Daß man hin und wieder in einen menschlichen Zustand gerät, wo man zu einem Stillstand zu kommen und keine rechte Lösung zu finden scheint, bleibt wohl wenigen von uns erspart. Oft lassen wir unser Denken von der allgemeinen Ansicht über unsere Aufgabe so sehr beeinflussen, daß wir zeitweilig vergessen, wie veränderlich und unzuverlässig die Meinungen der Menschen im Lichte des Verständnisses des allwissenden göttlichen Gemüts sind. Doch finden wir immer, daß die Verwirrung sich aufklärt, wenn man die Aufgabe unmittelbar ins Licht dieses Verständnisses rückt.
Im Evangelium des Johannes erzählt der geliebte Jünger, wie ein blind Geborener durch unsern Meister geheilt wurde. Zweifellos erschien diese Blindheit dem, der darunter gelitten hatte, als ein Zustand mit wenig oder gar keiner Hoffnung auf Befreiung; denn „von der Welt an ist’s”, wie er später sagte, „nicht erhört, daß jemand einem geborenen Blinden die Augen aufgetan habe”. Als er jedoch dasaß und bettelte, „ging Jesus vorüber”, und unmittelbar darauf waren seine Augen aufgetan, ungeachtet dessen, daß die allgemeine menschliche Annahme von der Unmöglichkeit der Heilung vollständiger Blindheit immer noch die gleiche war. „Jesus ging vorüber”. Auf Seite 476 und 477 unseres Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” erklärt Mrs. Eddy, warum dieses Vorübergehen so oft von Wundern begleitet war. Sie schreibt dort: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eignes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken”.
An den Wegen, die der Meister wandelte, sind wohl noch andere Blinde gesessen, von denen einige nicht geheilt wurden; aber die Bereitwilligkeit dieses Blinden, zu glauben, er könne durch die Kraft des Geistes geheilt werden, so neu und seltsam es ihm auch vorkam, ermöglichte es, daß das Licht in sein Bewußtsein hineinscheinen konnte. Ohne zu zweifeln, befolgte er auch die einfachen Forderungen des Meisters, obwohl sie der sterbliche Sinn für ganz unnötig erachtet haben mag. Nachdem er sehend geworden war, wiederholte er, als er gefragt wurde, den Hergang seiner Heilung; und Jesus lobte seine Standhaftigkeit mit den Worten: „Du hast ihn [den Sohn Gottes] gesehen, und der mit dir redet, der ist’s”. Jesus machte es also klar, daß der Sohn Gottes, der Christus, der vollkommene Begriff vom Menschen in Gottes Bild ist. Wie sehr dies seinen Zuhörer ermutigt haben muß, sich zu einem höheren Verständnis seines eigenen rechtmäßigen Platzes im Reiche Gottes zu erheben!
Offenbar waren die Nachbarn jedoch nicht so bereit, zu glauben. Zuerst bezweifelten sie, daß er es sei; und die Pharisäer richteten, selbst nachdem dies einwandfrei festgestellt war, ihren Haß gegen die Wahrheit auf den Heiler: „Der Mensch ist nicht von Gott, dieweil er den Sabbat nicht hält. ... Gib Gott die Ehre! wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist. ... Wir wissen, daß Gott mit Mose geredet hat; von wannen aber dieser ist, wissen wir nicht”.
Die Welt macht immer noch dieselben Einwände. Indem die menschliche Meinung an dem überlieferten Glauben an die menschliche Geschichte Jesu festhält, weigert sie sich, die Wahrheit anzunehmen, die er den Menschen unermüdlich klarzumachen suchte. Sie sagt heute: Die Christlichen Wissenschafter legen mehr Nachdruck auf das Heilen als auf den Glauben an Gott; oder: die Christlichen Wissenschafter machen geltend, Krankheit und Sünde zu heilen, während wir doch wissen, daß nur Gott dies tun kann; oder: Jesus tat seine Wunder auf Grund einer besonderen Verleihung, um seine göttliche Ermächtigung zu beweisen.
Unsere geliebte Führerin bewies durch ihr Leben und ihre Lehre, daß in diesen Ansichten der Sterblichen ebensowenig ewige Wahrheit enthalten ist, wie in den Annahmen derer, die sich vor alters weigerten, die Macht Jesu, durch den Geist zu heilen, anzuerkennen. Die Sterblichen sind denselben falschen Annahmen, die sie vorbrachten, als Jesus den blind Geborenen heilte, noch nicht entwachsen. Während die Menschen ihrem Aberglauben und ihrer Unwissenheit entwachsen, sind alle menschlichen Meinungen häufiger Änderung unterworfen; die göttliche Wahrheit dagegen, wie sie durch die Christliche Wissenschaft geoffenbart wird, ist unveränderlich und kann stets durch Heilung und Erneuerung bewiesen werden.
Die Kraft des Christus, der Wahrheit, die Jesus bei der Heilung des blind Geborenen bekundete, steht fest, unberührt von veränderlichen Annahmen, und hinterläßt bleibende Beweise, daß die „korrekte Anschauung vom Menschen”, wenn verstanden und betätigt, sogar sogenannte unheilbare Krankheit tatsächlich heilt. Der Christus, die Wahrheit, ist immerdar gegenwärtig, um zu heilen und zu erlösen; und in dem Maße, wie wir in der Christlichen Wissenschaft nach dem Vorbild des einen vollkommenen Gemüts denken lernen und die falschen Vorbilder menschlicher Meinung aufgeben, finden wir, daß er wahrlich „das Licht der Welt” ist.
