Meisterhaft verstand es Jesus, seine Lehre durch Gleichnisse zu erläutern. Da er mit einfachen Leuten, hauptsächlich bescheidenen Fischern, Ackerbauern und Hirten, zusammenlebte, entnahm er seine Bilder ihnen vertrauten Gegenständen und Umständen: dem Ackerfeld, den Herden, den Vögeln, dem Vieh. Das Gleichnis vom Unkraut ist dem Weizenfeld entnommen, das den Bewohnern jenes etwas dürren und unfruchtbaren Landes heute wie damals einen großen Teil des Ernährungsbedarfs liefert. Weizen war in Palästina einheimisch und war ein natürlicher und wertvoller Ertrag. Ein Versagen der Ernte hatte große Not zur Folge, und wegen seiner Wichtigkeit wurde er mit besonderer Sorgfalt angebaut und von Unkraut frei gehalten.
Eines der unter dem Weizen am häufigsten wuchernden Unkräuter ist der Taumellolch, der dem Getreide so auffallend ähnlich sieht, daß ihn nur ein geübtes Auge unterscheiden kann. Da der Taumellolch wertlos ist und den Boden aussaugt, so wird der Acker sorgfältig untersucht, um diesen Feind des Getreides zu zerstören.
Christus Jesus verglich das Himmelreich mit „einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säete”. Während er schlief, kam aber ein Feind und säte Unkraut unter den Weizen. Das Unkraut ging auf und wuchs mit dem Weizen. Als die Knechte das Unkraut im Weizen wachsen sahen, fragten sie, woher es denn komme. Ihr Herr erklärte es ihnen, worauf sie fragten, ob sie das Unkraut nicht ausjäten sollen, da es das Wachstum des Weizens hindere. überaus bedeutungsvoll erwiderte ihr Herr: „Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, so ihr das Unkraut ausjätet”. Bei der Ernte sollte das Unkraut vom Weizen getrennt und verbrannt werden, während der Weizen in die Scheuer gesammelt werden sollte.
Wegen der auffallenden Ähnlichkeit des Taumellolchs mit dem Weizen ist beim Ausjäten größte Sorgfalt geboten. Hat man keine Übung, sie voneinander zu unterscheiden, so besteht die Gefahr, daß man gleichzeitig den Weizen mit ausreißt. Daher läßt man lieber das Unkraut stehen, um es zur rechten Zeit zu verbrennen.— zu zerstören.
Die Jünger, die sich der Auslegung des Gleichnisses nicht ganz sicher waren, erlaubten sich bei passender Gelegenheit, Jesus um die Auslegung zu bitten. Er erklärte ihnen: der Sämann, „der da guten Samen säet”, ist des Menschen Sohn. „Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut”, das der Teufel (das Böse) sät, „sind die Kinder der Bosheit. ... Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel”. Ein beachtenswertes Seitenlicht wirft die neuzeitliche Übersetzung des Ausdrucks „Ende der Welt”, wo das Unkraut vom Weizen getrennt werden soll, auf die Bedeutung des Gleichnisses. „Die Ernte ist das Ende der Zeit”, d.h. das Ende der jüdischen Gnadenzeit im Jahre 70 n. Chr., als Jerusalem von den Römern zerstört wurde, erklärt ein Ausleger. Diese Auslegung setzt jedoch eine bestimmte Zeit des Gerichts voraus, wo die Menschen nach ihren Taten, ob sie gut oder böse waren, gerichtet werden sollen.
Die Christliche Wissenschaft wirft ein klares Licht auf das Gleichnis, indem sie das Wort „Unkraut” erklärt und die Frage des Gerichts erläutert. Auf Seite 595 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” erklärt Mrs. Eddy das Wort „Unkraut” als „Sterblichkeit; Irrtum; Sünde; Siechtum; Krankheit; Tod”. Jesus erkannte alle diese Annahmen des sogenannten sterblichen Gemüts als Feinde menschlichen Glücks und Friedens, und bei vielen Gelegenheiten zerstörte er sie unverzüglich. Für ihn bedeutete die Erntezeit nicht eine bestimmte Zeit oder Gnadenfrist, sondern jede sich bietende Gelegenheit, die Kraft Gottes, des Guten, über das Böse zu beweisen. Die Ansprüche der Sünde, des Bösen jeder Art, als die Werke des Feindes erkennend, zögerte er nicht, diese Werke zu zerstören, indem er sie aus dem menschlichen Bewußtsein als unwirklich austrieb.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß, sobald man das Verständnis Gottes und des Menschen erlangt und die Nichtigkeit des Bösen verstehen gelernt hat, es Pflicht des einzelnen sei, das Böse, so oft es auftritt, zu zerstören, d.h. es aus dem eigenen Bewußtsein auszutreiben. Dies ist die Pflicht und das Vorrecht des echten Christen. Auch erfüllt es das, was Jesus über die Zeit lehrte, wann es getan werden soll,— zur Zeit des Gerichts. Mrs. Eddy legt dies sehr klar dar. Auf Seite 291 in Wissenschaft und Gesundheit, wo sie über den Tag des Gerichts schreibt, erklärt sie: „Kein jüngstes Gericht erwartet die Sterblichen, denn der Gerichtstag der Weisheit kommt stündlich und beständig, nämlich das Gericht, durch welches der sterbliche Mensch allen materiellen Irrtums entkleidet wird”. Immer, wenn man durch Erlangen geistigen Verständnisses befähigt wird, zwischen gut und böse, zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen dem Unkraut und dem Weizen zu unterscheiden, ist die Stunde des Gerichts, und man beginnt, das Unkraut zu zerstören, d.h. falschen Glauben auszutreiben, wobei man den Weizen, den guten Samen, stehen läßt, damit er bis zur Ernte sich mehre. Der Weizen kommt durch die wissenschaftliche Zerstörung des Irrtums nicht in Gefahr, zerstört zu werden, vielmehr wird er dadurch gefördert. Die Erntezeit hört im Reich Gottes nie auf.
Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit; ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, im Glauben will ich mich mit dir verloben, und du wirst den Herrn erkennen.— Hosea 2:21 [19], 22 [20].
