Im ganzen Alten Testament wird das Dasein der Engel für selbstverständlich gehalten; aber die Begriffe von ihnen sind verworren und unklar, ohne Zweifel aus den Anfangszeiten religiösen Glaubens übernommen. Als sich die Israeliten einen würdevolleren Gottesbegriff bildeten, nahmen sie die Lehre an, daß Gott Seine Botschaften den Menschen durch Engel übermittle. So hat sich, obwohl jene frühesten Annahmen ziemlich ungestaltig und sinnlich waren, allgemein die Vorstellung eingebürgert, die Tätigkeiten der Engel bestehen in Schutz, Führung und Lobpreisung. David sang: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so ihn fürchten, und hilft ihnen aus”.
Allem Anschein nach haben die Menschen wegen der Schönheit des Gedankens immer gern an Engel gedacht, und im religiösen Schrifttum werden sie häufig erwähnt. Daher erweist es sich beim Eindringen in die Christliche Wissenschaft als große Erleichterung, daß dieser in grauer Vorzeit entstandene verschwommen schöne, aber sinnwidrige Engelbegriff durch ein wissenschaftliches und beweisbares Verständnis ersetzt ist.
Auf Seite 581 des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” gibt Mrs. Eddy folgende Erklärung: „Engel. Gottes Gedanken, die zum Menschen kommen; geistige Eingebungen, die rein und vollkommen sind; die Inspiration der Güte, Reinheit und Unsterblichkeit, allem Bösen, aller Sinnlichkeit und aller Sterblichkeit entgegenwirkend”. Im Lichte dieser Darlegung können wir klar sehen, daß wir sogar trotz unserer Unkenntnis der wissenschaftlichen Erklärung unser ganzes Leben lang tatsächlich Schutzengel hatten und durch sie — durch gute Antriebe, durch solch rechtes Denken, wozu Gott uns befähigte,— beschützt wurden.
Wenn man sich mit dem durch die Christliche Wissenschaft verliehenen Verständnis in die Sache vertieft, erkennt man, daß man fast nichts anderes zu tun hat als die Fähigkeit zu pflegen, auf Gottes Engel zu hören, beständig mit ihnen zu verkehren. Man erkennt, daß solche bejahenden, mächtigen, wissenschaftlichen Gedanken der Gesundheit und der Stärke, einmal ins Bewußtsein eingelassen, dort beherbergt und beständig festgehalten, alle Irrtumsannahmen, niederdrückende Müdigkeit eingeschlossen, aus eigener Kraft austreiben.
Eine herrliche Darlegung, wie man auf die ruhebringenden Engel des göttlichen Gemüts hören und ihre Hilfe erlangen soll, finden wir in einem unserer Kirchenlieder:
„O haltet still am rauhen Wege
Und lauscht der Engel Chor”.
Wenn wir uns beladen, verantwortlich und mühselig fühlen, können wir sicher sein, daß wir nicht auf die Engel Gottes gehört haben. Wir hörten im Gegenteil auf das sogenannte sterbliche Gemüt mit seinen sinnlichen Behauptungen, daß des Menschen Stärke im Körperlichen liege, daß uns das Wirken zum Wohle der Menschen erschöpfen und ermüden könne, daß die Zeit unzulänglich sei. Die Engel singen uns die herrliche Tatsache ins Bewußtsein, daß, wenn auch die Zeit unzulänglich sei, die Ewigkeit ausreichend ist, daß, wenn auch dem Körperlichen keine Kraft innewohne, Gott, der Geist, selber alle Stärke ist, daß das Arbeiten für Ihn und mit Ihm uns nie ermüden kann.
Ist vielleicht der Grund, warum wir auf etwas anderes als auf den Gesang der Engel hörten, nicht der, daß wir nicht am Wege stillgehalten haben, sondern gerade mitten darauf geblieben sind? Wenn wir uns auf den Weg begeben, auf den Weg, der mit Irrtum beginnt und mit Irrtum aufhört, und mit allen ermüdenden Befürchtungen und persönlichen Verantwortungen, mit Annahmen von Krankheit, Sünde und Tod, dahineilen, lauschen wir nicht der Engel Chor. Wenn wir uns Schulter an Schulter mit dem Glauben an die Wirklichkeit im Körperlichen und an die Macht im Bösen mühsam dahinschleppen, wenn wir durch den Staub der Weltlichkeit geblendet und durch ihren Lärm und ihre Verwirrung betäubt sind, können wir nicht erwarten, Ruhe zu finden. Wir sollten mit tiefem Ernste bestrebt sein, auf die stillen Stimmen geistiger Führung, jene Engel, zu hören, deren Aufgabe es ist, immer zu vergeistigen, zu erquicken und zu erneuern.
Die Christliche Wissenschaft offenbart jenes Verständnis, das, wenn angewandt, uns freudig am Wege stillhalten läßt; und dort können wir dem Vorüberziehen menschlicher Ereignisse in gelassener Geborgenheit zusehen. Der Christliche Wissenschafter glaubt an kein einsames Büßerleben oder Sichabsondern von dem Leben und den Angelegenheiten der Menschen; wohl aber weiß er, daß er nur in dem Maße, wie sein Denken von der Unwissenheit und der Sünde der Menschen getrennt ist, hoffen kann, ihnen zur Erlösung zu verhelfen. Christus Jesus betete für seine Nachfolger: „Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Übel”. Über Ruhe sagte unsere Führerin: „Gott ruht im Wirken” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 519). Demnach muß die von uns zum Ausdruck gebrachte wahre Ruhe ein fortschrittlicher Ausdruck verständiger Tätigkeit sein.
