Jeder Sterbliche langt in seinem Leben einmal bei dem Punkte an, wo ihm jedes menschliche Hilfsmittel versagt, wo sich jeder menschliche Ausweg, jeder menschliche Plan, jedes menschliche Verfahren als unzulänglich erweist. Mag er sich auch noch so sehr bemühen, seine Fragen bleiben unbeantwortet, seine Aufgaben ungelöst und seine Fesseln ungesprengt. Dann stößt er den oft wiederholten menschlichen Notschrei aus: „Was soll ich tun, daß ich selig werde?” Obwohl der Weg sehr finster scheinen mag, befindet er sich in Wirklichkeit in einem überaus hoffnungsvollen Zustande. Wenn ein Sterblicher bei diesem Punkte anlangt, und in ihm das Verlangen erwacht, das Göttliche zu erkennen, hat er den ersten Schritt zu seiner Befreiung getan. Er hat die Richtung nach dem Ziele eingeschlagen, das er bei ehrlichem Bemühen schließlich erreichen wird. Gerade die Tatsache, daß die Menschen in den großen Entscheidungen des irdischen Daseins ihre Hilflosigkeit zugeben und sich an eine Macht wenden, die höher ist als sie selber, ist ein überzeugender Beweis, daß nur das Göttliche uns von unseren vielen unerwünschten Leiden endgültig erlösen kann.
Um sich die göttliche Kraft zunutze zu machen, haben die Menschen viele und mancherlei Wege versucht. Als man zu Beginn der Geschichte des Menschengeschlechts vorwiegend die Vorstellung von einem bösen Wesen mit dem Begriffe der Gottheit verband, versuchten die Sterblichen dadurch Hilfe zu erlangen, daß sie bestrebt waren, die vermutlich bösen Absichten ihres Gottes zu besänftigen und ihn zu überreden, seine Kraft zu ihrem Vorteil und nicht zu ihrem Nachteil anzuwenden. Später erlangten die Menschen zwar einen höheren Begriff von Gott, glaubten aber dennoch, Seine Kraft könne ihnen nur durch die Vermittlung einer Person oder einer Gruppe von Personen, die mehr begünstigt seien als gewöhnliche Sterbliche, zugänglich gemacht werden. So entstand der Glaube an das Priestertum mit seinen Kirchengebräuchen und Formen, das in Abrede stellt, daß Gott allen Menschen ohne Unterschied zugänglich ist.
Mrs. Eddy hat den Menschen in ihrem unsterblichen Werk „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” gezeigt, wie sich jedermann die göttliche Kraft zunutze machen kann, und hat den Weg so klar gewiesen, daß alle diese herrliche Wahrheit verstehen und beweisen können. Auf Seite 192 erklärt sie: „Alles, was den menschlichen Gedanken auf gleicher Linie mit selbstloser Liebe erhält, empfängt unmittelbar die göttliche Kraft”. Nichts könnte klarer sein und dabei die Menschen mit größerer Hoffnung erfüllen als diese bündige Erklärung. Könnte es etwas Beruhigenderes geben als zu wissen, daß sich jedermann die Kraft Gottes durch selbstlose Liebe oder gerechtes Denken überall, jederzeit und unter allen Umständen unmittelbar zunutze machen kann?
Die Christliche Wissenschaft zeigt uns, daß Gott das vollkommene, unfehlbare und unendlich gute Gemüt ist; daß Seine Macht nur auf eine Art bekundet werden kann, nämlich durch Fördern, Verursachen und Vollbringen dessen, was segensreich und gut ist. Da Gott, das göttliche Gemüt, unendlich und allerhaben ist, ist Er der eine und alleinige Gesetzgeber des ganzen Weltalls. Er ist die einzige Quelle alles wahren oder wirklichen Bewußtseins. Der Mensch ist der Ausdruck dieses einen unendlichen göttlichen Gemüts, und es ist seine Aufgabe, göttliche oder wahre Gedanken widerzuspiegeln. Der Mensch beweist also sein Einssein mit Gott, wenn er göttliche Gedanken widerspiegelt, mit andern Worten, wenn er die Eigenschaften Gottes bekundet. Da Gottes Gedanken immer liebevoll, gut und rein sind, können wir nur in dem Maße mit Gott eins sein, wie unsere Gedanken an diesen göttlichen Eigenschaften teilhaben. Da Gott das Gemüt und die höchste wirkende Kraft des Weltalls ist, bekunden unser Denken und unser Leben wahre Kraft nur insoweit, als sie Gott, die eine und einzige Quelle wahrer Kraft, zum Ausdruck bringen. Alles, was Gott unähnlich ist, kann Ihn nie zum Ausdruck bringen; und Seine unendlich segnende Kraft kann nie etwas zustande bringen, was nicht mit Seinen heiligen Absichten übereinstimmt.
