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Verlangen

Aus der September 1927-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Menschen sehnen sich immer nach etwas. Mit dem Wandel der Zeit ändern sie ihr Sehnen und stecken sich neue Ziele, nach denen sie, entsprechend dem Wesen und der Erziehung des einzelnen, mit mehr oder weniger Anstrengung trachten. Diese Ziele, Bestrebungen und Träume sind allgemein als das Verlangen des Herzens bekannt. Ja, unsere Wünsche und unsere Bemühungen, diese zu befriedigen, füllen einen großen Teil der Tage und Nächte unseres menschlichen Lebens aus. Betrachten wir die im 1. Buch Mose enthaltenen beiden Schöpfungsberichte, so sehen wir, daß das sogenannte sterbliche Gemüt für jede wirkliche und dauernde Eigenschaft, womit der Mensch ausgestattet ist, eine Nachahmung anzubieten und uns zu überzeugen versuchte, daß die Nachahmungen so wirklich und dauernd seien wie die geistigen Ideen, die zu unserem wirklichen Wesen gehören.

Bei nichts anderem hat uns diese falsche Geltendmachung eines von Gott getrennten Gemüts so erfolgreich getäuscht als bei unseren Wünschen. Fühlten wir das unsterbliche Aufrütteln himmlischen Verlangens nach geistigen Schätzen, und entsprachen wir ihm, so sagte das sterbliche Gemüt: Das ist alles sehr schön; doch siehe, was für eine schwache Flamme es ist im Vergleich mit derjenigen, die ich entzünden kann, der Flamme des Verlangens nach irdischem Reichtum! Verlangen in seiner Anwendung auf die sogenannte menschliche Liebe ruft ein solch zerstörendes Bild der Eifersucht und der Furcht hervor, daß es wahrlich himmlisches Verständnis erfordert, nach jenem wahren Verlangen zu trachten, das uns befähigt, mehr von der göttlichen Liebe zu wissen und zu verstehen. Sogar bei unserem Verlangen nach Gesundheit scheinen wir oft das wirkliche Verlangen nach geistiger Unversehrtheit in unserem großen Sehnen nach Behaglichkeit in der Materie aus den Augen zu verlieren.

Das sterbliche Dasein besteht aus erfüllten und unerfüllten Wünschen, die wir Freude und Leid nennen. Wir finden, daß die Erfüllung dieser sterblichen Wünsche keine dauernde Befriedigung bietet; dennoch bewegen wir uns dauernd im Kreise, immer etwas wünschend, immer versuchend, diesen Wunsch zu befriedigen, hoffend, daß wir schließlich ein gewisse Maß von Frieden erreichen. Doch Frieden und Glück können stets nur dadurch gewährleistet werden, daß man den falschen Begriff von Verlangen aufgibt und sich bemüht, mehr vom Sehnen und Streben nach den Dingen des Geistes zu verstehen. Denn durch die Pflege und die Befriedigung solcher Wünsche wachsen wir in das Bewußtsein des wirklichen Wesens des Menschen hinein. In Wirklichkeit kann ja der Mensch als das Bild und Gleichnis des Geistes nach nichts anderem verlangen, als nach dem, was geistig ist. Sobald wir uns dieses himmlischen Strebens bewußt sind, finden wir es erfüllt. Dies ist eine christlich-wissenschaftliche Tatsache, die so folgerichtig wahr und ebenso durch Anwendung beweisbar ist wie das Rechengesetz. Das Erstaunliche ist, daß wir uns über den Wert und die Wichtigkeit geistigen Denkens so sehr haben täuschen lassen.

Das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” enthält ein Kapitel über das Gebet, worin Mrs. Eddy erklärt (S. 1): „Verlangen ist Gebet; und kein Verlust kann uns daraus erwachsen, daß wir Gott unsre Wünsche anheimstellen, damit sie gemodelt und geläutert werden möchten, ehe sie in Worten und Taten Bild Gestalt annehmen”. In diesem Kapitel hat uns Mrs. Eddy ein überaus klares Bild gegeben von den nützlichen Folgen des Bemühens, rechte Wünsche zu verstehen und im Leben auszudrücken, und von dem durchaus nutzlosen Bemühen jener trügerischen, falschen Eigenschaft, die wir Eigenwillen nennen, der die materiellen Erfolge, nach denen er so sehr verlangt, durch falsches Denken zu erreichen sucht. Die Wünsche, die uns beherrschen, bestimmen unsere Gesundheit, unsern Charakter und unsern Erfolg. Unsere Gebete gestalten nicht nur unser Dasein, sondern enthüllen auch unsern Begriff von Gott. Beten wir um körperliche Dinge, so wenden wir uns unbestreitbar an einen körperlichen Gott, der unser Gebet erhören soll. Ja, wir beten überhaupt nicht, wenn wir um materielle Dinge beten, sondern versuchen, „vergebens gegen den himmelwärts fließenden Strom anzugehen” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 106). Da Gott der Geist und der Mensch eine geistige Wesenheit ist, kann kein Gebet oder Verlangen außer einem geistigen wirklich sein. Jakobus veranschaulicht dies, wenn er sagt: „Ihr bittet, und nehmet nicht, darum daß ihr übel bittet, nämlich dahin, daß ihr’s mit euren Wollüsten verzehret”. So lang haben wir an die Materialität des Menschen gelaubt, daß es den Anschein hat, daß unsere materiellen Wünsche im Vordergrund unseres Denkens stehen, während unsere wirklichen geistigen Bestrebungen womöglich unbestimmt sind und selten in Betracht gezogen werden.

