In diesen Tagen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Welt scheint es, als ob ein gewisser Ausdruck —„schwere Zeiten”— fast allgemein wieder in Gebrauch gekommen sei. Schnell geht er von Mund zu Mund und übermittelt Zweifel, Furcht und Entmutigung; und stetig und sicher fordert er weiter seine Opfer, bis er an jemand gelangt, der genug weiß, um zu erkennen, daß er nur eine Lüge ist, und sofort ein Ende mit ihm macht. Ein nachgemachter Dollar bleibt nur so lang als echter Dollar im Umlauf, bis er an jemand gelangt, der genug über Dollars weiß, um die Nachahmung zu entdecken. Gelangt an einen Christlichen Wissenschafter etwas, was ihm als wertloses Geldstück oder als wertloser Ausdruck verdächtig erscheint, so hat er das Recht, die Annahme zu verweigern, bis er den Anspruch auf Echtheit und Gültigkeit geprüft hat.
Betrachten wir nun dieses kleine Schlagwort des Augenblicks,— dieses Ding, das im Volksmunde „schwere Zeiten” heißt und mit dem Strome des allgemeinen Denkens so leicht wie ein Flöckchen Distelwolle dahinflieht,— und prüfen wir, ob es wirklich so harmlos ist, wie es vorgibt. Es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß keiner von denen, die diese Zeilen lesen, wissentlich einen wertlosen Dollar weitergeben würde. Wir fühlen uns alle viel zu ehrlich dazu. Doch wie viele von uns haben ihren Nächsten seines Seelenfriedens, seiner Nachtruhe oder wohl gar seines Gottvertrauens beraubt, indem sie jenes ganz wertlose Ding, den Glauben an „schwere Zeiten”, an ihn weitergegeben haben? Der nachgeahmte Dollar ist eine Lüge, weil er vorgibt, ein echter Dollar zu sein; der Ausdruck „schwere Zeiten” leugnet Gottes Fülle, Seine Liebe, Seine unaufhörliche Fürsorge für Seine Schöpfung,— den Menschen und das Weltall.
Jemand, der einen ganzen und etwas anstrengenden Tag hindurch diese Lüge in verschiedenen Stärkeund Überzeugungsgraden wiederholt mit anhören mußte, wurde am Abend in Gemeinschaft mit anderen Menschen bei einer Zeugnisversammlung in einer christlich-wissenschaftlichen Kirche beruhigt und erquickt durch das Singen des wohlgeliebten Kirchenlieds, aus dem eine Zeile lautet: „Meine Zeit steht, Herr, bei dir”. Wenn es wahr ist (und wir wissen, daß es wahr ist), daß unsere „Zeit” in Gottes Hand, unter Gottes Fürsorge, steht, wie kann es dann je so etwas wie schwere Zeiten geben? Die einzigen Zeiten, von denen Gott etwas weiß, sind Zeiten der Freude, der klaren Erkenntnis, des weiten Ausblicks, des Friedens und des Fortschritts, herrliche Zeiten des „Wachstums”, in denen sowohl Regen als auch Sonnenschein zum Reifen und Heranwachsen der reichen Ernte des Beweises beitragen.
Eine betrübte, durch den Krieg zerrissene, noch immer verwirrte und müde Welt versteht dies nach ihrem langen Kampfe nicht. Sie sieht Ursachen, wo der Christliche Wissenschafter nur Wirkungen sieht. Sie begreift noch nicht, daß ein flauer Geldmarkt nur die unvermeidliche Folge eines von Furcht beengten und gelähmten Gesinnungszustandes ist. Da das allgemeine Denken nur das oft vervielfältigte Denken des einzelnen ist, so hemmt und verzögert eine Furchtepidemie den natürlichen, regelmäßigen und mühelosen Gang des Wirtschaftslebens ebenso gewiß wie eine ähnliche Haltung des Denkens den natürlichen, regelmäßigen und mühelosen Gang des leiblichen Lebens, des Körpers, hemmt und verzögert.
Es mag sich die Frage erheben: „Was ist denn das Heilmittel? Die Philister sind über uns. Der Glaube an wirtschaftliche Flauheit ist bereits vorhanden. Was sollen wir damit anfangen? Kann ich durch mein Denken eine Welt heilen und umwälzen?” Vielleicht nicht; doch
„Fegt jeder seine Schwelle rein,
Das ganze Dorf wird sauber sein”.
