Im 6. und 7. Kapitel des Buchs der Richter findet der Christliche Wissenschafter in der Geschichte des Angriffs Gideons auf die Midianiter und seines Sieges über sie eine überaus hilfreiche Lehre. Geistig aufgefaßt veranschaulicht jene Geschichte die Wirkung des durch die Christliche Wissenschaft geoffenbarten göttlichen Prinzips und zeigt, wie das Böse oder der Irrtum, weil es die Nachahmung der Wahrheit ist, immer sich selber zerstört.
Die Kinder Israel hatten ihre Religion vernachlässigt: sie beteten falsche Götter an; sie verloren die Wolkensäule des Tages und die Feuersäule des Nachts, die sie einst in das Land des Friedens und des Reichtums geführt hatte, aus den Augen; sie waren wie zerstreute Schafe ohne Hirten; sie waren abtrünnig geworden. Infolge ihres Abfalls wurden sie von Furcht vor ihren Feinden, den Midianitern, erfüllt; sie verbargen sich vor den Angreifern in den Felsen und Höhlen. Die Schreckensherrschaft dauerte sieben Jahre. Es schien kein Entrinnen zu geben. In ihrer größten Not beteten sie zu Gott um Hilfe.
Ihr Gebet wurde erhört, denn plötzlich erschien „der Engel des Herrn” dem Gideon, der Weizen „in der Kelter” drosch. Der Engel drängte Gideon, ein Heer aus den Israeliten auszuheben und gegen die Angreifer zu ziehen. Das Gebot des Engels schien Gideon mit Schrecken zu erfüllen. Er erhob Einspruch und behauptete, Israel sei zu schwach und der Feind zu stark. Es schien dem Gideon also unmöglich, sein Volk zu befreien. Aber der Engel versprach, daß der Herr mit ihm sein werde. Immer noch zweifelte Gideon und sagte: „Habe ich Gnade vor dir gefunden, so mache mir doch ein Zeichen, daß du es seist, der mit mir redet”. Das Zeichen wurde ihm gegeben. Er legte ein Stück Fell auf die Erde und empfing die Verheißung, daß am nächsten Morgen das Fell naß, die ganze Erde umher aber trocken sein werde. Das Wunder geschah, trotzdem aber zweifelte Gideon immer noch und bat um ein weiteres Zeichen; und auch dieses wurde ihm gegeben: diesmal blieb das Fell trocken, während die Erde naß wurde. Jetzt schien er überzeugt zu sein, daß der Herr mit ihm sein werde. Durch diese göttlichen Zeichen ermutigt, rüstete sich Gideon für den Kampf.
Ein großes Heer von Midianitern lagerte sich im Tal. Gideon sammelte ein Heer von zweiunddreißig tausend Mann, um gegen sie zu kämpfen. Jetzt beseelte ihn Eifer, und die Hoffnung, sein Volk zu befreien, erfüllte ihn. Gott aber sprach mit ihm und sagte zu ihm, sein Heer sei zu groß; denn wenn es über die Midianiter siegte, würden sich die Sieger rühmen, sie hätten es vollbracht. Daher forderte Gideon sie auf und sagte: „Wer blöde und verzagt ist, der kehre um und hebe sich”. Dadurch wurde sein Heer bis auf zehn Tausend verkleinert. Noch war Gott nicht befriedigt; daher prüfte Gideon die Mannschaft noch einmal, und die Zahl verkleinerte sich abermals, bis nur drei hundert übrigblieben. Es waren diejenigen, die das Wasser aus der Hand geleckt hatten, wie Männer, die nach Getränk dürsteten und es gerade gefunden hatten. Diejenigen aber, die auf die Kniee gefallen waren — diejenigen, die sich gemächlich hingelegt hatten, um zu trinken — wurden zurückgeschickt. Unter Gottes weiterer Führung schickte sich Gideon mit dieser kleinen Schar tapferer Männer an, den Feind zu vernichten. Er versah jeden mit einer Posaune, einem Kruge und einer Fackel, und sie rückten zum Tale vor, wo sich der Feind lagerte. Es war Mitternacht. Jeder zündete seine Fackel an und steckte sie in den Krug. Ausschwärmend, um den Feind zu umzingeln, formten sie einen Kreis. Auf ein von Gideon gegebenes Zeichen bließen sie die Posaunen und zerschlugen die Krüge. Das Licht der Fackeln blitzte vor dem Feinde auf. Plötzlich erwachten die Midianiter aus ihrem Schlafe. Als sie den Lichtkreis sahen und den Posaunenschall hörten, glaubten sie, sie seien von einem großen Heer umringt. Furcht und Verwirrung bemächtigten sich ihrer; und jeder begann, seinen Bruder für einen Feind zu halten und ihn zu erschlagen, bis sie zerstreut wurden.
Welch wunderbare Lehre sich aus dieser Geschichte doch ziehen läßt! Solange die Israeliten ihrem Begriff von dem einen und einzigen Gott treu blieben, waren sie erfolgreich; als sie sich Gott entfremdeten, falschen Göttern dienten und sie anbeteten, sanken sie sittlich. Dann wurden sie von den Midianitern, die als Sinnbild des Irrtums in seinen mannigfaltigen Formen angesehen werden können, unaufhörlich beunruhigt. Nach großer Trübsal kehrten sie um und beteten den einen wahren und einzigen Gott, den Gott ihrer Väter, an. Noch einmal genossen sie den Frieden und die Harmonie, die die Früchte gerechten Lebens sind.
