Im 17. Kapitel des Evangeliums des Lukas lesen wir von zehn Aussätzigen, die gereinigt wurden. Viel ist schon geschrieben und geredet worden über die Undankbarkeit, die darin zum Ausdruck kam, daß nur einer von ihnen zurückkehrte, um Gott für die Heilung zu danken. Dies ist leicht begreiflich; denn es war tadelnswert. Doch können auch wertvolle Lehren des Gehorsams und ihre Früchte aus der Begebenheit gezogen werden.
Wir können uns den Schauplatz lebhaft vorstellen. Das irdische Wirken des Meisters ging seinem Ende entgegen; und es ist ganz natürlich, daß während seiner Reise nach Jerusalem im ganzen Lande über die von ihm überall, wohin er gekommen war, vollbrachten wunderbaren Werke gesprochen wurde. Zweifellos standen den ganzen Weg entlang Leute, die „ihn drängten”, um seine Hilfe zu suchen, was sie nach den Bibelberichten gewöhnlich taten. Kein von dem Gepränge und von weltlicher Macht begleiteter Herrscher eines zeitlichen irdischen Reichs rief je in den Herzen der Menschen den Widerhall hervor, der hervorquoll, als der demütige aber mächtige Nazarener ruhig seinen Weg ging.
Unter der Volksmenge, aber in Wirklichkeit nicht von dieser, weil ihr körperlicher Zustand forderte, daß sie „von ferne” standen, waren die zehn Aussätzigen, die ihm zuriefen: „Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser!” Und als Jesus sie sah, antwortete er: „Gehet hin und zeiget euch den Priestern!”— anscheinend nur diese Worte und weiter nichts.
Es dürfte nicht überraschend sein, wenn diese Männer in jenem Augenblick ein großes Gefühl der Verwunderung und Enttäuschung überkam. Vielleicht hatten sie in sehnsuchtsvoller Erwartung lang und geduldig dort gestanden. Zweifellos wußten sie, daß zahllose Menschen anderswo die heilende Kraft gefühlt hatten, während sie in seiner Gegenwart weilten; dennoch hatten sie ihre Bitte geäußert und dem Anscheine nach weiter nichts als ein Gebot empfangen, das etwas mehr von ihnen forderte, während ihr ekelerregender Zustand ungeändert blieb.
Das Wunder dessen, was geschah, entfaltet sich jedoch uns; denn der Bericht fährt fort, daß „es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein”! Sie machten die Erfahrung jener Veränderung nicht wie unzählige andere, während sie vor dem Meister standen und dieser sie erbarmungsvoll ansah, auch nicht, als sie sich den Priestern zeigten,— sondern als sie, ohne zu zweifeln, ausführten, was sie geheißen wurden! Werden nicht auch wir in dem Maße empfangen, wie wir willig erfunden werden zu „gehen”— gehorsam zu sein; und bedürfen nicht wir alle dieser Lehre?
Zweifellos gibt es für uns alle Augenblicke, wo wir geneigt sind, uns zu fragen, warum wir nicht jenen Zustand harmonischen Seins erfahren haben, der, wie wir wissen, in Wahrheit unser rechtmäßiges Erbe ist. Dann werden wir gut tun, unser Augenmerk auf das die Einflüsterung einflößende Gefühl des Selbstbedauerns zu richten und uns selber und die verletzende Lage zu untersuchen, um zu wissen, ob wir gegen Gottes Gebote wirklich gehorsam sind. Wir können sicher sein, daß wir es nicht sind, sonst wären die Ergebnisse anders; und ist unsere Untersuchung ehrlich und gründlich, so werden wir durch die Erkenntnis dessen, was uns fehlt, belohnt. Unsere verehrte Führerin Mary Baker Eddy zeigte uns die Gelegenheit zur Wachsamkeit in diesen Dingen mit folgenden Worten in „Miscellaneous Writings” (S. 267, 268): „Die vorausbestimmende und erregende Ursache aller Niederlagen und aller Siege unter der Sonne beruht auf dieser wissenschaftlichen Grundlage, daß Handeln im Gehorsam gegen Gott die Beweggründe und Verfahren des Menschen vergeistigt und sie mit Erfolg krönt, während Ungehorsam gegen dieses göttliche Prinzip menschliche Verfahren und das menschliche Bewußtsein versinnlicht und wirkungslos macht”. Mit ihrer gewohnten Klarheit und Bestimmtheit ermahnt sie uns in dieser Weise, auf der Hut zu sein.
Wir können wissen, daß wir unsere gegenwärtige Pflicht erfüllen, wenn unser Denken und Handeln unseren höchsten Vorbildern dessen entspricht, was recht und gut ist, indem wir dessen gewiß sind, daß, während wir den vor uns liegenden rauhen Weg fortsetzen, unsere Vorbilder im Verhältnis zu dem sich zeigenden Bedürfnisse weiter vergeistigt und verbessert werden.
