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Wo Liebe not tut

Aus der Juli 1930-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In einigen unserer Weststaaten, wo durch den Anbau großer Flächen wertvolle Ernten erzielt werden, regnet es so wenig, daß das Land künstlich bewässert werden muß. Dies geschieht durch Wassergräben, die von einem Hauptsammelbecken ausgehen, das so hoch liegen muß, daß das Wasser durch sein natürliches Gefäll in die angebauten Felder fließt. Daher werden die Wasserbecken gewöhnlich im Gebirge oder an einem höher als die zu bewässernden Felder gelegenen Orte angelegt. Wer in der Regenzone wohnt, kann nicht ermessen, wie ängstlich besorgt der auf Bewässerung angewiesene Landwirt den Wasserstand des seine Felder versorgenden Sammelbeckens überwacht.

Was Wasser für die Landwirtschaft des Westens bedeutet, bedeutet Liebe für die christlich-wissenschaftliche Bewegung. Ohne Liebe wären unsere Bemühungen unfruchtbar und nutzlos, oder wie Paulus im 1. Briefe an die Korinther schreibt: „Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze”.

Wie sich die Ernten in einer trockenen Gegend nach der verfügbaren Wassermenge ziemlich genau im voraus abschätzen lassen, so läßt sich auch in jeder Gemeinde das Gedeihen, die Heiltätigkeit, die Christlichkeit, das zum Christentum bekehrende Bemühen der Christlichen Wissenschaft nach der Liebe im Herzen der Anhänger ziemlich genau abschätzen. Würden wir gefragt, wo in unserer Bewegung mehr Liebe am meisten not tue, so müßte die Antwort lauten: In unseren Kirchen. Sie sind die Sammelbecken, von denen die Kanäle ausgehen, die unsere Bewegung mit Stärke, Lebenskraft und Wachstum versorgen. Wie kann das Feld bewässert werden, wenn sie nicht von Liebe überfließen? Daß das heilende Wasser der Liebe in vielen dieser Sammelbecken kläglich tief steht, scheint eine Tatsache zu sein, von der man wünschen möchte, daß sie Einbildung wäre. Die häßlichen Knorren und Klippen der Eifersucht, des Neids, persönlicher Feindseligkeit, kleinlicher Zänkereien, lieblosen Tadels und anmaßender Herrschsucht, die bei Tiefstand des Wassers zum Vorschein kommen, sind unbekannt, wenn unsere Sammelbecken — unsere Kirchen — von Liebe erfüllt sind.

Wo ist das Heilmittel zu suchen? Im Bewußtsein jedes Kirchenmitglieds. Es gibt christlich-wissenschaftliche Gemeinden, denen es an Lebenskraft fehlt, weil so viele Mitglieder zu vergessen scheinen, was nach Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 113) „das Lebenselement, das Herz und die Seele der Christlichen Wissenschaft”, ihrer Religion, ist,— nämlich die Liebe. Sie haben den Buchstaben, aber sie lassen den Geist außer acht. Äußerlich fehlt es nicht an Höflichkeit, aber inwendig ist alles so freudlos und ungemütlich wie ein kalter Ofen im Winter. Manchmal fragen Besucher in Boston: Warum wächst die Christliche Wissenschaft in unserer Gemeinde nicht so weiter wie früher? Was ist bei uns nicht in Ordnung? Bei anderen Zweigkirchen geht es wunderbar vorwärts, woran fehlt es bei uns? Der auf Bewässerung angewiesene Landwirt braucht nicht zu fragen, warum seine Ernten verkümmern und zusammenschrumpfen, wenn sein Wasserbehälter leer ist; er kennt den Grund. Das Kirchenmitglied, das so fragt, findet seine Antwort in dem Mangel an Liebe unter den Brüdern.

