Die Sterblichen wenden sich in Gedanken vielleicht zu keiner andern Jahreszeit mehr der Betrachtung der mit der Zeit verknüpften Dinge zu als am Neujahr. Das alte Jahr mit seinen vielen und mannigfaltigen Erlebnissen ist vorüber, und sie sind geneigt, freudig oder mit Bedauern noch bei ihnen zu verweilen. Und wie leicht der Gedanke von der Vergangenheit zur Zukunft überspringt, oft in der Befürchtung, daß die Trübsale der Vergangenheit sich wiederholen werden! Denn die Sterblichen glauben an Begrenzung; ihr Leben bewegt sich in engen Grenzen, in denen gute und schlechte Erlebnisse fortwährend wiederzukehren scheinen.
Die Zeit ist ein sterblicher Begriff. Mrs. Eddy erklärt sie auf Seite 595 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” u.a. so: „Zeit. Sterbliche Maße; Grenzen, in denen alle menschlichen Handlungen, Gedanken, Annahmen, Meinungen, alles Wissen zusammengefaßt werden; Materie; Irrtum”. Die Zeit kann also nie von der Materie getrennt werden. Die Materie ist aber der Erklärung der Christlichen Wissenschaft gemäß unwirklich, da Gott, der Geist, unendlich ist. Folglich ist die Zeit ebenfalls ein unwirklicher Begriff. Das Menschengeschlecht glaubt an die Wirklichkeit der Materie und der Zeit, und die unverweidliche Folge ist der Glaube an den Tod. Dieser Glaube an die Sterblichkeit wird erst überwunden werden, wenn durch das Verständnis, das wir durch die Christliche Wissenschaft vom ewigen Wesen des wirklichen oder geistigen Seins erlangen, bewiesen sein wird, daß Materie und Zeit gänzlich trügerisch sind.
Aber wie wird nun eigentlich die Herrschaft über Materie und Zeit erlangt? Sie muß durch das Verständnis Gottes und Seiner Schöpfung einschließlich des Menschen kommen. Gott ist das unendliche Gemüt oder der unendliche Geist, und da Er unendlich ist, ist Er unveränderlich, unwandelbar. Und die aus vollkommenen geistigen Ideen bestehende Schöpfung des Gemüts muß ebenfalls unwandelbar, unveränderlich sein. Infolgedessen ist der Mensch, der wirkliche Mensch, weil er die Idee Gottes ist, unveränderlich, die ewig vollkommenen Widerspiegelung seines Schöpfers.
Es ist von großem Interesse und Wert, über die zwischen Gott und Seiner Ideenschöpfung einschließlich des Menschen bestehende ewige Beziehung nachzudenken. Da Gott das unendliche Gemüt, die unendliche Intelligenz ist, muß Er sich Seiner Ideen immer bewußt sein. Könnte man nicht ebenso gut sagen, daß diese göttlichen Ideen von ihrem Schöpfer fortwährend erneuert werden? Ja, es kann nicht anders sein. Wenden wir dieses Folgern auf die Idee Mensch an, so sehen wir, daß der Mensch durch das Gemüt fortwährend erneuert wird, da das Gemüt nie aufhört, ihn zu kennen. Wie wunderbar die göttliche Wissenschaft auf diese Art das unzerstörbare und ewige Wesen der geistigen Schöpfung offenbart!
Die Christlichen Wissenschafter erkennen, wie hilfreich es ist, die Wahrheit über die fortwährende Erneuerung der Schöpfung zu wissen. Eine der Schwierigkeiten, mit denen sie wie alle Menschen zu kämpfen haben, ist der Glaube an das Altern. Durch diesen Glauben werden Männer und Frauen weniger nützlich, und sie werden schließlich ganz unfähig. Aber der Glaube an das Altern hat keine Grundlage im wirklichen Sein: Gott ist nicht dafür verantwortlich. Der wirkliche Mensch, Gottes Idee, wird vom Verfließen der Zeit, vom Vorüberziehen der Jahre nicht berührt. Ideen werden nie alt; als geistige Identitäten ändern sie sich nie. Sie sind samt und sonders ewig. Wir sollten danach trachten, dies klar zu erkennen, und nicht versäumen, unser Verständnis davon anzuwenden, wenn wir die Täuschung des Alters überwinden und unseren Mitmenschen helfen wollen, dasselbe zu tun.