Wir können uns selbst heilen; und dies ist mindestens ein Anfang. Und die Zeit, anzufangen, ist heute. „Das ganze Dorf” sieht vielleicht mit Staunen, wie jemand beginnt, rückhaltlos auf Gott zu vertrauen; aber es wird bald finden, daß es sich lohnt, dies zu tun. Wenden wir uns ab vom Geldgedanken, und beginnen wir, mehr über wirkliche Substanz nachzudenken, die nicht Geld — ja, überhaupt nicht Materie — ist, und beginnen wir, tätiger zu werden in der wirklichen Anlage des Dienstes, der selbstlosen Hilfsbereitschaft gegen andere, der aufrichtigen Dankbarkeit für das, was wir in der Vergangenheit durch Gottes Fürsorge genossen haben, des unerschütterlichen Mutes für die Gegenwart und der frohen Hoffnung für die Zukunft! Unser wirkliches Kapital ist die Unendlichkeit der geistigen Ideen, die der Mensch, die Widerspiegelung des einen Gemüts, stets in unbegrenztem Überfluß hat, und die ihm zu jeder Zeit und in jedem Maße zur Verfügung stehen. Anlagen machen ist ein Vorgang im Denken. Die wirkliche Anlage ist die Erkenntnis Gottes, des Guten. Wenn die Gewinnanteile an dieser Anlage klein auszufallen scheinen, können wir sicher sein, daß der Fehler nicht an Gott, sondern an uns liegt.
Glauben wir manchmal, daß wir z. B. sehr wenig Liebe von denen um uns her empfangen? Wieviel Liebe haben wir angelegt? Laßt uns unser Bankbuch hervornehmen und es durchsehen. Ist Monat um Monat ohne eine einzige neue Einzahlung verstrichen? Kein Wunder, daß der Kassenbestand klein wird! Wir wollen uns ehrlich fragen, wieviel Widerspiegelung von jener allumfassenden, unparteiischen, unpersönlichen Liebe, die Gott ist, in unserem Herzen regiert. Vielleicht haben anscheinend manche Leute uns nicht einmal gern! Haben wir sie gern? Sollten wir, wenn wir auf diesem Gebiet einen guten, greifbaren Ertrag erwarten, unsere ursprüngliche Anlage nicht verdoppeln oder sogar verhundertfachen, indem wir daran denken, daß „mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden”? Es ist erstaunlich, wie unter solchen Umständen der Zins anwächst und auf erfreulichst überraschende Arten zu uns zurückkommt. Eine Handlung der Liebe, ein Wort, ein Gedanke, wird früher oder später seinen Gewinnanteil bringen, wenn auch der, der uns diesen Gewinnanteil bringt, von unserer ursprünglichen Anlage überhaupt nichts weiß.
Nehmen wir zur Veranschaulichung an, wir finden neben der Straße ein Hündchen, das offenbar verletzt wurde. Aus reinem Mitleid heben wir es auf und nehmen es mit nach Hause, pflegen es und heilen es durch unser Verständnis der Wahrheit. Dies ist vielleicht eine Handlung selbstloser Liebe von so einfacher Art, wie sie kaum besser dargestellt werden kann; denn jedermann muß zugeben, daß ihr kein Gedanke an Belohnung oder Vergütung zugrunde liegt. Doch was ist geschehen? Weiter nichts, als daß wir eine Anlage gemacht haben. Ein Gesetz ist zu unseren Gunsten in Wirksamkeit gesetzt worden. Gerade jene Handlung der Liebe hat uns einen Kanal geöffnet, durch den wir eines Tages in Gottes eigener Zeit und Weise eine Belohnung, einen Gewinnanteil, empfangen. Genau wie und wann und wo, ist nicht unsere Aufgabe, zu bestimmen. Wir haben nur die Anlage zu machen, zu handeln, wie uns Mrs. Eddy in „No and Yes” (S. 3) ermahnt, nämlich „an den Wegesrand für den Wegemüden zu säen und zu vertrauen, daß die Liebe Liebe lohnt”.
Laßt uns in einer Zeit wirtschaftlicher Not mehr Vertrauen auf Gott setzen. Laßt uns hierzu jeden Tag immer größere Einzahlungen machen und stets bedenken, daß das, was wir wirklich brauchen, nicht vermehrte Materie sondern weniger Materialität ist. Wenn „das Geschäft schlecht geht”, wie die Redensart lautet, müssen wir einen besseren Begriff von Geschäft gewinnen. Des Menschen wirkliches Geschäft ist, Gott widerzuspiegeln. Es ist daher unmöglich, ohne Beschäftigung zu sein. Wir können immer damit beschäftigt sein, aus dem unerschöpflichen Reich des Gemüts das wahre Kapital, die Substanz rechter Ideen, zu sammeln und diese Ideen in tätigen Umlauf zu bringen. Bedenke, daß sie ihren eigenen Antrieb und ihre eigene Kraft in sich tragen. Wir brauchen uns nicht überanzustrengen mit dem Versuch, sie in Tätigkeit zu setzen. Wir brauchen sie nur wirken zu lassen.