Wenn jedes Kirchenmitglied, ohne über die Achsel zu schielen, um zu sehen, was sein Nächster in dieser Hinsicht tut, sich enschlösse, sein Bewußtsein mit mehr Liebe zu füllen, würden die öden und unfruchtbaren Stellen in seinen Kirchenangelegenheiten blühen wie die liebliche Rose. Warten, bis andere bereit sind zu tun, was jedermann selber tun muß, heißt es überhaupt nicht tun. Wollen wir in unseren weltlichen Angelegenheiten im weltlichen Sinne erfolgreich sein, so müssen wir hinauf und hinunter, vorund rückwärts sehen; aber in der wichtigen Angelegenheit, unsern Bruder wie uns selber zu lieben, brauchen wir nur in einer Richtung zu sehen, nämlich nach innen.

Hier drängt sich vielleicht die verwirrende Frage auf: Was nützt es, wenn ich mich allein abmühe, während meine Mitmenschen mit größerer Erfahrung viel mehr als ich vollbringen würden, wenn sie sich ähnlich anstrengten, und doch nichts tun? Wer selber auf Grund guter Vorsätze ein gutes Beispiel gibt, findet die Antwort ganz von selber. Es ist den Sterblichen nicht vergönnt, die Wirkung, die Reichweite und den Einfluß des Beispiels zu ermessen, das jemand gibt, der bestrebt ist, seinen Nächsten wie sich selber zu lieben. Er denkt vielleicht, er führe sein Bestreben schlecht durch, was vielleicht zutrifft; versucht er aber ehrlich und beharrlich zu lieben, so werden seine Bemühungen schließlich so gewiß von Erfolg gekrönt sein, wie der Tag auf die Nacht folgt. Beständiges Wiederholen einer würdigen Anstrengung ist oft besser als sofortiger Erfolg. Wer kann die Vermehrung eines einzigen Samenkorns ermessen, dessen Ertrag immer wieder, Jahr für Jahr, gesät wird?

Wer vorher nicht viel darüber nachgedacht hat, mag sich zuerst vor die Frage gestellt sehen: Wie soll ich anfangen? Unvergeßlich prägte sich dem Verfasser dieser Betrachtung eine vor 35 Jahren erhaltene Antwort ein, als er einen Bahnbrecher der Christlichen Wissenschaft, der weiser und liebevoller war als die meisten von uns, fragte: Wie soll ich es anfangen, meine Mitmenschen zu lieben? Die kurze Antwort kam unmittelbar von Herzen und lautete: Hören Sie auf zu hassen!

Seitdem hat sich keine hilfreichere und erleuchtendere Antwort auf des Anfängers Frage gefunden; denn wo Haß ist, kann keine Liebe sein. Es sollte nicht vergessen werden, daß Haß nicht mörderisch zu sein braucht, um gefährlich und schädlich zu sein. Er kann in abgeschwächter Form Abneigung, Schärfe, Bitterkeit und dergl sein und unter dieser Verkleidung unerkannt bleiben. Er kann sich ins Bewußtsein einschleichen und sich einwurzeln, wenn man sich achtlos angewöhnt, über andere lieblos und unfreundlich zu denken und zu sprechen.

Haß ist eine Annahme, die ausgerottet werden muß. Er hat kein Leben, das ihm genommen, kein Wesen, das zerstört werden könnte. Er kann nur wirken, wenn er einen Gegenstand findet; wird er von seinem Opfer getrennt, so bricht er zusammen. Wer glaubt, er hasse seinen Bruder um einer Demütigung willen, braucht nur sich von seinen verletzten Gefühlen zu heilen, um zu finden, daß sein Haß verschwunden ist. Läßt sein Haß gegen einen früheren Freund, der ihn einmal tief beleidigt hat, es ihm unmöglich scheinen, dem Freunde zu vergeben, so vergesse er die Beleidigung, und Vergebung wird folgen und den Haß vernichten. Haßt er seinen Nächsten, weil dieser erfolgreich war, wo er scheinbar Mißerfolg hatte, so merze er den Neid aus seinem Bewußtsein aus, und mit dem Neid wird der Haß verschwinden. Er wird tatsächlich finden, daß, wenn er den Haß von seinem Begriff von seinem Bruder trennt, nichts mehr davon übrig bleibt; und an Stelle des Hasses kann in seinem Bewußtsein Liebe treten. Vielleicht entdeckt er auch, daß er sich unwissentlich selber geheilt hat; denn sein Haß gegen einen andern kann, ohne daß er es ahnte, Ursache seiner eigenen Gebrechen gewesen sein, von denen er sich vergeblich zu befreien suchte. Haß wirkt auf den zurück, der ihn hegt. Wie ein berstendes Gewehr verletzt er den mehr, der ihn hält, als den, gegen den er gerichtet ist.

