Mutterliebe! Welch liebliches, bedeutungsvolles Wort, so zärtlich in allem, was es dem lauschenden Gedanken übermittelt! Wir sind Mary Baker Eddy tiefsten Dank schuldig; denn durch ihre beständige Gemeinschaft mit Gott wurde ihr die Offenbarung zuteil, daß Gott sowohl unsere Mutter als auch unser Vater ist, eine Offenbarung, die von so hoher Wichtigkeit ist, daß die Welt bis jetzt nur wenig begreift, was sie für das Menschengeschlecht bedeutet.
Jahrtausendelang ist die Menschheit gelehrt worden, Gott als Vater zu erkennen; aber dieser tief religiösen Frau wurde die vollständige Offenbarung der Allheit Gottes zuteil: „das Erscheinen der Wahrheit sowohl in der Weiblichkeit als auch in der Männlichkeit Gottes, unser göttlicher Vater und unsere göttliche Mutter” (Miscellaneous Writings, S. 33). Betrachten wir die Mutterschaft, die Mutterliebe Gottes, jene Liebe, von der die menschliche Mutterliebe nur ein schwacher Abglanz ist, so erhebt sich unser Denken über die materielle Vorstellung. Wie töricht es scheint, daß wir uns je einsam oder unglücklich fühlten und uns fürchteten, wo wir doch in Wirklichkeit in der zärtlichen Mutterliebe Gottes weilen! Wer kennt wie eine Mutter das Bedürfnis ihres Kindes, nicht nur die geäußerte Bitte, sondern auch den stillen Wunsch? Wer wartet so liebreich wie eine Mutter darauf, selbst den unausgesprochenen Wunsch ihres Kindes zu erfüllen, wenn es für das Kind gut ist? Wer kann wie eine Mutter ermutigen und trösten? Aber viel zärtlicher als die zärtlichste menschliche Mutterliebe ist die Liebe unserer göttlichen Mutter. Und sie ist um uns, über uns und ergießt ihren herrlichen Strahlenglanz unverbraucht auf uns, sogar auf diejenigen, die es nicht wissen.
Und wie können wir diese göttliche Mutterliebe in unsere menschlichen Beziehungen, in unsere täglichen Berührungen mit unseren Mitmenschen bringen? Dadurch, daß wir beharrlich einander so sehen, wie Gott uns sieht, und nie von der Vision des vollkommenen Menschen, den unser Erlöser sah, abweichen. Nur dadurch, daß wir in Christus, der Wahrheit, leben, können wir hoffen, sie widerzuspiegeln.
Haben wir begonnen, die große Wahrheit der Vaterschaft und der Mutterschaft Gottes zu erkennen, so vergehen diese Unwirklichkeiten schon vor einer schwachen Erkenntnis, daß Gottes Liebe über uns wacht, selbst wenn der Irrtum behauptet, daß wir krank oder traurig oder von unseren Lieben verlassen seien, daß wir Mangel leiden, keine Freunde oder keine Heimat haben.
Christus Jesus, der gottähnlichste Mensch, den die Welt je gekannt hat, widerspiegelte die Liebe Gottes in größerem Maße als irgend jemand anders. Die Evangelien sind reich an Berichten der mächtigen Werke, die er durch seine unbeirrte Erkenntnis seiner göttlichen Sohnschaft, seiner ununterbrochenen Einheit mit seinem Vater-Mutter, der Liebe, vollbrachte. Stellen wir uns Jesus im Kreise kleiner Kinder vor! Wie sie ihn liebten! Da gab es keine Furcht, sondern nur zuversichtliches Vertrauen! War es nicht die von Jesus widergespiegelte Mutterliebe Gottes, die diese Kleinen zu ihm hinzog, die sich vertrauensvoll, erwartungsvoll an ihn schmiegten, als er „die lautere Milch des Worts” austeilte?
Dürfen nicht auch die älteren Kinder von heute sich fragen: Nahen wir uns Gott mit demselben unerschütterlichen Vertrauen, und achten wir zuversichtlich, erwartungsvoll auf das Erscheinen des Christus? Dürfen nicht auch sie als Kinder freudig erklären: „Ich, Sein Kind, bin Gott so nahe”?
