Hiobs Ringen und seine Überzeugung von des geistigen Menschen Rechtschaffenheit veranschaulichen klar das Ringen des menschlichen Herzens nach einer Erklärung der bitteren Erfahrungen von Sünde, Krankheit und Tod, die die Sterblichen durchzumachen scheinen. Wenn Widerstand unser ehrliches Bemühen zu verfolgen und unsere Schritte zu hemmen scheint, wenn Krankheit und Not uns scheinbar in Fesseln halten, sind wir geneigt, unsere Schwierigkeiten Gott zuzuschreiben.
Wir alle kennen die Geschichte von Hiobs Leid und seinen Ausbrüchen der Bitterkeit, ehe er sein sterbliches Denken, das „den Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Verstand”, erkannte. Nachdem er es erkannt hatte, vertiefte er sich in die Vollkommenheit Gottes und in die ewigen Tatsachen des Daseins. Dann konnte er friedlich und freudig bekennen: „Ich hatte von dir mit den Ohren gehört; aber nun hat mein Auge dich gesehen”.
Die Befriedigung unserer menschlichen Bedürfnisse, leibliche Gesundheit und weltliches Gedeihen können uns leicht in dem Glauben an eigene Gerechtigkeit bestärken. Es war für Hiob in seinen guten Tagen leicht, „ein Vater der Armen” und „den Waisen ein Helfer” zu sein. Seine Wohltätigkeit und seine Güte brachten ihm Ruhm und Ehre ein. Als aber alle irdischen Stützen zusammengebrochen waren, lernte er nach schwerem Kampfe Gott als den Ursprung und die ewige Wesenheit alles wahren Daseins und aller wahren Tätigkeit erkennen. Ohne Zweifel erwiesen sich ihm Elihus Worte: „Jetzt sieht man das Licht nicht, das am Himmel hell leuchtet; wenn aber der Wind weht, so wird’s klar”, als Hilfe, den Traum des Leidens zu brechen und die Bedeutung seiner Erfahrungen zu verstehen.
Auch an den Schüler der Christlichen Wissenschaft treten auf seinem Wege vom Sinn zur Seele Aufgaben heran, deren Zweck er wohl nicht begreift, und die ihn mit Zweifel und Entmutigung erfüllen. Er mag vielleicht nicht verstehen, warum trotz seines Trachtens nach dem Guten so viele Aufgaben an ihn herantreten und ihm den Weg verdunkeln. Die Notwendigkeit geistigen Fortschritts fordert jedoch, daß wir beim Ausarbeiten der Wahrheit des allumfassenden Seins Ausdauer und Treue beweisen. In jedem Falle sollten wir auf Gott harren und mit Gleichmut und Gewißheit die vollkommene Lösung unserer Aufgaben erwarten. Wir können nur dadurch wachsen, daß wir an den Tatsachen des Seins festhalten und mit unerschütterlichem Vertrauen zu der unendlichen göttlichen Liebe emporschauen, die uns trotz aller Leiden weit über körperliche Annahmen und Zustände hinaus erheben kann. Körperliche sogenannte Gesetze und menschliches Denken werden, was sie auch zu bewirken scheinen, im Reiche des Wirklichen nie Gesetzmäßigkeit erlangen, und wir müssen den Glauben überwinden, daß der Stoff wirklich sei. Das kann uns nur dann gelingen, wenn wir uns ganz besonders anstrengen, die „Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes” zu verstehen und die himmlischen Schätze der Wahrheit zu ergreifen.
Die Erfahrungen des sogenannten irdischen Daseins nehmen scheinbar so lang ihren Fortgang, bis die Menschen zu einer klareren Erkenntnis des geistigen Seins erwachen; aber die Wahrheiten des göttlichen Gemüts bestehen, durch körperliche Scheinzustände nicht unterbrochen, als ewige Tatsachen fort. Es nützt nichts, vor dem Zusammenbruch menschlicher Hoffnungen und Freuden erschüttert still zu stehen und sich in Sorge und Kummer zu vergraben. Mit heiliger Absicht müssen wir uns von der Asche unserer menschlichen Erfahrungen abwenden. Wir müssen nach den Tatsachen des wahren Seins trachten und bei ihnen verharren, bis wir ihren Ewigkeitswert erkennen und „volle Genüge” darin finden.
Die Welt ist voll ungelöster Aufgaben; was uns not tut, ist Treue gegen die Wahrheit, um die Verwicklungen des menschlichen Lebens zu entwirren. Vergeuden wir also nicht unsere Zeit mit Grübeln über enttäuschte Hoffnungen, ungestilltes Sehnen und unerfüllte Wünsche! Alles ungestillte Sehnen wurzelt im Übersehen des göttlichen Zwecks und unserer göttlichen Bestimmung. Durch alle Enttäuschung und durch alles Weh hindurch klingt unaufhörlich die Stimme der Wahrheit als freundlich mahnender Ruf zur Arbeit im Weinberge des Herrn. Wir sollten darauf achten und uns unserer wahren Gotteskindschaft bewußt werden. Wir sollten uns über die Trümmer rein menschlicher Wünsche und Ziele erheben und aufrichtigen Herzens trachten, den göttlichen Zweck zu ergründen. Wir können keine Enttäuschungen erleben, wenn wir Gott in uns wirken und Seine Gedanken in uns sich erfüllen lassen. Der kleinste Schritt vorwärts im Einklang mit dem Gesetz Gottes muß die Fülle der Freude und des Fortschritts über uns ergießen. Nichts Böses berührt Gottes Kind, und wir sollten uns von allem, was nicht gut ist, abwenden; dann beseitigt die göttliche Liebe den Schleier falschen sterblichen Glaubens, und wir sehen die ewige Wahrheit über Gott und den Menschen ungehindert zum Vorschein kommen. In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 4) schreibt Mrs. Eddy: „Das beständige Streben, immer gut zu sein, ist Beten ohne Unterlaß. Die Beweggründe zu solchem Beten werden in den Segnungen offenbar, die sie bringen — Segnungen, die bezeugen, daß wir würdig sind, an der Liebe teilzuhaben, selbst wenn sie nicht in hörbaren Worten anerkannt werden”. So gelangen wir durch allmähliches Wachstum zu der Erkenntnis des geistigen und ewigen Lebens.