Angenommen, der erste Schritt sei ehrlich getan, dann erhebt sich sofort eine neue naheliegende Frage: Wie soll ich das Unliebenswürdige lieben? Das wird gar nicht verlangt. „Das Dauernde, das Gute und das Wahre” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 261) sollen, wie uns unsere Führerin ermahnt hat, die Ziele unseres unverrückbaren Denkens und Strebens sein. Wer diese Eigenschaften mit der Fackel der Liebe suchen will, kann sie sogar inmitten der Finsternis der Verderbtheit finden. Denn wer von einem andern, auch wenn er noch so heruntergekommen zu sein scheint, sagt, es sei kein Funken Gutes in ihm, äußert nicht nur eine Unwahrheit, sondern leugnet auch die Möglichkeit einer Besserung.

Jeder, der sich aufrichtig denen angeschlossen hat, die die Lehre des Meisters befolgen, hat in seinem Bewußtsein etwas, was auf den göttlichen Ruf: „Kommet her zu mir” eingeht, selbst wenn er nicht geneigt sein mag, mit seinen Gefährten immer Schritt zu halten. „Das Dauernde, das Gute und das Wahre” bilden einen Grundbestandteil seines Wesens, selbst wenn es schwer zu finden sein sollte. Wissenschaftlich gesprochen wissen wir, daß dem wirklichen Menschen nur Gutes innewohnt; aber wir haben es hier mit dem sterblichen Menschen, der Nachahmung des wirklichen, zu tun; und wir müssen ihn nehmen, wie wir ihn finden. Vielleicht tritt in seiner Gemütsart, seinem Benehmen oder seinen Neigungen nur wenig Gutes in Erscheinung; aber wir sollten dieses Wenige schätzen, es freundlich anerkennen, brüderlich unterstützen und ermutigen. Der Wert des Guten wird nicht durch den Umfang bestimmt, in dem es in Erscheinung tritt. Ein Golddollar ist klein und wird leicht übersehen; aber sein Metall ist so rein wie dasjenige der größeren Goldmünzen in der Bankkasse. Schaue also nach dem Guten in deines Bruders Wesen, selbst wenn du, um es zu finden, eine Kruste von Selbstsucht oder eine Anhäufung gerade jener Eigenschaften und Angewohnheiten, die dich immer abgestoßen haben, durchgraben mußt.

Der Christliche Wissenschafter kann das Wahre in seinem Bruder sehen, wenn er sich fest entschließt, das Falsche nicht zu sehen. Der Schürfer mit der Picke in der Hand wirft beim Suchen nach Gold jedes inhaltslose Stück Stein, auf das er stößt, ohne weiteres beiseite. Beharrlich sucht er nach der dünnen Goldader, die im nächsten Stück Quarz, das er bricht, enthalten sein kann; aber dem wertlosen Gestein, in das es eingebettet ist, schenkt er gewohnheitsmäßig keine Beachtung.

So kann ein Christlicher Wissenschafter, der sich angewöhnt, das Gute in seinem Mitmenschen zu sehen, vieles übersehen, was ihn früher abgestoßen hätte. Er braucht nur die Regelwidrigkeit, die Unwirklichkeit, die Nichtigkeit des Irrtums zu sehen und ihn zu verwerfen, damit er ihn nicht abschrecke oder ablenke, wenn er nach dem Guten sucht.

