Ungestüm ist vielleicht das Kennzeichen, das einem in erster Linie in den Sinn kommt, wenn man an den Jünger Petrus denkt. Aber gerade er, der aus Furcht, sittlicher Feigheit und aus falscher Vorstellung von Selbsterhaltung seinen geliebten Meister verriet und über seinen Verrat beschämt den Kopf hängen ließ, predigte später das Christentum, heilte die Kranken und weckte die Toten auf. Wie kam es, daß der Jünger so schnell so großen Fortschritt machte? Durch die erlösende Macht der göttlichen Liebe und durch seine beständige Gelehrigkeit.
Der Lerneifer des Petrus zeigte sich, als der Meister seinen Jüngern die Füße wusch. Zuerst machte Petrus Einwendungen, dann rief er aus: „Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt” und zeigte dadurch, wie eifrig er von jedem unerwünschten Zug frei werden, die unvollkommene sterbliche Vorstellung vollständig aufgeben wollte. Da war kein Stolz, kein Verlangen nach Verheimlichung, kein Versuch, das Überwinden alles Ungöttlichen aufzuschieben und kein Festhalten an einer falschen Auffassung von Vergnügen. Kann jeder Schüler der Christlichen Wissenschaft von sich dasselbe sagen?
Wer „den alten Menschen ablegen” will, darf nicht nur in einigen Punkten gelehrig sein, sondern muß es bei allem sein, was seinen Charakter, sein tägliches Tun und Treiben, seine Gewohnheiten und sein innerstes Denken betrifft. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 8 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „An einem ehrlichen Herzen brauchen wir niemals zu verzweifeln; doch ist wenig Hoffnung für diejenigen vorhanden, die ihrer Schlechtigkeit nur dann und wann ins Angesicht sehen und sie dann zu verbergen suchen”. Es erfordert nicht wenig Mut und Ausdauer, das Überwinden falscher Annahmen, die die Wahrheit aufdeckt, fortzusetzen; aber die göttliche Liebe richtet die Gefallenen auf und ist bei jedem Schritt aufwärts ihr Halt, wenn sie gelehrig sind. Vollständiger Verlaß auf die unendliche Weisheit Gottes bringt die Gewißheit immerwährender Führung und Erhaltung mit sich.
Eine kindliche Haltung äußert sich also in Gehorsam, Erwartung, Heiterkeit und Vertrauen. Gelehrigkeit verlangt nichts weiter als die Lehren jedes Tages zu lernen. Sie will nicht wissen, was um die Ecke liegt, oder was das Ergebnis des Gehorsams gegen das göttliche Prinzip sein wird. Petrus legte manche Meile in der Richtung des Überwindens des persönlichen Sinnes durch den geistigen Sinn zurück, ehe er des Meisters eindringliche Frage: „Liebst du mich?” mit einem lauten, entschlossenen Ja beantworten konnte.
Die göttliche Wahrheit und die göttliche Liebe fordern von jedem Schüler der Christlichen Wissenschaft auf jeder Stufe seiner Erfahrung eine Antwort auf dieselbe Frage: „Liebst du mich?” Ist unsere Liebe zum Guten, unser Verlangen, die Allmacht Gottes durch bestimmte Beweise zu verherrlichen, so zwingend, daß wir den Kampf gegen Furcht und allen Irrtum gewissenhaft fortsetzen? Diesen Kampf in irgend einem Punkte aufgeben hieße aufhören, in diesem Punkte gelehrig zu sein; und wer nicht gelehrig ist, vereitelt sich den Sieg in dem betreffenden Punkte. Er schreitet jedoch sofort wieder dem Siege entgegen, sobald er gelehrig wird, selbst wenn er bisher vielleicht schon oft ausgeglitten ist. „Seine Tritte gleiten nicht”, sagt der Psalmist.
Gegen welche sterblichen Züge sollte man sich also schützen, wenn man immer gelehriger werden will? In erster Linie gegen Selbstrechtfertigung, die Verbündete der Selbstgerechtigkeit, des Eigenwillens und der Unehrlichkeit. Diese sittliche Verblendung ist das Gegenteil der Kindlichkeit; aber man kann davon befreit werden, wenn man über den geistigen Ursprung und die geistigen Kennzeichen des Menschen in Gottes Gleichnis nachdenkt. Die göttliche Liebe ist die große Unterweiserin der Menschen; und in dem Verhältnis, wie wir uns entschließen, unsere Lehren unverdrossen, mutig und liebevoll zu lernen, werden wir sie schnell und gründlich lernen und mit leichterem Schritt zum nächsten Bemühen vordringen.
Unsere Führerin schreibt: „So leben, daß das menschliche Bewußtsein in beständiger Verbindung mit dem Göttlichen, dem Geistigen und dem Ewigen bleibt, heißt die unendliche Kraft in sich zum Ausdruck bringen; und das ist Christliche Wissenschaft” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 160). Hierin deutet das Wort „bleibt” an, daß wir unser Denken vor allem, was es zu trüben sucht und was zu Auflehnung, Trägheit, Unehrlichkeit oder Verzagtheit führen könnte, schützen müssen. Nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene können die kindlichen Züge zum Ausdruck bringen, die der Meister so hoch schätzte, und es wird ihnen umso leichter fallen, je weniger Gehör sie dem Vorwand schenken, daß sie zu alt seien, sich zu ändern, oder zu eigenwillig, die Lehren geistigen Gehorsams zu lernen. „Den großen Kindern” empfiehlt unsere Führerin folgendes Gebet (Miscellaneous Writings, S. 400):
„Vater-Mutter, das Gute,
Liebevoll suche ich Dich.
Geduldig, demütig,
Auf Deine Weise—
Ob langsam oder schnell—
Streb’ ich empor zu Dir”.