Stellen wir uns ein großes Haus vor, in dem die elektrische Leitung richtig angelegt ist, und das überall mit Beleuchtungskörpern versehen ist. In einem andern Teile der Stadt stehe ein großes Kraftwerk, das elektrische Kraft erzeugt. Die Benützung der Elektrizität gegen Bezahlung eines vereinbarten Preises ist genehmigt worden. Jedem Erfordernis für genügende Beleuchtung des Gebäudes ist Rechnung getragen, und trotzdem bleibt es dunkel. Warum? Zwischen dem vom Kraftwerk ausgehenden Zuleitungsdraht und der Hauptleitung im Gebäude befindet sich ein Schalter. Dieser enthält etwas, was die Elektrizität nicht leitet und die Verbindung zwischen dem Kraftwerk und dem Gebäude unterbricht. Solange sich dieser Nichtleiter zwischen beiden Drähten befindet, ist Versorgung mit elektrischer Kraft unmöglich, mag die erzeugte Menge auch noch so groß sein. Dreht man aber den Schalter und bringt dadurch einen Leiter statt des Nichtleiters zwischen die beiden Drähte, so erstrahlt sofort das ganze Gebäude in vollem Licht, weil zwischen die beiden Drähte etwas getreten ist, was die Elektrizität leitet: es ist eine Verbindung hergestellt, und es ist Licht in Fülle vorhanden.
Solange unser Bewußtsein von Selbstsucht, Haß, Geiz, Neid, Wollust oder sonstwie von ungöttlichem Denken erfüllt ist, kann uns das Licht der Wahrheit und der Liebe nicht zuteil werden. Die Verbindung ist gestört, das Einssein ist unterbrochen, und wir sind anscheinend vom Guten getrennt. Ist unser Denken aber von Liebe, Reinheit, Selbstlosigkeit, Ehrlichkeit und Güte durchdrungen, dann ist unser Denken von Gott, und wir empfangen „unmittelbar die göttliche Kraft”.
„Gott sieht die Person nicht an”; Seine Güte und Seine Kraft sind immer wirksam, und alle Menschen können sie sich zunutze machen. Unsere Führerin schreibt in „Miscellaneous Writings” (S. 150): „Gott ist allumfassend, auf keinen Ort beschränkt, durch keinem Glaubenssatz umgrenzt, von keiner Sekte angeeignet. Gott ist für alle gleich beweisbar als das göttliche Leben, die göttliche Wahrheit und die göttliche Liebe”. Wir müssen aber das Gesetz Gottes befolgen, wenn wir die Früchte der unbegrenzten Fülle Gottes genießen sollen.
Wir wissen, daß wir Aufgaben in der Zahlenwissenschaft nur dann lösen können, wenn wir den Rechenregeln gemäß denken. Wir wissen auch, daß wir in der Musik nur dann Harmonie ausdrücken können, wenn wir den Grundregeln der Musik gemäß denken. Ebenso verhält es sich auf dem Gebiete der christlichen Metaphysik. Wir müssen unser Leben und unser Denken den Gesetzen Gottes anpassen, dann wird die Kraft des unendlich Guten sicher in unserer Erfahrung wirksam werden und das Rechte durchsetzen und das Falsche ausscheiden.
Wieviel können wir aus dem Leben unseres großen Meisters Jesus des Christus lernen! Wie herrlich veranschaulichte er uns wahre Kraft! Nie mißlang ihm ein gerechtes Bemühen, und was er vollbrachte, ist immer noch die Inspiration der ganzen Christenheit. Was war das Geheimnis seiner Beweise und seiner unfehlbaren Erfolge? Er versuchte nie, etwas auf andere Art als durch die Kraft Gottes zu tun, und seine Beweggründe waren immer selbstlos. Vom Anfang bis zum Ende seines Wirkens verfolgte er nur den einzigen Zweck, Gott zu verherrlichen. Keinen Augenblick hatte er das Verlangen, das Selbst zu verherrlichen oder seine gottverliehene Kraft zu etwas anderem als zum Segen seiner Mitmenschen zu gebrauchen. Nur wenn wir ihm nachfolgen und wie er alle unsere Beweggründe, unser ganzes Denken und Wollen von Selbstsucht frei machen, werden wir dieselbe Herrschaft erlangen und die Werke tun, die er uns tun hieß. Nur genaue Übereinstimmung mit seinen Geboten und seinem Handeln wird uns befähigen, allem Wahren gemäß zu denken, und die unausbleibliche Folge wird sein, daß wir den Segen empfangen, der dem selbstlosen Denken derer, die reines Herzens sind, beschieden ist. Wie wahrhaft ein solcher Beweis mit Gottes eigener Verordnung übereinstimmt! Denn Er erklärte von allen, die nach Seinem Namen genannt sind: „Ich habe sie zu meiner Herrlichkeit geschaffen” (engl. Bibel).
