Der menschliche Sinn oder der fleischliche Sinn, wie ihn Paulus so treffend bezeichnete, ist geneigt, sich selbst dadurch eine Last aufzuerlegen, daß er ein falsches Verantwortlichkeitsgefühl annimmt. Die menschliche Anmaßung, die die Eigenschaften, die doch nur göttlichen Ursprungs sind, als ihr Eigentum beansprucht, möchte uns des Geburtsrechts des Menschen, d.h. der göttlichen Widerspiegelung, berauben und uns dadurch von der wahren Quelle aller Kraft und alles Gesegnetseins trennen.
Wie langsam erkennen doch die Menschen trotz der beständigen biblischen Ermahnung: „Im Anfang ...” die der Welt durch die Propheten, durch Christus Jesus und in unserer Zeit durch unsere liebe Führerin Mary Baker Eddy geoffenbarte Wahrheit, daß Gott, das Gute, das Leben Seiner Kinder tatsächlich regiert und lenkt! Durch die Erkenntnis des Vaters als des unendlichen göttlichen Gemüts und des Menschen als des Ausdrucks dieses Gemüts beweisen die Christlichen Wissenschafter täglich diese Wahrheit, wodurch sie sowohl sich selbst als auch andere segnen.
Ein solcher Beweis, wenn auch ein geringfügiger, erwies sich einer Schülerin der Christlichen Wissenschaft als überaus hilfreich. Diese wollte eine Verwandte, die krankheitshalber zur Pflege in die Wohnung ihrer Tochter gebracht worden war, besuchen. Die Schülerin hatte natürlich den Weg zur Wohnung der Tochter eingeschlagen, als es ihr, fast wie von einer vernehmbaren Stimme eingegeben, zum Bewußtsein kam, daß sie die Verwandte nicht dort sondern in ihrer (der Verwandten) eigenen Wohnung antreffen werde. Sie gehorchte der inneren Stimme und fand, daß dies der Fall war.
Solche Beispiele beweisen, daß die biblischen Geschichten von den Propheten und den Aposteln, die berichten, daß Gott mit dem Menschen redete, keine Wunder einer jetzt erloschenen Verleihung sind. Die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen wird immer unverändert bleiben. Die Stimme Gottes spricht immer zum wirklichen Menschen; aber die Menschen lassen durch ihr weltliches Denken und Leben die knarrenden Töne des weltlichen Sinnes die Wohlklänge des geistigen Sinnes verdrängen. Im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 298) schreibt Mrs. Eddy: „Wie eine Wolke die Sonne wohl verbirgt, die sie nicht auszulöschen vermag, so kann eine falsche Annahme die Stimme der unwandelbaren Harmonie wohl eine Zeitlang zum Schweigen bringen; aber die falsche Annahme kann die Wissenschaft, die mit Glauben, Hoffnung und reifer Fülle ausgerüstet ist, nicht zerstören”. Weil Jesus so beharrlich auf die Stimme des Vaters horchte, konnte er durch seine ganze Wüstenerfahrung hindurch jedes Flüstern der Schlange aufdecken und zurückweisen, selbst wenn es in der Verkleidung des Guten zu ihm zu kommen schien. Der Sieg hernach befähigte ihn, andere über den weltlichen Sinn zu erheben, wie bei dem herrlichen Beweis am Grabe des Lazarus, wo er so überzeugend vor Augen führte, daß die Stimme des Lebens, der Wahrheit und der Liebe sogar vom Traume des Todes erwecken kann.
Die Mißgeschicke, die die Menschen bedrängen, rühren daher, daß sie verfehlen, seinem Beispiel nachzueifern. In Wissenschaft und Gesundheit (S. 325 u. 326) lesen wir: „Ein falscher Sinn von Leben, Substanz und Gemüt verbirgt die göttlichen Möglichkeiten und verhüllt die wissenschaftliche Demonstration”. Die Übel, an denen die Menschen leiden, sind die Folge dieses falschen Sinnes; und während eine Falschheit geltend machen kann, daß sie die immer gegenwärtige Wirklichkeit verberge, kann sie in keiner Weise die Kraft des Guten zerstören oder vermindern, auch ist sie nicht vorhanden, außen für den irrenden Sinn des Getäuschten.
Jesus erhob keinen Anspruch auf ein von Gott getrenntes Selbst. Er sagte: „Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke”. Nie täuschte ihn auch nur für einen Augenblick das Flüstern der Schlange: „Ihr werdet sein wie Gott”. Er wußte, daß durch sie die Sünde in die Welt kam, und daß das Falsche nur durch das Zurückweisen des Anspruchs des Irrtums auf ein von Gott getrenntes Dasein gegen das Wahre eingetauscht werden und das Himmelreich in uns regieren kann.
Seine Lebensregel war einfach. „Darum sollt ihr vollkommen sein”, gebot er denen, die ihm bei der Bergpredigt zuhörten; und diese Worte beweisen, wie klar er erkannte, daß der Mensch in vollkommenem Einssein mit Gott lebt. Wenngleich Jesu Erklärung so bedeutungsvoll ist, so kann und muß ihre ganze Tiefe schließlich von allen ergründet werden, welche Länge auch der Weg edler Anstrengung und Aufopferung, anderen zu helfen und sie zu segnen, beanspruchen mag. Dies ist die Verantwortlichkeit, die er den Menschen auferlegte. Er erkannte, daß wir nur durch ein vervollkommnetes Leben andere segnen können, daß Worte allein keine Kraft haben, zu heilen oder umzuwandeln. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 192 in Wissenschaft und Gesundheit: „Das Gute, das du tust und verkörperst, verleiht dir die einzig erreichbare Macht”.
Laßt uns also danach trachten, daß der Geist und nicht bloß der Buchstabe des Wortes in unserem Leben herrsche und die Nebel des fleischlichen Sinnes vertreibe! Dann erblicken, wie wir selber, auch andere die himmlischen Höhen und werden ermutigt, den Aufstieg aus der Knechtschaft, die der fleischliche Sinn ihnen auferlegen will, zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes zu beginnen.
