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Lieben lernen

Aus der Dezember 1936-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Christus Jesus bezeichnete als zweitgrößtes Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst”. Wenn wir dieses Gebot zu halten trachten, sollten wir die Art der Liebe, die wir uns selber angedeihen lassen, sorgfältig prüfen, ehe wir versuchen, das Gebot mit Rücksicht auf unsern Nächsten zu befolgen. Es würde diesem keineswegs nützen, wenn wir ihn mit derselben Art Liebe bedächten, mit der sich die meisten von uns so gern geradezu überschütten.

Die Worte „liebe dich selber” werden schon so lang falsch verstanden, daß sich selber lieben als eine mentale Gewohnheit angesehen wird, die eher vermieden als gepflegt werden sollte. Der Irrtum liegt in einer falschen Vorstellung vom Selbst, das die Heilige Schrift uns lieben heißt. Wenn wir uns als eine in einem materiellen Körper enthaltene Anhäufung menschlicher Merkmale ansehen, finden wir, daß das materielle Vererbungsgesetz oder eine ähnliche menschengemachte Verfügung das Ergebnis bestimmt und es angenehm oder abstoßend macht. Diese Vorstellung zeigt, wie sehr uns das Verständnis des wirklichen Selbst des Menschen noch fehlt. Ohne dieses Verständnis verlassen wir uns auf die menschliche Persönlichkeit. Wenn unsere Persönlichkeit angenehm, unsere äußere Erscheinung ansprechend und unsere Talente in den Augen der Welt wertvoll scheinen, suchen Eigendünkel, Stolz und Eitelkeit sich unter der Maske Eigenliebe zu verbergen. Wenn uns dagegen das Gute in unserer menschlichen Aufmachung gering erscheint und wir sehen, daß die Welt uns unterschätzt, entwickeln wir allzugern einen sogenannten „Minderwertigkeitskomplex”. Furcht vor dem Urteil eines andern läßt uns oft uns selber geringschätzen. Dieser falsche Sinn von Demut sucht den Tadel eines andern dadurch zu entkräften, daß der Getadelte selber den Fehler zuerst zugibt. Dann gleicht unsere Eigenliebe der Verteidigungsweise einer Tigerin, die ihre hilflosen Jungen beschützt. Angesichts dieser nur allzu häufigen Fälschungen ist es klar, warum man bestrebt ist, sogar den Schein, daß man sich selber liebe, zu meiden, anstatt danach zu trachten, das Gebot der Bibel zu erfüllen und so seinem Nächsten und sich selber zu nützen.

Die Christliche Wissenschaft zeigt, was unser wirkliches Selbst ist: die immerwährende Widerspiegelung Gottes, die ewig alles Gute ausdrückt. Da der Mensch vollständig gut ist, ist er auch vollständig liebenswürdig. Es ist durchaus folgewidrig, anzunehmen, daß Gott, der alle Macht besitzt, den Menschen nicht ganz vollkommen und daher nicht völlig liebenswürdig erschaffen wollte.

Wenn wir wissen, daß Gott uns liebt, ist es dann nicht recht, in uns selber jene liebenswürdigen Merkmale zu sehen, die Er in Seinen Kindern sieht? Es ist daher klar, daß wahre Selbstliebe kein Verhätscheln unerwünschter menschlicher Züge oder Nachsicht gegen Fehler ist, sondern eine Wahrnehmung, die durch die menschliche Trugvorstellung hindurchdringt und den wirklichen Menschen als eine Widerspiegelung der Herrlichkeit Gottes sieht. Weil wir vollkommen fähig und unbegrenzt intelligent sind, gehört uns jene „Schönheit der Heiligkeit” (engl. Bibel), die alles, was die Materie darstellen kann, weit überragt. Wenn wir uns in die Höhen wissenschaftlich rechten Denkens erheben, werden wir finden, daß sich die Menschen zu uns hingezogen fühlen durch jene geistige Anziehung, die Christus Jesus mit seinen bekannten Worten beschrieb: „Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen”.

Ist es zu verwundern, daß wir in der Wirklichkeit unseres Seins unwiderstehlich liebenswürdig sind, da die Liebe selber uns so gemacht hat? Aber wir können es uns auch nicht einen Augenblick leisten, die Tatsache aus den Augen zu verlieren, daß wir nie unser eigener Schöpfer oder Urheber sind oder in irgend einem Falle von der großen Ersten Ursache, deren unvermeidliche Wirkung der Mensch ist, unabhängig sind. Wie wahrhaft demütig wir also sein sollten, wenn wir erkennen, daß das Selbst, das wir zu lieben geheißen sind, nur deshalb gut und vollkommen ist, weil es unfähig ist, anders zu sein! Laßt uns also damit beginnen, dieses wirkliche Selbst wahrzunehmen! So wird „der erste Mensch ... von der Erde und irdisch ... dem andern Menschen” weichen, der „der Herr vom Himmel ist”. Mit jedem Schritt diesem Ziel entgegen werden wir fähiger sein, eine heilende und erneuernde Liebe zu unserem Nächsten zu hegen.