Hier soll ein Wort der Mahnung zur Vorsicht eingefügt werden, damit wir bei unserem Eifer, das Gute in unserem Bruder zu entdecken, nicht gedankenlos das Böse in solchem Maße übersehen, daß wir jemand Tugenden zuschreiben, die er nach menschlichem Ermessen nicht hat. Bei der Kirchenarbeit ist in dieser Hinsicht besondere Sorgfalt geboten. Gut gemeinte aber verfehlte Anstrengungen, Ungeeigneten verantwortungsvolle und maßgebende Stellungen in Kirchenangelegenheiten zu übertragen, weil sie vielleicht in der einen oder andern Hinsicht geeignet schienen, haben bedenkliche Folgen gehabt. Hat jemand einen auffallenden Irrtum durch einen eindrucksvollen Beweis überwunden, während er an anderen Irrtümern festhält, so folgt daraus nicht, daß er Ämter bekleiden kann, wo vollständige Rechtschaffenheit unbedingt erforderlich ist. Eine schwere Last auf schwache Schultern laden, heißt einen Zusammenbruch herausfordern. Jesus erkannte, wie weise es ist, den rechten Mann mit der rechten Aufgabe zu betrauen, wie wir aus seinem Gleichnisse von den anvertrauten Pfunden ersehen. Er lud dem Mann mit einer Fünfpfundfähigkeit keine Zehnpfundverpflichtung auf. Jedem war in dem Maße Gelegenheit geboten, wie er „Weisheit, Sparsamkeit und brüderliche Liebe” bewies (Handbuch, S. 77).

Stellen wir uns nun eine christlich-wissenschaftliche Kirche vor, in der jedes Mitglied sein möglichstes tut, in die Kirchenangelegenheiten nicht nur Weisheit und Sparsamkeit sondern auch brüderliche Liebe hineinzutragen,— lauter Eigenschaften, die unsere Führerin als göttliche Erfordernisse bezeichnete. Unter solchen Umständen haben unberechtigte Anklagen, Gegenbeschuldigungen oder Heftigkeit keinen Raum, auch bedarf es keiner Geschäftssitzungen bis tief in die Nacht hinein; ferner gibt es kein unnachgiebiges Bestehen auf der Durchführung von Nebensächlichkeiten, kein Verwunden, kein Verletzen, kein Entfremden wegen hastiger Worte, angefochtener Beweggründe oder mißverstandener Anstrengungen. Statt dessen wird jeder auf den andern liebevoll Rücksicht nehmen; es wird vielleicht Meinungsverschiedenheiten aber keine Zwistigkeiten geben. Die Mehrheiten werden überwiegen und die Minderheiten mitwirken. Bessere Heilarbeit wird nicht mehr Ausnahme sondern Regel sein.

Im allgemeinen führen unsere Kirchen ihre Geschäfte mit Weisheit. Sie vernachlässigen die erforderliche Sparsamkeit nicht; aber brüderliche Liebe darf allzu oft allein in einer Ecke sitzen und wird eher für unwesentlich als für grundlegend — mehr für eine Zierde als für eine Notwendigkeit — gehalten.

Unsere verehrte Führerin sah die brüderliche Liebe in unseren Kirchen jedoch ganz anders an. Sie machte sie im Handbuch (Artikel 24, Abschnitt 5) zum Höhepunkte ihrer Erklärung, die ein bewunderungswürdiges Beispiel weiser, bündiger und wirkungsvoller Ermahnung ist für eine Gemeinschaft von Menschen, die den Wert der Weisheit erkannt haben, von denen viele durch den Druck der Umstände gezwungen waren, Sparsamkeit zu üben, die aber als Ganzes vom tierischen Magnetismus verleitet werden könnten, das gering zu schätzen, was größer ist als die beiden anderen — die brüderliche Liebe.

Sollten die Worte unserer Führerin als Sinnspruch zur Zierde einer Wand gewählt werden, so könnten die Wörter „Weisheit” und „Sparsamkeit” passend in Silberund „brüderliche Liebe” in Goldschrift ausgeführt werden.


Viele Menschen fürchten die Einsamkeit, die sie ohne Zweifel mit Verlassenheit verwechseln. Aber in der Einsamkeit wie sonst nirgends ist immer oder kann göttliche Gesellschaft sein. Einsamkeit ist ein Entrinnen von dem wilden Lärm des Lebens, von wilden Lichtern, wilden Schatten. Sie ist eine Zuflucht, wo Stille, ruhiges Leuchten und geistiges Strahlen herrscht; sie ist ein Zusammensein mit der ewigen Liebe.—

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