Heutzutage, wo Vergünstigungen und Rechte des einzelnen so allgemein erörtert werden, beschäftigt der Ausdruck „persönliche Freiheit” viel das öffentliche Denken. Häufig wird er jedoch so mißbraucht, daß er eher den Schein einer Entschuldigung gewinnt, statt als der würdige Ausdruck für gerechte Freiheit des einzelnen zu gelten. Während es in vielen Fällen scheinen kann, daß unser Sinn von Freiheit die Folge von persönlicher Auslegung ist, ist es gut, eingedenk zu sein, daß es einen göttlichen Sinn von Freiheit gibt, der bloße persönliche Meinung darüber weit überragt. Paulus beschrieb sie als „die herrliche Freiheit der Kinder Gottes”.
Infolge falscher Erziehung und aus Selbstsucht handeln viele Menschen immer noch unbedenklich in dem Glauben, daß die Freiheit, deren sich die Leute eines freien Volkes erfreuen, das Recht in sich schließe, persönlichen Begierden und Neigungen zu frönen, die ganz allgemein als gefährlich für die Menschen gelten. Unter diesem irrigen Freiheitsbegriffe, der unser Pflichtgefühl gegen Gott und unsern Nächsten (einschließlich einiger Verantwortlichkeit für das Wohlergehen der Gemeinde) verdunkelt, beharren viele dabei, der Selbstsucht zu frönen, ungeachtet der Wirkungen, die solches Frönen auch immer auf andere haben mag. Unter diesem falschen Antrieb und Sichgehenlassen werden alle Jahre Tausende eine Gefahr für andere und sind oft gezwungen, ihre menschliche Laufbahn mit einem inhaltund nutzlosen Leben in staatlichen Fürsorgeanstalten zu beenden. Durch ein aus einem falschen Sinn von Freiheit hervorgehendes unbedachtes Handeln schädigen viele fortwährend nicht nur ihre eigene Kraft und Standhaftigkeit sondern auch diejenige des Volkes, und nicht wenige fallen schließlich im nutzlosen Greisenalter ihren Mitbürgern zur Last. Sinken die durch einen falschen Sinn von persönlicher Freiheit so erbärmlich Irregeführten auf diese Stufe gefesselten Daseins herab, so entdecken sie, daß sie erst recht der Freiheit beraubt, von Gebrechlichkeit gebunden und häufig ohne Mittel sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Indem die Sterblichen auf ihr persönliches Recht pochen, in selbstsüchtiger Weise allem zu frönen, was ihnen beliebt, behaupten sie wohl, daß ihre Art und Weise, sich zu vergnügen, Gewissenssache sei. Wie Paulus in seinem Briefe an die Korinther über die tiefere Bedeutung von Gewissen mögen sie fragen: „Warum sollte ich meine Freiheit lassen richten von eines andern Gewissen?” Es ist aber wohl zu beachten, daß der Apostel diese Frage im Zusammenhang mit seinem Recht, Gott in Gerechtigkeit und Wahrheit zu dienen, stellte. Denn der Apostel warf diese Frage in einer Auseinandersetzung auf, in der er erklärte: „Ihr könnt nicht zugleich trinken des Herrn Kelch und der Teufel Kelch”, und: „Ihr esset nun oder trinket ..., so tut es alles zu Gottes Ehre”.
Aus dieser Bibelstelle und aus dem Bericht über die verheerenden Wirkungen berauschender Getränke auf das Menschengeschlecht können wir mit Recht den Schluß ziehen, daß berauschende Getränke in „dem Kelch der Teufel” eingeschlossen sind. Ferner kann die Gewohnheit, einem solchen als Gewissenssache angesehenen persönlichen Recht zu frönen, leicht in eine Gewohnheit unedler Selbstsucht ausarten. Da starke Getränke ein Übel sind, so kann es unter dem Gesetz Gottes kein sittliches Recht geben, das eine solche Wahl unterstützt. Es kann unmöglich eine Einheit zwischen „Gottes Ehre” und den selbstsüchtigen persönlichen Befriedigungen geben, die bekanntlich die Lebenskraft erschöpfen, Familien in Armut stürzen und das menschliche Leben verderben. Was zum Sklaven macht, kann mit der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes” nicht verwandt sein.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wahre Freiheit die durch geistiges Verständnis gewonnene Freiheit rechten Handelns, vollständiges Freisein vom Bösen jeder Art, bedeutet. In „The People's Idea of God” (S. 10) lehrt Mary Baker Eddy ihre vom Himmel stammende Auffassung mit folgenden Worten: „Gerechtigkeit und Wahrheit machen den Menschen frei; Ungerechtigkeit und Irrtum machen ihn zum Sklaven. Die geistige Wissenschaft allein ergreift die Freiheitsfahne und kämpft für die vollen Rechte des Menschen, sowohl die göttlichen als auch die menschlichen”.
