. In welchem Maße würde es einem Vertreter der Christlichen Wissenschaft, der dem Zeugnis der körperlichen Sinne über den Zustand des Patienten beistimmt, gelingen, diesem zu helfen? Des Irrtums einziger Anschein von Wirklichkeit besteht darin, daß ihn die Sterblichen für wahr halten; und er wird nur dadurch berichtigt, daß seine Nichtsheit bestimmt erkannt wird.

Manchmal scheint es, als ob des Vertreters Erkenntnis der Notwendigkeit einer Abweisung der Versuchung, dem mesmerischen Mitleid nachzugeben, zu einer Zurückhaltung führe, die an Kälte grenzt, und die der Patient mit Gleichgültigkeit verwechseln kann. Unsere Führerin äußert in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 367) über diese Frage Worte tiefer Weisheit: „Ein freundliches Wort an den Kranken und die christliche Ermutigung desselben, die mitleidsvolle Geduld mit seiner Furcht und deren Beseitigung sind besser als Hekatomben überschwenglicher Theorien, besser als stereotype entlehnte Redensarten und das Austeilen von Argumenten, welche lauter Parodien auf die echte Christliche Wissenschaft sind, die von göttlicher Liebe erglüht”.

Das freundliche Wort kann gesprochen, teilnahmsvolle Geduld mit falschen Annahmen geübt werden, ohne daß man auch nur im geringsten einem falschen Mitgefühl mit den Annahmen des sterblichen Gemüts nachgibt. Verweilt man aber nicht beständig in der Vergegenwärtigung der Allgegenwart und Allmacht der göttlichen Liebe, so ist es leicht möglich, daß man unter solchen Umständen eine pharisäische Haltung annimmt. In der Wahrheit bleiben schließt die Möglichkeit aus, daß man einen falschen Begriff von Mitgefühl hegt, es macht einen im Gegenteil freundlich, geduldig, liebevoll und wahrhaft mitfühlend.

Über die tiefe Überzeugung unserer Führerin von der Notwendigkeit, sich über das falsche Mitgefühl zu erheben, kann kein Zweifel bestehen. Sie macht es klar, daß ihm nachgeben ernste Folgen haben, ja, zum Verlust der geistigen Vision führen kann. Sie sagt hierüber in No and Yes (S. 30): „Mitleid mit der Sünde, dem Leid und der Krankheit möchte Gott als Wahrheit entthronen; denn die Wahrheit hat kein Mitleid mit dem Irrtum”. Ja, so weitreichende Folgen wie die Entthronung Gottes im menschlichen Denken sah unsere Führerin als das Ergebnis des Annehmens des Irrtums, das heißt des Einverständnisses mit ihm, voraus. Sicherlich könnte es für alle Christlichen Wissenschafter keine eindringlichere Ermahnung geben, als daß sie sich enthalten, einem so kostspieligen mentalen Zustand zu frönen.

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