In Jesu Bergpredigt lesen wir die Worte: „Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel”. Und Paulus, sein getreuer Nachfolger, schrieb den Römern: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem”. So stimmen also die Lehre Jesu und die des Paulus über diesen Punkt ganz genau miteinander überein. Beide legen Nachdruck auf etwas Wesentliches im christlichen Charakter.
Haben der Meister und der Apostel die Heiden etwas Unmögliches gelehrt, als sie von den Christen verlangten, Böses nicht mit Bösem zu vergelten? Manchmal, wenn man die Gesinnung der Menschen und ihren gegenseitigen Verkehr besonders heutzutage beobachtet, könnte man es glauben. Denn wie oft sehen wir, daß die Menschen gerade das tun, worauf Paulus besteht, daß sie nicht tun sollen,— nämlich Böses mit Bösem vergelten, ihren Gegnern zornig erwidern, sie so zu verletzen suchen, wie sie glauben, daß sie verletzt worden seien! „Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Wie hartnäckig das Verlangen nach Rache zu sein scheint! Und wie durchaus unbefriedigend und unvorteilhaft es für diejenigen ist, die töricht genug sind, ihm zu frönen!
Die Christliche Wissenschaft wirft ein außerordentlich klares Licht auf die Frage des Bösen und somit auch darauf, wie man sich dem Bösen gegenüber verhalten sollte. Das Licht ist wahrlich so hell leuchtend, daß das Böse als Wirklichkeit vollständig darin verschwindet. Wie kommt das? Die Christliche Wissenschaft offenbart die Wahrheit, daß Gott das unendlich Gute ist. Da Gott das unendlich Gute ist, besteht in Wirklichkeit nichts dem Guten Entgegengesetztes. Daher ist das Böse unwirklich. Man wird ohne weiteres zugeben, daß jemand, der dies versteht, das Böse nicht mehr so ansehen kann wie früher. Er kann es nicht mehr für eine Macht halten. Er kann es nicht mehr als etwas ansehen, was er in seinen Beziehungen zu anderen Menschen anwenden kann. Mit andern Worten, wer die Unwirklichkeit des Bösen versteht, kann es vernunftgemäß nicht mehr als Angriffs- oder als Verteidigungswaffe in seinem Verkehr mit Menschen anwenden.
Da der Christliche Wissenschafter weiß, daß Gott das unendlich Gute ist, und daß das Böse unwirklich ist, erkennt er, daß nur das Gute echte Macht besitzt. Und wenn er ferner weiß, daß der Mensch Gottes Ebenbild ist, versteht er, daß der Mensch nur Gutes widerspiegelt, und wird gewahr, daß wenn er, der Christliche Wissenschafter, sein Denken nur mit Gutem beschäftigt, er wirkliche Macht besitzt und ausüben kann, wie folgende Worte der Mrs. Eddy auf Seite 192 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” erkennen lassen: „Das Gute, das du tust und verkörperst, verleiht dir die einzig erreichbare Macht”. Wie weit doch diese wahrhaft ideale Lehre von den allgemein angenommenen irrigen Ansichten und Gewohnheiten der Menschen abweicht! Und man bedenke, daß sie absolut richtig ist, da sie auf unbestreitbarer Erkenntnis Gottes und des wirklichen Menschen beruht!
Diese Lehre, daß das Gute allein Macht hat, beherrscht nun die Gedanken und Handlungen aller echten Christlichen Wissenschafter. Abschnitt 3 des Artikels XXVI des Kirchenhandbuchs mit der Überschrift „Schutz gegen Malpraxis” lautet: „Lehrer sollen ihre Schüler darin unterweisen, sich gegen mentale Malpraxis zu schützen, nie Böses mit Bösem zu vergelten, sondern die Wahrheit zu erkennen, die frei macht, und dadurch nicht andern, sondern sich selbst ein Gesetz zu sein”. Der Christliche Wissenschafter sollte also nie „Böses mit Bösem vergelten”. Nein, er wird das weit Bessere tun: „die Wahrheit erkennen, die frei macht”,— wissen, daß das Gute wirklich und das Böse unwirklich ist. Nichts kann dieses Verfahren, sich gegen die vermeintlichen Machenschaften des Bösen zu schützen, ersetzen.
Es leuchtet ein, daß das Verfahren, das die Christliche Wissenschaft lehrt, eine sichere Verteidigung gegen Furcht, Haß, Zorn, Bosheit und Rache ist. Denn wie kann man sich fürchten, wie kann man Haß in seinem Denken hegen, wie kann man zornig, boshaft oder rachsüchtig sein, wenn das Böse unwirklich ist? Beherbergt man Furcht, Haß, Zorn, Bosheit oder Rache im Bewußtsein, und läßt man sie seine Handlungen auch nur einigermaßen beherrschen, so vergegenwärtigt man sich zweifellos die Wahrheit, die frei macht, nicht, sondern vergilt Böses mit Bösem und läßt die Ermahnung Christi Jesu und die Lehre der Christlichen Wissenschaft ganz außer acht.
In der heutigen Gesellschaft, wo die Mehrzahl bis jetzt nicht versteht, daß das Gute allein wirklich ist und Macht hat, wird dem Bösestun in großem Maße dadurch Einhalt geboten, daß man den Übeltäter bestraft. Etwas Besseres kann die Gesellschaft anscheinend bis jetzt nicht tun, obwohl in manchen Gegenden, wo es angebracht scheint, versucht wird, sittliche Erziehung anzuwenden. Wie dem nun auch sei, der echte Christliche Wissenschafter wird sich an sein geistiges Verfahren, sich gegen das Böse zu schützen, halten. Er wird fortfahren, das Böse im Lichte der Allheit Gottes, des Guten, als unwirklich zu sehen. Und er wird stets wissen, daß er, wenn er dieser Gewohnheit treu bleibt, allen Menschen ein Verständnis der Wahrheit, daß das Gute allein wirkliche Macht hat, bringen und dadurch den Glauben an die Wirklichkeit und Macht des Bösen für die ganze Welt vernichten hilft.
