In einem Briefe an Erste Kirche Christi, Wissenschafter, Cleveland, Ohio (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 195) schrieb Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft: „Der rühmenswerte Erfolg dieser Kirche und ihre vereinigten Bemühungen, ein Gebäude zu errichten, um den Unendlichen darin anzubeten, ging aus den zuerst in den Herzen ihrer Mitglieder errichteten Tempeln hervor — aus der selbstlosen Liebe, die nicht mit Händen, ewig im Himmel des Geistes, baut”. Eine Prüfung dieser Erklärung zeigt klar, daß Mrs. Eddy den Kirchenbau in der Christlichen Wissenschaft nicht nur als die Arbeit einer unter dem Namen Kirchenmitgliedschaft zusammengefaßten Einheit sondern auch als eine Erfahrung jedes einzelnen Mitglieds ansah. Bei der Menge dringender Fragen, die an die Mitglieder einer Kirche herantreten, die den Bau ihres eigenen Kirchenheims erwägt,— Geldfragen, die Wahl des Baumeisters, den Baustil,— ist die Wahrheit der oben angeführten Erklärung der Mrs. Eddy wohl nicht immer sofort erkennbar. Doch unsere Führerin wußte, wovon sie sprach, und viele christlich-wissenschaftliche Arbeiter haben die Weisheit und Richtigkeit ihrer Worte erkennen gelernt.
Das Verständnis ihrer Erklärung ist für alle Mitglieder einer christlich-wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft von weitreichender Bedeutung; denn es befähigt sie, die ihnen zukommende Verantwortung nicht allein dem Vorstande oder dem Bauausschuß oder den Vermögensverwaltern sondern in erster Linie auch ihrem eigenen Denken und Leben aufzuerlegen. Daher besteht die Verantwortung in erster Linie weder im Entrichten des persönlichen Geldbeitrags noch im Helfen bei der Wahl des rechten Baumeisters noch im Unterstützen beim Bestimmen des Baustils. Wenn diese Aufgaben zwar auch wichtig sind, so wird es sich doch zeigen, daß sie nur dann leicht, vorbildlich und folgerichtig ausgeführt werden, wenn und sobald die grundlegende Verantwortung erfüllt ist, d.h. die Verantwortung dafür, daß der Tempel zuerst im eigenen Herzen errichtet ist.
Was bedeutet dann das Errichten der Kirche im eigenen Herzen oder Bewußtsein? Es bedeutet, daß jedes Mitglied den wahren Begriff von Kirche so durch sein Leben veranschauliche, wie ihn Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 583) darlegt: „Die Kirche ist diejenige Einrichtung, die den Beweis ihrer Nützlichkeit erbringt, und die das Menschengeschlecht hebt, das schlafende Verständnis aus materiellen Annahmen zum Erfassen geistiger Ideen und zur Demonstration der göttlichen Wissenschaft erweckt und dadurch Teufel oder Irrtum austreibt und die Kranken heilt”. Die Bedeutung dieser Veranschaulichung kann dadurch klarer werden, daß man dem Bauvorgang mit einem entsprechenden Vorgang im Denken folgt.
Die erste Aufgabe ist das Ausgraben. Unsere Pflicht ist es, aus unserem Bewußtsein jedes Hindernis auszugraben oder wegzuräumen, das unserem Blick den wahren Begriff von Kirche verbergen könnte, den unsere Führerin weiterhin erklärt als „den Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht” (dass. Buch. S. 583). Hier gibt es für fast alle von uns reichlich zu tun. Oft erfordert es Ausdauer und unermüdliche Anstrengung, die Wurzeln weltlichen Ehrgeizes, der Furcht und anderer Charakterfehler zu entfernen; Arbeit, manchmal schwere und unablässige Arbeit, die Steine der Eigenliebe aufzuheben und fortzuwerfen; und viel Geduld, Selbstlosigkeit und Liebe, um die Erdenlast scheinbarer Kränkungen, der Verfolgung oder des Spottes zu tragen. Das Schöne an diesem Bauvorgang ist, daß wir nicht zu warten brauchen, bis der ganze Irrtum ausgegraben ist, ehe wir mit dem Grundbau beginnen können. Es ist gut, eingedenk zu sein, daß es nutzlos ist zu versuchen, auf Irrtum zu bauen; es sollte aber ebenso klar sein, daß wir auf einer festen und gediegenen Grundlage immer weiterbauen können.
