Vielleicht die einschneidendste Veränderung, die im Bewußtsein dessen stattfindet, der die Christliche Wissenschaft verstehen gelernt hat, liegt in der Erkenntnis der Tatsache, daß die Materie nicht wirklich ist und daher nicht substantiell sein kann. So sehr haben wir uns daran gewöhnt, den Boden unter unseren Füßen und die uns umgebenden Dinge für greifbar und daher für substantiell zu halten, daß die dämmernde Erkenntnis, daß sie keine tatsächliche Substanz sind, zuerst etwas beunruhigend scheinen mag. Dies würde zweifellos vollständig zutreffen, wenn nicht das Erfassen dessen, was Substanz in Wirklichkeit ist, der wissenschaftlichen Erkenntnis dessen, was Substanz nicht ist, stets vorausgehen müßte. Nur wenn wir sehen, daß Substanz geistig ist, sehen wir auch, daß die Materie kein Teil der geistigen Wirklichkeit sein kann.
Auf Seite 177 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mrs. Eddy: „Die Materie oder der Körper ist nur ein falscher Begriff des sterblichen Gemüts”. Dies verweist die Materie sofort dorthin, wo wir wirksam mit ihr verfahren können: in das mentale Reich. Solange wir glauben, daß die Materie substantiell und dem Denken fremd sei, sind wir mehr oder weniger ihren falschen Gesetzen und Begrenzungen unterworfen. Wenn wir aber sehen, daß die Materie nur ein falscher Gesichtspunkt ist, mit andern Worten, daß sie nur die dem materiellen Sinn erscheinende Vorstellung von Substanz ist, haben wir begonnen, Herrschaft über sie zu gewinnen. Nur der materielle Sinn scheint sich der Materie bewußt zu sein; denn dieser Sinn kann die wahre Substanz nicht erkennen und sieht daher nur seinen eigenen falschen Begriff von Substanz. In dem Maße also, wie wir den materiellen Sinn aus unserem Bewußtsein ausscheiden, entledigen wir uns der Materie.
Unzählige sogenannte unheilbare Krankheiten sind in der Christlichen Wissenschaft durch das klare Verständnis geheilt worden, daß es keine materielle Substanz gibt, die krank sein kann, und daß es daher keinen Platz gibt, wo Krankheit sich einnisten kann. Tatsächlich war nie etwas Wirkliches in der Materie und wird auch nie darin sein. Ein Schüler der Christlichen Wissenschaft konnte einst heftige Schmerzen dadurch überwinden, daß er sich erinnerte, daß die Materie nach Ansicht vieler Naturwissenschafter aus positiv und negativ elektrisch geladenen kleinsten Teilchen bestehe, die für das bloße Auge unsichtbar sind, obgleich sie noch materiell sind. Dies ließ ihn klarer sehen, daß das Schmerzgefühl gänzlich mental war, daß das „Gemüt Christi” nichts von der Materie oder von Schmerzen wußte, und daß er daher nicht hypnotisiert werden konnte, eine Unwahrheit zu glauben. Die Materie wurde von dem christlich-wissenschaftlichen Standpunkt der Allheit Gottes aus verworfen und verneint und das Denken völliger in das Reich des Geistes erhoben, und die Folge war eine schnelle und dauernde Heilung.
Der Glaube an die Materie beengt und hemmt auf Schritt und Tritt; denn die Materie ist ihrem ganzen Wesen nach umgrenzt. Der materielle Sinn scheint dem Christlichen Wissenschafter ein scheinbares materielles Hemmnis —„Mauern Jerichos” oder ein „Rotes Meer”— vorzuhalten, indem er erklärt, daß es keinen Weg durch das Hindernis hindurch gebe. Für den Christlichen Wissenschafter kann es jedoch keinerlei Hemmnis geben. Wenn er unerschütterlich an der Wahrheit des Seins und an der Tatsache, daß Substanz geistig ist, festhält, wird er das Rote Meer sich teilen und die Mauern Jerichos fallen sehen. Wir müssen klar verstehen, daß trotz allem, was die Lage zu sein scheint, oder was für Gesetze der materielle Sinn darüber aufstellt, der ganze Anblick der Angelegenheit sich durch das Wirken des göttlichen Gesetzes augenblicklich zum Guten ändern kann. Das Zugeben dieser Tatsache hilft uns oft die Unwirklichkeit jedes scheinbar an uns herantretenden widrigen Umstandes sehen. Widrige Umstände sind nicht wirklich. Sie haben kein Prinzip, kein Gesetz, keinen Zweck, weil sie nicht von Gott sind.