Wie der Sinn eines menschlichen Bedürfnisses auch heißen mag, sei es Geld, eine Stellung, ein Freund oder ein Heim, laßt uns erkennen, daß uns gerade in dem Maße geholfen wird, wie unsere Anlage an geistigem Verständnis zunimmt, und wie wir von dem Gebrauch machen, was wir schon haben, und in die Tat umsetzen, was wir schon wissen. Anstatt uns widerstandslos in den Gedankenstrudel der allgemeinen Annahme hineinziehen und uns hilflos mit den anderen, die es nicht besser verstehen, umhertreiben zu lassen, wollen wir uns entschlossen von der einschläfernden Betrachtung des Geldes abwenden und in das Reich des Wirklichen hineinblicken. „Unberührt inmitten des mißtönenden Zeugnisses der materiellen Sinne entfaltet” dort, wie Mrs. Eddy auf Seite 306 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” sich ausdrückt, „die allzeit erhöhte Wissenschaft den Sterblichen das unwandelbare, harmonische göttliche Prinzip — entfaltet sie Leben und das Universum als immer gegenwärtig und ewig”. Wir wollen aufhören, uns darum zu kümmern, was die Welt als unser Geschäft ansieht, und unsere Aufmerksamkeit lieber dem zuwenden, wovon wir wissen, daß es unser wirkliches Geschäft ist,— dem Unterwerfen jedes Gedankens unter das Gesetz Gottes, damit wir nur das, was Gott ähnlich ist, zum Ausdruck bringen und kundtun. Je bewußter wir dies tun, desto sicherer wird ihm unser sogenanntes materielles Geschäft entsprechen.
Man mag einwenden hören: „Aber dies sind außergewöhnliche Zeiten; unerwartete und beispiellose Zustände scheinen uns überall zu umgeben!” Einst hätte jemand mit gutem Grund dieselbe Entschuldigung vorbringen können; denn es war für Daniel gewiß überaus außergewöhnlich, unerwartet und beispiellos, daß er sich in einer Löwengrube befand. Doch er war dort. Und was tat er? Ließ er jedermann wissen, daß er sich in einer bedrängten Lage befinde, aus der er wahrscheinlich nie herauskommen werde? Keineswegs. Daniel benützte seine schwere Erfahrung einfach als Gelegenheit, Gottes Überfülle zu beweisen. Er war nicht nur damals weise, sondern war auch lange Zeit vorher weise gewesen. Durch jahrelanges rechtes Leben und rechtes Denken hatte er schon ein sehr großes Kapital angelegt. Daher griff er, wozu er vollkommen berechtigt war, einfach sofort darauf zurück. Er wies, um das Bild weiter auszuführen, einen Scheck auf eine sehr große Summe zur Bezahlung vor, einen solchen, der einen gewöhnlichen Menschen zugrunde gerichtet hätte; doch dies beunruhigte diesen planmäßigen Einzahler nicht im geringsten. Ruhig griff er bis zum äußersten auf sein Gottvertrauen zurück, das sich als vollständig genügend erwies, um seiner Not abzuhelfen.
Ein Punkt darf jedoch nicht übersehen werden. Als Daniel später dem König erzählte, Gott habe Seinen Engel gesandt und ihn errettet, fügte er hinzu: „Denn vor ihm bin ich unschuldig erfunden; so habe ich auch wider dich, Herr König, nichts getan”. Daniel wußte gut, warum ihm die Löwen nichts taten. Nämlich, weil er „unschuldig”, weil sein Herz frei war von Übertretung gegen Gott und den Menschen; daher war in seinem Bewußtsein nichts vorhanden, was das tierische Wesen und der Haß hätten angreifen können.
Lasset uns aufhören, um uns her zu sehen, und lasset uns den Blick nach innen richten! Kümmern wir uns nicht darum, was das sogenannte sterbliche Gemüt über die Lage sagt! Es würde gesagt haben, Daniel sei von hungrigen Löwen umgeben und werde zweifellos von ihnen aufgefressen; doch dies hätte die Sache nicht wahr gemacht. Das sterbliche Gemüt hat noch nie etwas Wahres gesagt. Jesus nannte es einen „Lügner” und einen „Mörder von Anfang”. Warum also jetzt sein Zeugnis annehmen? Laßt uns in unserem Bewußtsein ein Ende machen mit den „schweren Zeiten”. Laßt uns vor der eigenen Tür kehren! Gott tut Seinen Teil. Die reifenden Erntefelder weisen auf die gnädige Überfülle des Gemüts hin. Es gibt reichlich genug für alle. Laßt uns aufhören, an Gott zu zweifeln, mögen die Löwen noch so grimmig knurren! Wenn uns dieselbe Unschuld, die in Daniel war, erfüllt,— dieselbe Reinheit des Beweggrundes, dieselbe Standhaftigkeit der Absicht, dieselbe Aufrichtigkeit des Charakters, dieselbe Treue gegen das Prinzip und dasselbe unerschütterliche Vertrauen,— dann schleichen sich die Löwen der „schweren Zeiten” ruhig in die äußere Finsternis zurück, woher sie kamen; und statt ihrer finden wir Gottes Engel, die Botschaft des geistigen Verständnisses, die den betrübten Herzen von der Allgegenwart jener Liebe zuflüstert, die sogar in der dunkelsten Stunde sagt: „Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen”.