Einige der zum Grundbau unseres Tempels anzuwendenden Baustoffe sind Pflichttreue gegen die Lehren unserer Führerin und Anpassung an die Regeln und Satzungen des Handbuchs Der Mutter-Kirche. Ohne diese ist kein bleibender Grundbau möglich. Sie helfen uns, einen aus dem festen und bleibenden Mauerwerk geistigen Verständnisses bestehenden Grundbau herzustellen. Als Petrus die geistige Wahrnehmung erlangt hatte, womit er den Christus oder den wahren Messias erkennen konnte, sagte Jesus zu ihm: „Ich sage dir ...: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen”. Christus Jesus ist der Wegweiser, und wir müssen bestrebt sein, dasselbe Verständnis Gottes und des Menschen, das er hatte, zu erlangen. Dies ist keine Vermessenheit; denn ermahnte er uns nicht, die Werke zu tun, die er tat, und sagte er nicht, wir werden die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit werde uns freimachen? Die Wahrheit erkennen und geistiges Verständnis erlangen sind ein und dasselbe. Wie Jesus zu verstehen gab, stürmen die Irrtumswogen vergeblich gegen das an, was viereckig auf dem Felsen geistigen Verständnisses ruht.
Ist der Grundbau fertig, so können wir mit dem Oberbau beginnen. Hierbei halten wir uns wieder an das Beispiel Christi Jesu, des Meister-Erbauers. Wie niemand vor oder nach ihm, veranschaulichte er im ganzen Aufbau seines Wirkens durch sein tägliches Leben den wahren Begriff von Kirche. Niemand wird die Nützlichkeit seiner Arbeit in Frage stellen oder den erhebenden Einfluß seiner Lehre bestreiten. Seine Heilungen waren nicht bloß körperliche Heilungen. In jedem Falle müssen sie bis zu einem gewissen Grade von sittlicher Wiedergeburt begleitet gewesen sein. In dieser Weise erweckte er „das schlafende Verständnis aus materiellen Annahmen zum Erfassen geistiger Ideen”. Er bewies die göttliche Wissenschaft, „dadurch Teufel oder Irrtum austreibend und die Kranken heilend”. Der von uns zu errichtende Oberbau ist daher kein kaltes, lebloses Gebäude aus Stein, Ziegel und Mörtel, sondern ein mit dem Lichte geistigen Verständnisses und der Wärme der Liebe erfüllter herrlicher, lebendiger Tempel. Seine Mauern sind das veredelte und nützliche Leben von neuem geborener Männer und Frauen, seine Pfeiler deren gute Taten und Heilarbeiten, das Ganze mit Dienst für die Menschen gekrönt.
Wir sollten uns vor der Versuchung hüten, zu denken, der Bauvorgang höre nach vollendeter Herstellung des sichtbaren Kirchengebäudes auf. Jesus hat uns einen bestimmten Maßstab gegeben, und der geistige Tempel wird erst vollendet sein, wenn dieser Maßstab vollständig erreicht ist. Es ist der Maßstab der Vollkommenheit. Das geistige Bauen wird daher so lang weitergehen, bis aller Irrtum zerstört und Jesu Gebot: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist”, erfüllt ist.
Du aber sei nüchtern allenthalben, sei willig, zu leiden, tue das Werk eines evangelischen Predigers, richte dein Amt redlich aus.—2. Timotheus 4:5.