Wenn wir uns mit dieser Frage befassen, ist es hilfreich zu wissen, daß wir uns nicht mit etwas Unermeßlichem, Verwickeltem und Gewichtigem befassen. Wir brauchen nur einen falschen Gesichtspunkt aufzugeben. Der materielle Sinn oder etwas, dessen er sich bewußt zu sein scheint, kann nicht ins Himmelreich kommen, und in dem Maße, wie wir völliger in dieses himmlische Reich eingehen, werden wir finden, daß wri die Materie aus den Augen verlieren. Einer, der dies erkannte, und der jahrelang mit einem Sinn der Begrenzung gerungen hatte, wurde von dieser Knechtschaft durch die Erkenntnis frei, daß es nichts gibt, was überhaupt begrenzt werden könnte, weil es keine Materie gibt. Begrenzung des Nichts ist eine offenkundige Sinnwidrigkeit. Wenn wir sehen, daß Substanz geistig ist und uns als Kindern Gottes durch göttliches Erbrecht jetzt gehört, müssen Mangel und Begrenzung aus unserem menschlichen Denken und aus unserer Erfahrung verschwinden.
Unzweideutiges Verneinen der Materie ist daher ein überaus wichtiger Teil unserer Arbeit beim Beweisen der Christlichen Wissenschaft. Wäre dem nicht so, so hätte unsere geliebte Führerin „die wissenschaftliche Erklärung des Seins” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 468) nicht mit solchem Verneinen begonnen. Die Unterscheidungslinie zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen muß klar erkannt und der materielle Sinn verworfen werden. Daher verläßt sich ein Christlicher Wissenschafter nie auf die Materie irgend welcher Art als Heilmittel. Ja, er weiß, daß er von unangenehmen Zuständen umso schneller frei wird, je mehr er von der Materie weg- und in das Reich des Geistes hineinsieht.
Es ist zweifellos wahr, daß der Schüler dieser Wissenschaft einen wichtigen Meilenstein auf seinem Wege himmelwärts erreicht, wenn er bereit ist, die Materie zugunsten des Geistes aufzugeben. Dies bedeutet nicht, daß er drastische äußere Schritte unternehmen oder versuchen soll, menschlichen Zuständen, über die er noch keine Herrschaft bewiesen hat, zu entfliehen. Es bedeutet auch nicht, daß er ohne gebührende Rücksicht auf die Rechte und Vorrechte anderer unbarmherzig seinen eigenen Weg gehen soll. Rücksicht auf einen schwächeren Bruder, wenn es die Lage zu fordern scheint, bedeutet nicht, daß wir unsern eigenen Standpunkt der Treue gegen den Geist nicht unbeirrt festhalten sollen.
Wer das Empfinden hat, daß er den Platz noch nicht erreicht hat, wo er sehen kann, daß die Materie keine Wirklichkeit hat, braucht nicht entmutigt zu sein. Wie ermutigend es doch ist zu wissen, daß wir immer die Leiter geistigen Strebens ergreifen und von der Sprosse aus, auf der wir gerade stehen, höhersteigen können! Die Hauptsache ist, daß wir beständig höhersteigen und uns durch keine mesmerische Einflüsterung am Aufstieg hindern oder zur Umkehr bewegen lassen. Jeder Schritt vorwärts ist ein Schritt aus der Finsternis und der Düsterkeit der Materie heraus in die reinere, klarere Luft geistiger Wahrnehmung hinein, wo wir die Schöpfung sehen werden, wie sie wirklich ist. Es kommt auch nicht in erster Linie darauf an, ob wir langsam oder schnell vorwärts zu kommen scheinen. Das wirklich Wichtige ist, daß wir dem Geist von ganzem Herzen und unerschütterlich treu sind und unser Bemühen ehrlich und aufrichtig ist. Unbeständiges Streben trägt nicht zu befriedigender und wahrhaft aufbauender Errungenschaft bei. Zielbewußtsein und planmäßiges Vorgehen gehen Hand in Hand.
Wenn wir einmal die reine Freude gekostet haben, die die mentale Absonderung von materiellen Annahmen bereitet, muß es unser einziges Streben sein, auf dem Pfade, der zu größerem Freisein von diesen falschen Begriffen führt, eifriger weiterzudringen. Nur wenn das Denken alles Glaubens an die Materie entkleidet ist, werden wir uns unseres Geburtsrechts als Kinder Gottes völlig bewußt und erkennen die Erfüllung der wunderbaren Verheißung des Propheten Zephanja, „daß du kein Übel mehr sehen wirst” (engl. Bibel). Wie ermutigend und erhebend, wenn wir so mit geläuterten Beweggründen vorwärtsstreben, die Worte unserer Führerin in Wissenschaft und Gesundheit sind, wo sie mit Bezug auf des Johannes Wahrnehmung „eines neuen Himmels und einer neuen Erde” schreibt (S. 574): „Dieses geistige Bewußtsein ist daher eine gegenwärtige Möglichkeit”.
Jede Gnade, die uns Gott in der Vergangenheit erzeigt hat, jede Fühlung Seines Lebens, die uns neu belebt hat, jeder Beistand Seines Geistes, der uns gestützt hat und uns den Sieg über das Böse hat gewinnen lassen, ist ein Beweis und eine Kundwerdung Seiner Macht.—