Das sterbliche Gemüt hat mit seinem Vorwande, die wahre Schöpfung vollständig nachzuahmen, eine gefälschte Ruhe — Stockung, Untätigkeit — eingesetzt. Keine Engel singen dem in gleichgültige Trägheit versunkenen Bewußtsein. Auch gewährt eine solche Nachahmung außerhalb des ermüdenden Sinnlichkeitstraumes keine Ruhe. Sie ist aus der Annahme von Leben im Fleische geboren und mit der Annahme des Todes nahe verwandt.
Die Welt hat das Wort „Ruhe” so oft mit dem Tode oder mit dem Aufhören nützlicher Tätigkeit, was die Lüge vom Alter aufzuerlegen sucht, in Verbindung gebracht, daß es zuweilen von einem Gefühl der Endlichkeit und Traurigkeit umgeben ist. Dies ist eine klägliche Umkehrung der Wahrheit. Die rechten Ideen, die Ruhe von Mühseligkeit und Eintönigkeit bringen, entbinden einen nie der Pflicht hilfreichen Dienens, weil fortschrittlich nützliche Tätigkeit durch alle Ewigkeit hindurch die Aufgabe der Idee Gottes, des Menschen, sein muß. Das Entfalten des Guten, das Wachstum in geistigem Verständnis, d.h. die Wahrheit, die die Lüge vom Greisenalter vernichtet, bringt uns Gott und infolgedessen den Merkmalen Gottes — Herrschaft, Wachsamkeit, Freudigkeit — näher. Die Christlichen Wissenschafter müssen den Glauben, daß die Jahre Reue, Traurigkeit und Mißerfolg bringen, als Lüge beweisen. Wahre Erfahrung ist geistig und muß zu tätiger, erwartungsund ruhevoller Beteiligung am Beweisen der Christlichen Wissenschaft zur Erlösung der Welt führen.
Die Menschen suchen ihre Kräfte und Bestrebungen durch verschiedenerlei Erholungen zu erneuern, vertauschen aber oft nur eine Form der Sinnlichkeit mit einer andern vielleicht noch sinnlicheren. Der Christliche Wissenschafter weiß, daß wahre Ruhe in Wirklichkeit keine Erholung und Erfrischung ist, wenn man den Urlaub vom geistigen Denken anstatt vom körperlichen gewohnheitsmäßigen Gang nimmt. Paulus gab eine herrliche Anweisung zu einem erfolgreichen Urlaub, als er sagte: „Verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes”. Diese umwandelnde Ruhe, die das Denken ganz aus sich selber tatkräftig macht, kann überall stattfinden, wenn die Menschen genügend verstehen, das göttliche Gemüt widerzuspiegeln.
Ist unser Verständnis nicht ausreichend gewesen, uns von einem Müdigkeitsgefühl freizuhalten, so können wir wenigstens in unserer wissenschaftlichen Erkenntnis frohlocken, daß „das Bewußtsein der Wahrheit uns mehr Ruhe verleiht als Stunden des Schlafs in unbewußtem Zustand” (dass. Buch, S. 218). Diese Ruhe, dieses Einssein mit dem göttlichen Bewußtsein, mit den Gedanken Gottes, Seinen Engeln, muß jene Ruhe gewesen sein, die unser Meister nach seinen tatenreichen Tagen des Wirkens suchte und allein auf dem Ölberge fand.
Verweilte er nicht immer an statt auf dem mühseligen Wege der Sünde und der Krankheit, auf dem er das Volk antraf? Mrs. Eddy sagt in „Unity of Good” (S. 18): „Die Wahrheit, Gott, sagt, du tröstest am häufigsten andere in Schwierigkeiten, die du selber nicht hast. Kommt unser Tröster nicht immer von außen und ist er nicht immer über uns?” Jesus konnte seine herrliche Arbeit vollbringen, weil es ihm gelang, sein Denken von dem unwissenden und sündhaften, dem furchtsamen und krankhaften Denken um ihn her getrennt zu halten. Können wir erwarten, daß wir heilen können, daß wir genügend geistig gesinnt sind, um uns selber und anderen zu helfen, wenn sich nicht auch unser Denken in stets zunehmendem Maße von den Annahmen des sterblichen Gemüts trennt?
Erörterungen über den Irrtum, Krittelei an anderen, weltliche Ziele und Bestrebungen führen gerade mitten auf die breite Straße der Weltlichkeit. Sinnlichkeit, Verwirrung, persönliche Verantwortlichkeit, Haß, Selbstbedauern und Selbstgerechtigkeit haben Erschöpfung zur Folge. Zuviel echtes übersinnliches Denken ermüdet nie, wohl aber zuviel angestrengtes und weltliches Denken, das nicht übersinnlich ist, führt zu Ermüdung. Aus freiem Antriebe hervorgehende, ungezwungene, freudige, geistige Denkarbeit bringt immer Ruhe.
Die Engel Gottes setzen dem Vollbringen und der Fähigkeit des Menschen keine Grenzen. Als hingebungsvolle Christliche Wissenschafter werden wir wirkliche Ruhe und göttlichen Ansporn finden, wenn wir zu jeder Stunde unserer arbeitsreichen Tage standhaft in unserem von Gott verliehenen Bewußtsein bleiben und den auf ewig von der unendlichen Liebe zum Menschen gelangenden Engelbotschaften lauschen, sie befolgen und ihnen dankbar vertrauen.