Ein anderes Bild ist die im Evangelium des Markus geschilderte Auferweckung der Tochter des Jairus vom Todesschlaf. Wie liebreich mitfühlend Jesu Liebe darin zutage trat, daß er gebot, „sie sollten ihr zu essen geben”! Jesus hatte den Tod, den letzten Feind, besiegt; dennoch war das augenblickliche menschliche Bedürfnis nicht so unbedeutend, daß er ihm keine Beachtung mehr geschenkt hätte.
Und wiederum, was für eine krönende Liebestat war es, als Jesus in Qual und Verlassenheit am Kreuze, leidend, um der kranken und sündigen Menschheit zu zeigen, wie sie sich vom Glauben an den Tod befreien kann, in zärtlichster Liebe an die ihm am nächsten Stehenden, seine Mutter und den geliebten Jünger Johannes, dachte und zu ihnen sagte: „Weib, siehe, das ist dein Sohn!” und: „Siehe, das ist deine Mutter!” Welchen Trost, welche Ermutigung ihnen der liebevolle Gedanke Jesu gebracht haben muß! Er, den sie liebten, hatte ihnen das köstliche Geschenk der Freundschaft, ja sogar das schöne Verhältnis zwischen Mutter und Sohn gegeben und für alle Zeiten gezeigt, welch tröstlicher Balsam in treuer Freundschaft zu finden ist.
Es ist der Wunsch jedes Christlichen Wissenschafters, dem Wegweiser getreulich nachzufolgen; und was wir beizutragen haben, um der Menschheit das heilende Licht der Christlichen Wissenschaft zu bringen, ist klar. Wir müssen, selbst in der bescheidensten Eigenschaft, stets dienstbereit sein. Bewies nicht auch unser Meister seine große Demut, als er seinen Jüngern die Füße wusch, ehe er von ihnen schied? Wir müssen immer bereit sein, den Dürftigen einen Becher kalten Wassers in Christi Namen zu geben, ja bereit sein, zu geben und zu vergeben, sollte es auch „siebzigmal siebenmal” von uns verlangt werden!
Wahrhaft liebevoll sein, heißt bereit sein, unserem Bruder die Hand zu reichen, wenn sein Pfad finster ist, ihn zu ermutigen, mit seinen Befürchtungen unerschütterliche Geduld zu haben,—das Wort zu sprechen, das ihn frei macht. Es heißt, ihm allezeit und überall helfen und immer bereit sein, ihn mit einem freundlichen Blick zu erheitern. Liebevolles, geduldiges, beharrliches Versichern und das Erkennen, daß der von Gott geschaffene Mensch der geliebte Sohn, der Geliebte der Liebe ist, heilt die hoffnungslosesten Annahmen von Krankheit oder Sünde, sei es ein Sünder oder ein Leidender, der unsere Hilfe sucht. Solche Hilfesucher werden sich, obwohl zuerst vielleicht zweifelnd und strauchelnd, über die gute Botschaft, daß der Mensch Gottes innig geliebter Sohn ist, freuen und durch klareres Erfassen der frohen Botschaften erstarkend erkennen, daß weder Krankheit noch Sünde zum wahren, geistigen Selbst gehören. Ja, als Nachfolger Christi müssen wir den Geist des Geheißes befolgen: „Siehe, zu segnen bin ich hergebracht; er segnet, und in kann’s nicht wenden”.
Laßt uns beten, daß Gottes Liebe in unserem Leben so scheinen möge, daß alle, die sehen, einen Schimmer der Herrlichkeit Gottes, der „Schönheit der Heiligkeit”, der Vollkommenheit des Seins, erhaschen können und dabei die göttliche Liebe dankbar preisen! Die göttliche Liebe wartet, ewig liebend, ewig segnend, ewig ziehend, ewig rufend; und die Menschenkinder, die diesen zärtlichen Ruf hören, kehren heim und lernen von neuem die Wahrheiten vom Reich Gottes, das nahe herbeigekommen ist. In dem Maße, wie die Gehorsamen ihr Geburtsrecht als Söhne und Töchter Gottes von neuem beanspruchen, werden sie die freudige Verheißung erleben, die unsere Führerin Mrs. Eddy in die Worte faßte (Miscellaneous Writings, S. 206): „Über die gegen das zurückweichende Ufer sich stürzenden Wogen des Jordans hinweg hören wir des Vaters und der Mutter Willkomm, der zu den Getauften des Geistes immerdar sagt: ‚Dies ist mein geliebter Sohn‘ ”.
