Wenn man bei seiner Arbeit innehält und ehrlich erwägt, warum man das erhoffte Gute nicht in größerem Maße vollbringt, ist man geneigt, sich mit der Bemerkung zu entschuldigen: „Ich habe keine Zeit”. Wenn man im Drang der Arbeit denkt, man würde sich mehr mit der Wissenschaft befassen oder alle Zeitschriften lesen oder sich mehr an eigentlicher Kirchenarbeit beteiligen, wenn man nur etwas mehr Zeit hätte, erscheint die Entschuldigung vielleicht nicht so übertrieben.
Was uns not tut, ist nicht mehr Zeit, sondern sie besser und weiser auszunützen. Ein Teil der Erklärung, die Mrs. Eddy auf Seite 595 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” für „Zeit” gibt, lautet: „Sterbliche Maße; Grenzen, in denen alle menschlichen Handlungen, Gedanken, Annahmen, Meinungen, alles Wissen zusammengefaßt werden; Materie; Irrtum”. Im Lichte dieser Erklärung erkennen wir, daß wir nicht eine erweiterte Auffassung von „Grenzen” oder der „Materie” oder dem „Irrtum” brauchen, um bessere Arbeit zu leisten. Wir müssen das Gefühl des Begrenztseins loswerden; und diese große Arbeit können wir dadurch in Angriff nehmen, daß wir lernen, jeden Augenblick nur Gutes zu denken.
Einen großen Teil unserer Arbeit tun wir gewohnheitsmäßig. Wer sich selber beobachtet, entdeckt wahrscheinlich, daß er manche Aufgaben ausführt, fast ohne etwas dabei zu denken, oder daß er einen großen Teil der Zeit an Nebensächlichkeiten denkt. Geht man zur Straßenbahn, steuert man einen Kraftwagen, oder spült man Geschirr, so hat man gerade da Gelegenheit, sich zu vergegenwärtigen, daß das göttliche Prinzip den wirklichen Menschen regiert, überwacht und leitet, daß des Menschen Wege in Gottes Hand sind, für den es weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens gibt. Es erfordert beständiges Wachen und Selbstzucht, unser ganzes Denken geistig tätig zu machen; aber es ist eine erfreuliche Aufgabe, und es wandelt sogar niedrige Beschäftigungen um.
In dem Maße, wie man sein Denken mehr in Übereinstimmung mit der göttlichen Intelligenz bringt, findet man, daß man nicht in der Zeit sondern in der Ewigkeit lebt. Wo sonst kann denn auch der Mensch, die Widerspiegelung des unendlichen Lebens, eigentlich leben? Er lebt in dem vollkommenen Leben, das keine Hast oder Eile kennt, in dem es kein Gefühl des Überladenoder Überlastetseins gibt, das sich vielmehr „in Schönheit, Erhabenheit und Ordnung” entfaltet.
Ein Schüler der Christlichen Wissenschaft lernte, als er von Eile sprach, dies durch das einfache Denken eines Kindes erkennen. Der Kleine sah ernst auf und fragte: „Läßt denn Gott dich hasten?”
Nein, Gott läßt die Menschen nicht hasten. Zu aller rechtmäßigen Arbeit bietet sich Gelegenheit, und diese Gelegenheit wächst und erweitert sich unmittelbar in dem Verhältnis, wie wir jeden Augenblick des Tages ausnützen lernen. Eine Christliche Wissenschafterin, die plötzlich fast doppelt so viel wie früher leisten mußte, erbrachte sich diesen lehrreichen Beweis durch eigene Erfahrung. Bei der vermehrten materiellen Arbeit bot sich anscheinend wenig Gelegenheit zu dem für unser geistiges Wachstum so nötigen Studium. Dann kam es ihr zum Bewußtsein, daß man durch nichts so sehr wächst wie durch fortwährendes wahres Denken, und daß die Hauptsache ist, daß man beständig bestrebt ist, den geistigen Begriff zu erlangen. Die durch solch rechtes Denken in ihren Angelegenheiten bewirkte Änderung schien ihr bemerkenswert. Sie brauchte weniger Zeit auf ihre Alltagsarbeit zu verwenden, und doch brachte sie in der kürzeren Zeit beträchtlich mehr zustande. Überdies bot sich reichlich Gelegenheit zu mehr geistiger Arbeit. „Das mit diesem geistigen Verständnis ausgestattete menschliche Gemüt wird”, wie Mrs. Eddy auf Seite 128 in Wissenschaft und Gesundheit schreibt, „elastischer, ist größerer Ausdauer fähig, kommt in etwas von sich selbst los und bedarf weniger der Ruhe”.
Selbst vom menschlichen Standpunkte aus braucht man nicht mehr Zeit sondern Gelegenheit; und der all-liebende Vater gibt Gelegenheiten fortwährend und in stets zunehmendem Maße. Die Allgegenwart des Guten bringt es mit sich, daß Gelegenheit stets gegenwärtig ist.
Prüfen wir dann, so oft sie auftaucht, die Einflüsterung, daß wir aus Mangel an Zeit nicht imstande seien, eine gute Handlung oder Tat auszuführen, und sehen wir im Lichte der Christlichen Wissenschaft ihre Nichtsheit, so helfen wir nicht nur uns sondern die ganze Welt von dem irrtümlichen Verlangen nach mehr Zeit befreien. Es läßt uns völliger in der Gegenwart leben und den falschen Zeitbegriff mit der Tatsache zum Schweigen bringen, daß wir hier und jetzt in der Ewigkeit leben. So tragen wir dazu bei, dem menschlichen Bewußtsein die Erkenntnis jenes Zustandes näher zu bringen, wo nach den Worten des Offenbarers „hinfort keine Zeit mehr sein soll”.
