Wie oft haben die Menschen in dem Augenblick, nachdem sie ihr Gebet gesprochen hatten, sich gefragt—ja, gezweifelt—, ob es wohl auch erhört werde! Dem nicht erleuchteten Denken schien das Gebet immer als etwas Unbestimmtes und Ungewisses. Warum? Weil man das wahre Wesen Gottes und Seine Schöpfung nicht kannte. Für das Denken, das über die geistige Wirklichkeit nicht unterrichtet ist, ist Gott wie ein Sterblicher; und dieses Denken glaubt, man müsse Gott auf dieselbe Art und Weise bitten, wie es die Menschen tun, ehe Er ein Gebet erhört, wenn Er es überhaupt tut. Die Christliche Wissenschaft berichtigt diese irrige Ansicht, indem sie ihre Schüler über das wahre Verfahren des Gebets unterrichtet.
Obgleich nun die Menschen im allgemeinen die Wahrheit über Gott nicht kannten und ihr Beten infolgedessen oft nutzlos war, so hat es, wie in der Heiligen Schrift dargelegt ist, in der ganzen Religionsgeschichte immer wieder Menschen gegeben, deren Beten ihnen ganz gewiß zum Segen gereichte. Fraglos sind diesen dadurch, daß sie mit Beten vor den Höchsten traten, ihre Bedürfnisse von Gott befriedigt, ihre Krankheiten geheilt, ihre Sorgen erleichtert und ihre Sünden vergeben worden. Vortrefflich berührt der Psalmist das Geheimnis ihres Erfolgs, wenn er schreibt: „Die Demütigen leitet er [Gott] in rechter Weise, und die Demütigen lehrt er seinen Weg” (engl. Bibel).
Demut ist also das erste große Erfordernis bei der rechten Annäherung an Gott. „Demut ist”, wie sich Mrs. Eddy in „Miscellaneous Writings” (S. 1) ausdrückt, „der Schrittstein zur höheren Erkenntnis der Gottheit”. Und diese höhere Erkenntnis ist notwendig, wenn man das Verständnis des wahren Gebets erlangen will—d. h. des Gebets, das erhört wird. Was lehrt nun die Christliche Wissenschaft so außerordentlich Wichtiges über Gott? Sie lehrt, daß Gott das vollkommene Gemüt ist und Seine Schöpfung aus vollkommenen Ideen besteht, daß der Mensch die Idee des göttlichen Gemüts ist, daher nicht materiell sondern geistig ist. In dieser Weise zeigt sie, daß Gott und Seine Idee, der Mensch, nicht wie die unvollkommenen Sterblichen sind. In dem Maße, wie diese Wahrheiten erfaßt werden, wird es klar, daß der Mensch, die vollkommene Idee des Gemüts, immer mit der unendlichen Kraft und Weisheit eins ist und von diesen erhalten wird.
Wie verhält es sich aber mit der sogenannten menschlichen Ansicht, die offenbar der Fürsorge und Hilfe Gottes bedarf? Dies wird klar, wenn die Wahrheit über die göttliche Wirklichkeit verstanden wird. Denn in dem Maße, wie man die Wahrheit über den wirklichen Menschen erfaßt, erkennt man, daß in Wirklichkeit in allem, was der sterbliche, materielle Sinn über ihn behauptet, keine Wahrheit ist. Daher ist alles Böse, das der materielle Sinn auch immer über den Menschen behaupten mag, unwirklich. Wahres Beten, mit dem man sich sanftmütig oder demütig Gott nähert, ist also immer vom geistigen Verständnis des wirklichen und vollkommenen Seins eingegeben. Wer sich hungernd nach einer volleren und klareren Wahrheitserkenntnis Gott nähert und bereit ist, alles, was er von der Wahrheit weiß, zu bekräftigen und wieder zu bekräftigen, wird sicher belohnt. „Nützt uns Beten etwas?” schreibt Mrs. Eddy auf Seite 2 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”, und sie antwortet: „Ja, das Verlangen, das da hungernd nach Gerechtigkeit ausgeht, wird von unserem Vater gesegnet und kehrt nicht leer zu uns zurück”.
Wie ernstlich wünscht sich doch der Christliche Wissenschafter das geistige Verständnis, das ihn anleitet, recht zu beten! Wie eifrig erforscht er sein Denken, um zu sehen, worin er irrt, wenn es den Anschein hat, daß seinen Gebeten nicht die Erhörung zuteil wird, deren er doch wohl so dringend bedarf! Sehr gut weiß er, daß es nicht an Gott, dem vollkommenen göttlichen Prinzip, sondern an ihm selber liegt. Warum sollte er aber zweifeln, daß seiner Aufrichtigkeit der Segen Gottes zuteil werde? Gerade dieser Zweifel selbst ist wohl einer der Irrtümer, die zu zerstören sind; aber an seine Stelle muß ein tiefer, unerschütterlicher Glaube treten, ein Glaube an Ihn, dem man sich nähert. Der Schüler der Christlichen Wissenschaft weiß, daß er die Wahrheit gefunden hat, den Tröster, von dem Jesus prophezeite, als er sagte: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten”, und nie sollte er an jener Wahrheit zweifeln, die ihm geoffenbart worden ist, sondern sich unerschütterlich auf sie verlassen, Vertrauen auf sie haben.
Der Gedanke also, der in Demut „hungernd nach Gerechtigkeit” zu Gott, der göttlichen Liebe, ausgeht, wird bestimmt erhört. Daß jedoch viel getan werden muß, um die wahre Demut und ein größeres Verständnis Gottes zu erwerben, wird jedermann zugeben. Bis jetzt ist es niemand gelungen, die Kranken immer mit der vollkommenen Sicherheit Jesu zu heilen. Warum? Weil sich niemand zu dem geistigen Verständnis erhoben hat, das er hatte,—dem Verständnis, das durch das Gebet, das er uns gab,—das Gebet des Herrn—angedeutet ist. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 16 in Wissenschaft und Gesundheit: „Nur, wenn wir uns über alle materielle Sinnengebundenheit und Sünde erheben, können wir das vom Himmel stammende Streben und das geistige Bewußtsein erreichen, auf welches in dem Gebet des Herrn hingewiesen wird, und welches die Kranken augenblicklich heilt”.