Es gibt zwei Einflüsterungen, die manche geneigt sind, für wahr zu halten: erstens, daß wir niemand in der Welt haben, den wir lieben können; zweitens, daß wir in der menschlichen Gesellschaft unerwünscht und überflüssig seien. Das zweite ist leicht damit abzuweisen, daß ein Erfinder in seinem Plan einer Maschine keine überflüssigen Teile zuläßt; denn das würde ihren vollkommenen Gang vereiteln. Wieviel weniger würde der allweise Schöpfer in Seinem Weltall eine Idee zulassen, die nicht ein wichtiger und nützlicher Teil davon wäre! Können wir, da wir uns des Daseins bewußt sind, bezweifeln, daß wir unsern Platz in Gottes Plan haben? Wir werden diesen Platz erfolgreich ausfüllen, wenn wir stets „von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen” tun, was zu tun vorliegt. Die Einflüsterung, daß wir niemand haben, den wir lieben können, heißt gewöhnlich nichts anderes, als daß wir niemand finden können, den wir lieben wollen, oder der uns liebt.

Wir alle haben Liebe zu geben und müssen sie geben; denn die Liebe, womit Gott uns liebt, muß zum Ausdruck gebracht werden, sonst spiegeln wir Gottes Liebe nicht wider. Mrs. Eddy stellte eine göttliche Tatsache fest mit den Worten: „Und Liebe spiegelt sich in Liebe wider” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 17). Wir alle haben wahrscheinlich die Erfüllung dieses Gesetzes der Liebe gesehen, als wir uns unter der liebevollen Haltung, die jemand gegen uns einnahm, entfalteten. Es ist für uns jedoch wesentlich, Liebe auszusenden, selbst wenn niemand bereit zu sein scheint, sie zu erwidern. Wir brauchen uns so wenig um die Anerkennung des Empfängers zu kümmern, wie die Sonne darauf bedacht ist, nur dort zu scheinen, wo ihre Helle geschätzt wird. Jesus zeigte, wie völlig unzulänglich der Sinn von Liebe ist, der sich lediglich mit eines andern Zuneigung begnügt, als er sagte: „Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner?”

Die Liebe kann des Liebens nicht beraubt werden. Alle, an die wir denken, sollten Gegenstand unserer Liebe sein. Dann brauchen wir nie das Gefühl zu haben, daß wir ohne Freunde seien, wenn doch die ganze Menschheit darauf wartet, daß wir sie in diesem Lichte sehen. Unsere Führerin zeigt auf Seite 290 in „Miscellaneous Writings” das Ergebnis allumfassender Liebe, wenn sie schreibt: „Wenn der Gedanke in Gott weilt,— und er sollte für unser Bewußtsein nicht anderswo weilen, muß es alle, die einen Platz in unserem Gedächtnis einnehmen, sei es Freund oder Feind, segnen, und jeder nimmt an dem Segen dieser Ausstrahlung teil”. Ferner sagt sie: „Dieses persönliche Gesegnetsein und Segnen kommt weniger von persönlicher als von allumfassender Liebe: es strahlt Licht aus, weil es widerspiegelt, und alle, die empfänglich sind, nehmen gleichermaßen daran teil”. Es ist jedoch zu beachten, daß alle diese Ergebnisse von der uns gestellten Bedingung abhängen: „Wenn der Gedanke in Gott weilt”. Wir sind nicht für die Empfänglichkeit anderer Leute verantwortlich. Von diesem Standpunkt aus fühlen wir uns nicht persönlich beleidigt, wenn unsere Liebe nicht erwidert wird. Vielmehr sollten wir Erbarmen mit denen haben, die noch nicht lieben gelernt haben.

Wenn unsere Liebe in Freundschaft Erwiderung findet, sind wir traurig, wenn wir von unserem Freunde oder einem lieben Angehörigen getrennt werden. Aber warum? Dies zeigt, da wir wahre Liebe noch nicht verstehen, sondern haben das, was gewöhnlich Freundschaftsband genannt wird, zu einem Band werden lassen, das mit Ketten und Gefangenschaft gleichbedeutend ist. Wir lieben in unseren Freunden nicht ihr Äußeres, sondern die guten Eigenschaften, die sie ausdrücken, die Eigenschaften, aus denen der Mensch in Gottes Bild und Gleichnis besteht. Diese geistigen Eigenschaften sind ewig und allgegenwärtig und nicht auf eine materielle Persönlichkeit beschränkt. Wir sind überall, wo wir auch sein mögen, oder wer auch bei uns sein mag, in der Gegenwart dieser Eigenschaften — ja, wir könnten nicht von ihnen getrennt werden, selbst wenn wir es versuchten. Nur dadurch, daß wir unsern Sinn von Freundschaft unpersönlich und unmateriell machen, befreien wir ihn von jener besitzgierigen Haltung, die Schmerz und Trauer verursacht. Wir geben dadurch menschliche Anschlüsse und Freundschaften nicht auf, sondern finden, daß sie in unserem Leben das rechte Verhältnis annehmen, was zu froher Kameradschaft führt.

Unsere Führerin sagt uns auf Seite 100 in „Miscellaneous Writings”, daß „reine Menschlichkeit, Freundschaft, Heimat, gegenseitige Liebe einen Vorgeschmack des Himmels auf Erden bringen”. Und weiter unten auf derselben Seite sagt sie: „Der Christliche Wissenschafter liebt den Menschen mehr, weil er Gott am meisten liebt”.


Der Grund, warum viele von uns im geistigen Leben nicht höherkommen, ist, daß wir nicht wissen, wie wir beten sollen. Es ist natürlich, daß wir beten. Das Gebet zeigt unsere Beziehung zu Gott. Es ist das Mittel, wodurch uns der Herr den Lebensweg entlang führt. Es vertreibt alle Begierden, die uns von Gott wegführen.

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