Unsere verehrte Führerin gebraucht in ihrer Erklärung von „Jahr” auf Seite 598 in Wissenschaft und Gesundheit die erleuchteten Worte: „Ein Augenblick göttlichen Bewußtseins oder das geistige Verständnis von Leben und Liebe ist ein Vorschmack der Ewigkeit”. Erleben die Schüler der Christlichen Wissenschaft das nicht immer wieder? So oft sie einen Schimmer der geistigen Wirklichkeit erhaschen, so oft sie die Allheit Gottes als das Leben und die Liebe wahrnehmen, so oft sie erkennen, daß Gottes Schöpfung aus vollkommenen geistigen Ideen besteht, durchbrechen sie die Hindernisse der Zeit und haben „einen Vorschmack der Ewigkeit”. Was für eine Freude zu wissen, daß dies sogar jetzt möglich ist! Wie es unser Bemühen, im Verständnis des wirklichen Seins zu wachsen, anspornen sollte!
Diese Frage hat eine sehr praktische Seite. In „Miscellaneous Writings” (S. 34) schreibt Mrs. Eddy: „Der Körper wird vom Gemüt regiert; und das sterbliche Gemüt muß sich bessern, ehe der Körper erneuert und harmonisch wird,—da das Körperliche nur kundgewordenes Denken ist”. Angesichts dieser Tatsache sollten wir an die Wirkung denken, die es auf die Kranken haben muß, wenn sie anfangen, etwas von dem ewigen Wesen des wirklichen Seins, von dem unzerstörbaren Wesen des Menschen als Gottes Idee zu verstehen. Die Furcht wird z.B. beträchtlich abnehmen und wahrscheinlich verschwinden. Und in dem Maße, wie die Furcht überwunden wird, wird die Krankheit gemildert oder geheilt. Es ist ganz fraglos, daß in dem Maße, wie wir uns der Wahrheit über Gott und Seine Schöpfung harmonischer und vollkommener Ideen bewußt werden, dies an unserem Körper offenbar wird: es findet Erneuerung statt, und Harmonie anstatt Disharmonie herrscht.
Die Christliche Wissenschaft hat ihren Schülern das wahre Wesen Gottes und des Menschen geoffenbart, hat Gott als das Gemüt und den Menschen als die Idee des Gemüts geoffenbart, wodurch sie zwischen dem Ewigen und dem Zeitlichen unterscheiden können. Und im Verhältnis zu ihrem Verständnis können sie der Zukunft ruhig und vertrauensvoll entgegensehen. Obgleich wir gegenwärtig anscheinend in der Zeit leben und uns scheinbar der Materie und der Zwietracht bewußt sind, wissen wir dennoch, daß der Mensch in Wirklichkeit im ewigen Gemüt lebt und sich nur der Eintracht und des Friedens bewußt ist. In diesem göttlichen Bewußtsein, das „ein Vorschmack der Ewigkeit” ist, frohlocken wir, und wir suchen es uns zu bewahren und darin zu wachsen.
Im 3. Kapitel des 2. Briefes des Petrus lesen wir: „Ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre”. Heißt das nicht, daß Gott keine Zeit kennt? Der Apostel äußerte, was die Christliche Wissenschaft klar macht. Er muß daher einen „Vorschmack der Ewigkeit” gehabt haben, jener Ewigkeit, die Christus Jesus, dem er so treu nachfolgte, so gut verstand. Möge es uns vergönnt sein zu wissen, daß wir jetzt in der Ewigkeit leben, daß Zeit nur eine begrenzte, materielle Auffassung des Seins ist, und daß wir diese falsche Auffassung durch die göttliche Wissenschaft abschütteln und immer mehr in dem Bewußtsein der ewigen Wahrheit leben können! Den ernsten Schüler der Christlichen Wissenschaft sollte das Neujahr also nicht zu nachdenklichem Bedauern und ungewissen Vorahnungen sondern zu tiefgefühlter Dankbarkeit veranlassen.
