Die christliche Religion einschließlich der Christlichen Wissenschaft hätte mehr tatsächliche und tätige Anhänger, wenn sie öfter als Lebensbahn, als Lebensweg angesehen würde. Das Christentum hieß zuerst „der Weg”, vergl. Apostelgesch. 19:9, 23; 24:14, 22. Der in der [englischen] berechtigten Bibelübersetzung mit „dieser Weg” wiedergegebene griechische Wortlaut heißt in neueren Übersetzungen „der Weg”. Ob Jesus beabsichtigte, seiner Religion diesen Namen zu geben, ist aus den Evangelien nicht klar ersichtlich; aber wahrscheinlich wollte er es, vergl. Luk. 20:19–21; Joh. 14:4–6. Ob er es nun beabsichtigte oder nicht, Tatsache ist, daß die soeben aus der Apostelgeschichte angeführten Stellen zeigen, daß etwa 25 Jahre nach der Himmelfahrt, als Felix Landpfleger in Judäa war, dieser Name üblich war. Daß er auch im Briefe an die Hebräer (10:19, 20) vorkommt, ist ein weiterer Beweis dafür, daß das Christentum zuerst „der Weg” genannt wurde.
Aus irgend einem Grunde blieb dieser Name für das, was Jesus lehrte und bewies, nicht bestehen. Nach und nach legten seine Nachfolger das Hauptgewicht auf Lehren anstatt auf Taten, auf das Predigen anstatt auf das Betätigen und auf seine Persönlichkeit anstatt auf seine mächtigen Werke. Ebenso erhofften sie Erlösung nicht mehr in der Gegenwart sondern in der Zukunft, nicht mehr durch gegenwärtiges Vollbringen sondern durch ein künftiges Gericht.
Den besten Beweis für diese Änderungen liefern die Glaubensbekenntnisse und Kirchenlehren, die in der Zeit zwischen der letzten neutestamentlichen Urkunde und der Kirchenlehre von Chalzedon (451 n. Chr.) aufgestellt wurden. Diese Glaubensbekenntnisse und Kirchenlehren verkündigen in der Form, wie sie uns erhalten sind, weder die Liebe Gottes zum Menschen, noch geht aus ihnen hervor, daß die göttliche Liebe den Menschen zugänglich und im menschlichen Leben wirksam ist. Sie erwähnen Güte weder in verneinendem noch in bejahendem Sinne als gegenwärtigen Wert, noch verweisen sie darauf, daß Jesus sich selber als „den Weg” bezeichnete”.
Natürlich bestand die soeben geschilderte Lage nicht genau so in allen Glaubensgemeinschaften bis zum Kommen der Christlichen Wissenschaft fort. Trotzdem war die Wiedereinführung einer anwendbaren und geistigen Religion, das Wiederaufleben des Christentums Christi, in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein großes Bedürfnis und ist es auch heute noch. Und was Mrs. Eddy zur Befriedigung dieses Bedürfnisses beigetragen hat, ist nicht nur als Ganzes groß sondern auch in den Einzelheiten wichtig. Sie hat z.B. das Christentum als „das Ergebnis des göttlichen Prinzips der Christusidee in der christlichen Geschichte” erklärt (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 577), und sie hat von neuem die Aufmerksamkeit und die Hingebung auf Jesus als den „Beispielgeber”, den „Wegweiser”, hingelenkt (S. 577, 497). Es ist zu beachten, daß er in den christlich-wissenschaftlichen Glaubenssätzen als der Wegweiser anerkannt ist.
Die Christliche Wissenschaft ist ein Lebensweg, dessen höchste Erleuchtung, vollkommene Veranschaulichung und vollständiger Beweis in der Lehre und in dem Beispiel Jesu enthalten sind. Sie offenbart, erweckt und entwickelt die göttlichen Möglichkeiten, die in jedem Menschen schlummern. Sie zeigt den Menschen, wie sie die ihnen durch uraltes falsches Denken auferlegten Unfähigkeiten, Untauglichkeiten und Verantwortlichkeiten abschütteln und ihr wahres Menschentum erlangen können. Sie erklärt die sogenannten Wunder Jesu als geistig natürliche und unbedingt gesetzmäßige Werke der Kraft, die die Unwahrheit der weltlichen Auffassung von Natur und Gesetz bloßstellten.
Die Christliche Wissenschaft hebt das Denken über die Ursache und den Zustand der Unordnung in das Reich Gottes — den Bereich der göttlichen Wahrheit und des göttlichen Lebens — empor und zerstört und verhütet dadurch Krankheit. Sie gibt den Menschen Beweggründe und Vorbilder, die nicht nur ausführbar sondern auch uneigennützig sind, und bessert dadurch die gesellschaftlichen Zustände. Liebe und Dienen erklärt sie als des Menschen Pflicht nicht nur gegen Gott sondern auch gegen seine Mitmenschen. Sie führt die geistige Kraft vor Augen, die der Güte mit Recht zukommt. Sie beweist, daß der Himmel nicht bloß die zukünftige Heimat der Rechtschaffenen sondern hier und jetzt der Lohn für rechtes Denken und rechtes Handeln ist. Da sie erbarmungsvoll, hilfreich und geistig ist, ist sie christlich. Da sie planmäßig ist, genaues Wissen bedingt und auf dem Prinzip beruht, ist sie Wissenschaft.
Jesus war und ist also unser Beispiel. „Er bezeichnete”, wie Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit (S. 46) erklärt, „den Weg für alle Menschen”. Durch sein Beispiel zeigte er uns, was Gottesdienst von uns fordern kann, und was uns dienlich ist. Bemüht, allen Menschen zu dienen, sagte er uns auch rückhaltlos und ausdrücklich, worin sein Dienen bestand, nämlich darin, daß er die Welt erleuchtete, für die Wahrheit zeugte, und „der Weg” war und „den Weg” wies. Ein solcher Dienst wäre vergeblich und zwecklos gewesen, ja, er wäre unmöglich gewesen, wenn die Wahrheit, die er bewies, nicht für uns so wahr wäre, wie sie für ihn war. Glücklicherweise war sie die ans Licht gebrachte Wirklichkeit von des Menschen Sein. Daher konnte Jesus sagen, was er sagte: „Weil ich lebe, sollt auch ihr leben” (engl. Bibel).