Die Welt hat entdeckt, daß, selbst wenn jeder menschliche Wunsch befriedigt werden könnte, dies doch kein Glück bringen würde. Alles heute in der Welt vorhandene Leiden, aller Mangel, alles Elend, alle Krankheit und Sünde ist eine Folge der Pflege falschen Verlangens, eines falschen Begriffs von Gebet und eines Mißverständnisses des Wesens Gottes, des Guten. Wäre es daher nicht eine Handlung der Weisheit, schon heute damit zu beginnen, unseren geistigen Wünschen die erste Stelle in unserem Denken einzuräumen? Dann würden wir richtig beten. Wir würden erkennen, daß Gott, der Geist ist, regiert, und daß geistige Segnungen überreichlich vorhanden sind.

Da der Mensch geistig ist, muß sein wirkliches Dasein aus geistigen Wünschen und deren Erfüllung bestehen. Natürlich können wir diesen Segen erst dann bewußt empfangen, wenn wir diese Wünsche erkennen und sie in unserem täglichen Denken pflegen. Der erste Schritt in dieser Richtung ist der ehrliche Wunsch, recht zu handeln. Ist dieser Schritt getan, so stellen sich höhere Wünsche ein. Es liegt an uns, diese zu erkennen und zu pflegen, wenn sie sich einstellen, indem wir sie in unsere Gedankenwohnung aufnehmen, freudig mit ihnen zu Rate gehen und nach ihnen wie nach „verborgenen Schätzen” (engl. Bibel) suchen. Alle guten und edlen Gedanken, die wir ausdrücken, kommen als Folge rechten Verlangens zu uns. Füllen Freundlichkeit, wahres Dienen und Heilen unsere Tage aus, so beweist dies, daß wir das Verlangen pflegen, Gott als die Liebe zu verstehen und auszudrücken.

Unser Bewußtsein mit rechten Wünschen ausfüllen, ist die einzige Art, auf die wir unser Einssein mit dem Vater wirklich verstehen können. Wir sollten großes Vertrauen zum wirklichen Selbst des Menschen und zum schließlichen Sieg rechten Denkens haben. Es ist Gottes Wille, daß wir des Menschen wirkliches Wesen und wirkliche Bestimmung verstehen. Im 145. Psalm lesen wir: „Du tust deine Hand auf und erfüllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen”. Gewiß bedeutet dies, daß Gott die geistigen Wünsche des wirklichen Menschen befriedigt.

In dem Maße, wie unsere materiellen Wünsche durch geistige Bestrebungen verdrängt werden, finden wir, daß wir uns nicht mehr in erster Linie nach leiblicher Gesundheit, nach Geschäftserfolg oder nach irdischem Glück sehnen, sondern uns, da unsere Bedürfnisse durch die Wahrheit des Seins „gemodelt und geläutert” worden sind, tatsächlich nach der geistigen Wirklichkeit sehnen, von der diese weltlichen Dinge nur Nachahmungen sind. Geistige Wünsche geben immer in Erfüllung; denn solche Gebete sind nicht von Zweifel und Furcht begleitet. Niemand wünschte sich je wahrhaft geistige Dinge, ohne sie zu empfangen, und wer sie empfing, entdeckte, daß seine weltlichen Bedürfnisse, wenn er statt ihrer nach geistigen Wirklichkeiten verlangte, ebenso befriedigt wurden wie diejenigen des Königs Salomo, dem Gott versicherte: „Dazu, was du nicht gebeten hast, habe ich dir auch gegeben, sowohl Reichtum als Ehre, daß deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten”. Geistiger Fortschritt ist von der Fähigkeit begleitet, sich über materielle Schwierigkeiten zu erheben; wir müssen aber das Verlangen haben und danach trachten, die Dinge des Geistes zu erlangen, ehe wir die Befriedigung unseres Sehnens mit Gewißheit erwarten können. Mit klarem Dichterblick sah Lowell in seinem schönen Gedicht „Sehnen”, daß „wir das sind, wonach wir uns sehnen”. Er beschreibt den Wert des Beherbergens rechter Wünsche in folgendem Vers:

Durch Lärm und Kampf hindurch
Glüht das ersehnte Ziel.
Was Sehnen formt in Lehm,
Das Leben haut in Stein.
Dem neuen Leben öffnet
Verlangen nur das Tor,
So wirket wohl das Sehnen
Der Seel’ Unsterblichkeit.

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