Auf der westlichen Erdhälfte hat ein denkendes Volk, das die Wege des Friedens liebt und viele Jahrzehnte hindurch wahrgenommen hat, wohin böse Einflüsse führen, klar erkannt, wie das Laster, dem Genuß berauschender Getränke uneingeschränkt zu frönen, dem Glück seiner Leute beständig im Wege stand. Es hat erkannt, daß ein falscher Sinn von Freiheit dem Verbrechen Vorschub leistet, den Gewerbefleiß schädigt, das menschliche Leben verderbt und das Volk mit Riesensummen von Jahressteuern zur Besserung und Versorgung der Gesetzesübertreter belastet. Durch göttlichen Antrieb sind sie dann, gestützt auf ein wirksames Verfassungsgesetz, diesem Übel, das so lang unter der Maske falsch ausgelegter „persönlicher Freiheit” bestehen konnte, entgegengetreten. Wenn also Gott diese bemerkenswerte Umgestaltung durch das sittliche Gefühl der Leute eingegeben und bewirkt hat,— Er, der es „macht, wie er will, mit den Kräften im Himmel und mit denen, so auf Erden wohnen”,— wer „kann [dann] seiner Hand wehren oder zu ihm sagen: Was machst du?”
Wie kann etwas, was in trügerischer Weise auf persönliche Selbstsucht, fälschlich Freiheit genannt, gegründet ist und in so vielen Fällen zu Leiden, Armut und Gewissensbissen führt, sich mit dem, was die segensreichen Früchte des Gedeihens, des Friedens, der Gesundheit und des Glücks hervorbringt, messen oder es überwältigen? Wie kann ein rein persönlicher Sinn die Wege des göttlichen Prinzips vereiteln, das beständig offenbart, daß der Weg des Glücks aufwärts und den Pfaden des Gehorsams entlang führt, des Gehorsams sowohl gegen das Gesetz Gottes als auch gegen die durch die Willensäußerung und die Zustimmung seiner Leute erlassenen Volksgesetze? Es muß erkannt werden, daß ein prahlerischer, persönlicher Sinn dem menschlichen Wohl gefährlich ist; denn es wohnt ihm keine Kraft inne, wodurch er seine in die Tiefe ziehenden Neigungen einschränken oder beherrschen kann.
Man mag einwenden: „Durch Gesetzgebung läßt sich keine Sittlichkeit in die Menschen pflanzen”. Ganz recht! Aber ein freies Volk kann Gesetze gegen einen entsittlichenden Einfluß erlassen, der Verbrechen zur Folge hat und ihm schwere Steuern zur Unterhaltung von Irrenhäusern, Verbesserungsanstalten und Krankenhäusern aufbürdet. An die in dieser Weise aufgestellten Gesetze sind alle Bürger gebunden, und ihre Ausführung kann durchgesetzt werden. Berauschende Getränke richten die Nützlichkeit der Bürger eines Landes zugrunde, und ihre Gesamtwirkung zeigt sich in der Erschöpfung und Entkräftung des Volkes als Ganzes. Dies bedeutet Sittenverderbnis. Kann der geringste Zweifel bestehen über die herrliche Freiheit eines Volkes, Gesetze gegen sein eigenes Verderben zu erlassen und durchzuführen?
In Wirklichkeit ist die einzige persönliche Freiheit, die dieses Namens würdig ist, jene Freiheit, die allen Menschen im wahren Christentum zur Verfügung steht,— jene von Gott verliehene und bis zu einem gewissen Grade von dem menschlichen Gesetz anerkannte Freiheit,— persönlich geschützt und von Gewaltherrschaft, von allem ungerechten Übergriff auf Gemüt, Leib und Eigentum frei zu sein. Sie ist einfach die Freiheit, alles zu tun, was immer zu unserem rechtmäßigen Nutzen und Genuß dient, oder was sich für andere Menschen als hilfreich erweist. Sie ist das Recht eines vereinigten Volkes, das Böse abzulehnen und dadurch alle zu schützen. Treffend drückt dies der englische Dichter Coleridge mit folgenden einfachen Zeilen aus:
Denn was ist Freiheit sonst
Als der ungehinderte Gebrauch
Aller Kräfte,
Die Gott zum Gebrauch hat verliehen?
Sicher werden die aufgeklärten Bewohner der Erde im ungehinderten Gebrauch dieser rechten Kräfte Befriedigung finden, und ihr veredelnder Einfluß wird beständig dazu führen, diesen höheren Sinn von Freiheit durch notwendige Umgestaltungen zu fördern; denn diese Kräfte rufen, wenn richtig verstanden, den stolzen Wogen des persönlichen Sinnes und der Sittenverderbnis beständig zu: „Bis hieher ... und nicht weiter”! Durch ihre wunderbare geistige Voraussicht erklärt Mrs. Eddy in „Miscellaneous Writings” (S. 80) ihren Sinn vom Fortschritt mit folgenden Zeilen: „Des Volkes Stimme fördert und treibt alle wahre Umgestaltung durch Gottes Vorsehung an, und zur rechten Zeit wird sie Unrecht wieder gutmachen und Ungerechtigkeit berichtigen”; und weiter unten fügt sie hinzu: „Gott herrscht und wird ‚zunichte, zunichte machen‘, bis das Recht als allerhaben erfunden wird”.
Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singet dem Herrn in eurem Herzen.— Kolosser 3:16.
