Die Menschen sehnen sich immer nach etwas. Mit dem Wandel der Zeit ändern sie ihr Sehnen und stecken sich neue Ziele, nach denen sie, entsprechend dem Wesen und der Erziehung des einzelnen, mit mehr oder weniger Anstrengung trachten. Diese Ziele, Bestrebungen und Träume sind allgemein als das Verlangen des Herzens bekannt. Ja, unsere Wünsche und unsere Bemühungen, diese zu befriedigen, füllen einen großen Teil der Tage und Nächte unseres menschlichen Lebens aus. Betrachten wir die im 1. Buch Mose enthaltenen beiden Schöpfungsberichte, so sehen wir, daß das sogenannte sterbliche Gemüt für jede wirkliche und dauernde Eigenschaft, womit der Mensch ausgestattet ist, eine Nachahmung anzubieten und uns zu überzeugen versuchte, daß die Nachahmungen so wirklich und dauernd seien wie die geistigen Ideen, die zu unserem wirklichen Wesen gehören.
Bei nichts anderem hat uns diese falsche Geltendmachung eines von Gott getrennten Gemüts so erfolgreich getäuscht als bei unseren Wünschen. Fühlten wir das unsterbliche Aufrütteln himmlischen Verlangens nach geistigen Schätzen, und entsprachen wir ihm, so sagte das sterbliche Gemüt: Das ist alles sehr schön; doch siehe, was für eine schwache Flamme es ist im Vergleich mit derjenigen, die ich entzünden kann, der Flamme des Verlangens nach irdischem Reichtum! Verlangen in seiner Anwendung auf die sogenannte menschliche Liebe ruft ein solch zerstörendes Bild der Eifersucht und der Furcht hervor, daß es wahrlich himmlisches Verständnis erfordert, nach jenem wahren Verlangen zu trachten, das uns befähigt, mehr von der göttlichen Liebe zu wissen und zu verstehen. Sogar bei unserem Verlangen nach Gesundheit scheinen wir oft das wirkliche Verlangen nach geistiger Unversehrtheit in unserem großen Sehnen nach Behaglichkeit in der Materie aus den Augen zu verlieren.
Das sterbliche Dasein besteht aus erfüllten und unerfüllten Wünschen, die wir Freude und Leid nennen. Wir finden, daß die Erfüllung dieser sterblichen Wünsche keine dauernde Befriedigung bietet; dennoch bewegen wir uns dauernd im Kreise, immer etwas wünschend, immer versuchend, diesen Wunsch zu befriedigen, hoffend, daß wir schließlich ein gewisse Maß von Frieden erreichen. Doch Frieden und Glück können stets nur dadurch gewährleistet werden, daß man den falschen Begriff von Verlangen aufgibt und sich bemüht, mehr vom Sehnen und Streben nach den Dingen des Geistes zu verstehen. Denn durch die Pflege und die Befriedigung solcher Wünsche wachsen wir in das Bewußtsein des wirklichen Wesens des Menschen hinein. In Wirklichkeit kann ja der Mensch als das Bild und Gleichnis des Geistes nach nichts anderem verlangen, als nach dem, was geistig ist. Sobald wir uns dieses himmlischen Strebens bewußt sind, finden wir es erfüllt. Dies ist eine christlich-wissenschaftliche Tatsache, die so folgerichtig wahr und ebenso durch Anwendung beweisbar ist wie das Rechengesetz. Das Erstaunliche ist, daß wir uns über den Wert und die Wichtigkeit geistigen Denkens so sehr haben täuschen lassen.
Bitte anmelden, um diese Seite anzuzeigen
Sie erlangen vollständigen Zugriff auf alle Herolde, wenn Sie mithilfe Ihres Abonnements auf die Druckausgabe des Herold ein Konto aktivieren oder wenn Sie ein Abonnement auf JSH-Online abschließen.