Wie oft umgeben wir andererseits unsern Sinn von Gehorsam mit Vorbehalten, die wir mehr oder weniger bewußt hegen! Es gibt ein bekanntes Lied, das wir häufig singen, und das unsere Bereitwilligkeit verkündet, dahin zu gehen, wohin uns Gott gehen heißt, und das zu sein, was Er uns immer zu sein wünscht; aber allzuoft schleicht sich in unser Herz die Hoffnung ein, daß Er von uns nicht verlangen werde, gewisse Dinge zu tun oder zu sein, auch nicht, an gewisse Orte zu gehen! Wir fühlen, daß wir es in Wirklichkeit nicht so haben möchten. Werden solche Gedanken aufgedeckt, so können wir sicher sein, daß wir unsere Füße noch nicht in wahren Gehorsam gepflanzt haben.
Es war einmal ein Mann, dem sein irdischer Verlaß offenbar vollständig weggerafft wurde. Er hatte sich erst seit kurzem mit der Christlichen Wissenschaft befaßt, wenngleich er glaubte, er sei treu in der Hingebung, die sie auferlege, sofern er sie erkannte und verstand. Er war bestrebt, sich eines Sinnes von des Vaters liebender und überfließender Versorgung aller Seiner Kinder bewußt zu werden und diesen Sinn bekundet zu sehen. Es schien ihm gewissermaßen ganz überraschend, schließlich zu erkennen, daß er, während er erklärte, er werde jede an ihn herantretende Arbeit ausführen, gleichzeitig zu sich sagte, er werde dieses oder jenes zweifellos nicht zu tun brauchen; denn Gott wisse sicher, daß er sich zu etwas Besserem eigne! Er hatte sich keine genaue Rechenschaft gegeben, woraus jenes „Bessere” bestehe; aber im allgemeinen dachte er es sich als das menschlich weniger Erniedrigende und weniger Unterwürfige. Es war notwendig, daß er zu der Tatsache erwachte, daß dies keineswegs Gehorsam sei, sondern eher ein nutzloser und unwürdiger Versuch, mit Gott zu handeln. Von einer „Stunde der Entwicklung” sprechend (was in der Tat alle unsere Stunden sind, wenn wir uns nur der Tatsache bewußt sind), erklärt Mrs. Eddy im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 266): „Wenn diese Stunde der Entwicklung kommt, wird die geistige Liebe dich zwingen, ... das anzunehmen, was deinem Wachstum am förderlichsten ist”. Es handelt sich hier also um etwas, dem wir nicht entrinnen können, selbst wenn wir wollten. Aber welches Kind eines liebenden Vaters oder einer liebenden Mutter möchte gezwungen werden, das zu tun, was es tun soll? Wie viel weniger wir, die wir wissen, daß die unendliche Weisheit das Gebot beseelt!
Wir müssen daher zu der Tatsache erwachen, daß auch wir, wenn wir gehorsam sind und „gehen”, ebenso sicher gereinigt werden wie die zehn Aussätzigen. Es ist stillschweigend mit einbegriffen, daß eine Änderung stattfinden soll,— daß man von einem Ort oder Ding zu einem andern gehen soll. Aber es ist immer eine seelische Reise von einem körperlichen Sinn der Dinge und dem Verlaß auf sie zu der Auffassung der geistigen Wirklichkeiten und deren Beweis. Es ist eine unter Gottes Fürsorge und an Seiner führenden Hand unternommene Reise. Wie können wir also zweifeln oder uns fürchten, wenn wir sie verfolgen, da doch alle Wege Gottes gut sind und zum Guten führen? Eines unserer Kirchenlieder bringt dies mit den bekannten Worten zum Ausdruck:
„Wie sanft doch Gottes Gebote,
Wie gütig Seine Vorschriften sind!”
Sanftmut und Güte sind unser Teil, wenn wir den göttlichen Forderungen gehorchen.
Wir ließen uns überdies eine trostreiche Lehre entgehen, wenn wir, indem wir vom Schauplatz der Heilung dieser Aussätzigen wegsehen, nicht in Betracht zögen, daß sie, obgleich sie „von ferne” zu stehen schienen, sich trotzdem unter der erbarmenden und heilenden Berührung des Christusgeistes befanden. Manchmal läßt uns ein Gefühl der Entmutigung oder der Verurteilung glauben, wir seien von Gottes zärtlicher, schützender Sorgfalt weit entfernt und können nicht Zuflucht zu ihr nehmen; doch dies ist nie wahr. Wenn es Menschen gibt, die dies bezweifeln, dann mögen sie im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch die beweisbare Versicherung dieser grundlegenden und unbedingt notwendigen Tatsache, die die Christliche Wissenschaft allein gibt, suchen und finden. Entfernung im Sinne von Abwesenheit oder Trennung hat keinen Teil an Gott und Seiner allmächtigen Liebe.