Irren wir als Christliche Wissenschafter manchmal vorübergehend vom rechten Wege ab? Tun wir es, so öffnen wir dem Irrtum weit die Tür. Es mag sogar scheinen, daß wir vom Irrtum umgeben sind und keinen Ausweg finden können. Dann erscheint uns der Engel des Herrn und fordert uns auf, uns zu erheben und gegen diese Midianiter zu ziehen. Wir mögen uns schwer bedrängt fühlen und keinen Ausweg sehen; aber jetzt ist es Zeit, unerschütterlich für die Wahrheit einzutreten. Jetzt ist es Zeit, zu wissen, daß der Mensch, das Bild und Gleichnis Gottes, kein Knecht des Sinnlichen oder des Irrtums ist, sondern daß die Idee Gottes, der Mensch, im Gemüt wohnt, wo alles ruhig und freudig ist. „Die Weisheit ... hieß ihn [Mose] zurückkommen und die Schlange handhaben”, schreibt Mrs. Eddy im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 321); „alsdann verschwand die Furcht des Moses”.
Wenn wir gehorsam sind, erscheinen uns die Engel Gottes, die nach der Erklärung unserer geliebten Führerin „Gottes Gedanken” sind, „die zum Menschen kommen” (dass. Buch, S. 581), und heben unsere Gedanken über den Feind empor. Diese Engelgedanken wollen immer mit uns zusammenarbeiten. Sie umgeben uns immer und sind immer bereit, zu führen, zu behüten, zu schützen, zu unterstützen und zu heilen, wenn wir nur auf sie achten. Durch unser tägliches Bestreben, ein geweihtes Leben zu führen, treiben wir Furcht und Ängstlichkeit aus und machen so diesen Engelboten Raum, damit sie eintreten und bei uns bleiben. Denken wir nur geistige Gedanken, so sind wir immer bereit, dem Bösen oder dem Irrtum entgegenzutreten und ihn zu überwinden. Durch geistiges Denken siegen wir. Das Böse oder der Irrtum wird durch Finsternis versinnbildlicht. Das Böse befindet sich immer im Tale der Niedergedrücktheit. Das Gute wird durch immer gegenwärtiges Licht versinnbildlicht. Indem wir das Licht des Geistes zu unserem Führer erwählen und die Lampe der Liebe in unserem Bewußtsein brennend erhalten, entdecken wir, daß der Irrtum oder die Sinnlichkeit ebenso zerbrechlich ist wie die Krüge in den Händen des Heeres Gideons. Wenn das Licht des Geistes aus unserem Bewußtsein hervorleuchtet, umzingeln wir wie die tapferen drei Hundert den Feind. Dann beweisen wir, daß dem Irrtum keine Macht innewohnt, daß er sich immer selber zerstört.
Heute gibt es Tausende und aber Tausende, die der durch Jesaja von Gott gegebenen Einladung Folge geleistet haben: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser! und ... kaufet”. Kaufet! Welchen Preis muß man aber für dieses heilende Wasser des Geistes, dieses Fest der Seele, zahlen? Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wir unsere Gedanken an Sünde, Krankheit, Mangel, Furcht und andere böse Annahmen aufgeben müssen. Sie lehrt uns, daß wir unser Denken reinigen müssen, ehe wir für die Christusidee empfänglich werden können, daß wir unsere Annahmen sowohl von den Freuden als auch von den Schmerzen des sogenannten sterblichen Gemüts aufgeben müssen. Das Beherbergen von Gedanken, die Gott unähnlich sind, würde uns hindern, die Milch des Wortes, geschweige denn den Wein geistigen Verständnisses in uns aufzunehmen.
Durch die Christliche Wissenschaft lernt sich der ernste Schüler nur auf Gott, das göttliche Gemüt, verlassen. Es kommt nicht darauf an, was die Aufgabe zu sein scheine, der Christliche Wissenschafter ist sich immer bewußt, daß er sie durch sein geistiges Verständnis des Gesetzes Gottes lösen kann.
Die große Zahl des Heeres der Midianiter mag den Glauben an die Macht vieler Gemüter versinnbildlichen, während sich die drei Hundert auf ihr Verständnis des einen Gottes, des einen Gemüts, verließen. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß Gott, das Gemüt, unendlich ist. Der Glaube, daß es mehr als ein Gemüt gebe, ist immer irrig. Dieser Irrtum hindert die Menschen am Ausüben ihrer von Gott gegebenen Herrschaft. In Wissenschaft und Gesundheit (S. 467) hat unsere geliebte Führerin geschrieben: „Man sollte es von Grund aus verstehen, daß alle Menschen ein Gemüt, einen Gott und Vater, ein Leben, eine Wahrheit und eine Liebe haben. Die Menschheit wird in dem Maße vollkommen werden, wie diese Tatsache sichtbar wird, der Krieg wird aufhören, und die wahre Brüderschaft der Menschen wird begründet werden. Wenn der Mensch keine andern Götter hat, sich an kein andres als an das eine vollkommene Gemüt als Führer wendet, dann ist er das Gleichnis Gottes, rein und ewig, dann hat er das Gemüt, das auch in Christus war”.
Mit unseren geistigen Posaunen laßt uns dann miteinander jauchzen; laßt uns des Menschen Freisein von der Knechtschaft der Sünde, der Krankheit und des Todes verkündigen; laßt uns die Lampe des geistigen Verständnisses brennend erhalten! Dann werden die Menschen der liebevollen und sanften Einladung in der Offenbarung Folge leisten: „Der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es höret, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst”.
