In keiner einzigen Richtung prägen sich der Charakter und das Endziel eines Menschen bestimmter aus als im Beweggrund und Zweck seines Gebens. Jesu Leben enthält keine größere Lehre, als den Menschen zu zeigen, was geistiges Geben in seinem grenzenlosen Endzweck und Segnen ist. „Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt”, sagte er.
Überall, wohin er sich wandte, sah er Leute, die gaben, um von den Menschen gesehen zu werden, um sich beliebt zu machen, um dafür Geschenke zu erhalten; Leute, die reichlich gaben, weil sie sich dadurch sicher und edelmütig dünkten, oder die kärglich gaben, weil sie kärglich dachten und immer fürchteten, es könnte noch mehr von ihnen gebeten werden. Er sah Leute, die bei ihrem Geben und Empfangen handelten und feilschten, die gaben und trotzdem in ihrem Denken vorenthielten, weil es ihnen nicht darum zu tun war, einen andern zu segnen, sondern in erster Linie für sich Nutzen daraus zu ziehen.
Die Menschen können dies heute ebenso klar sehen, wenn sie in ihr eigenes Herz sehen, wenn sie die Welt um sich her beobachten, die getrieben, ausgebeutet und betrogen wird durch die Falschheit derer, die versprechen oder absprechen, was sie nicht verleihen können, weil es ihnen nicht gehört; die ihr Geben nicht auf das Bewußtsein der Unendlichkeit des Geistes, sondern auf Eigennutz und persönlichen Gewinn gründen.
Nach fast zweitausendjährigem Christentum müssen wir zugeben, daß die Art, wie die Welt gibt, größtenteils noch unverändert ist. Sie wird, ausgenommen in Fällen, wo ein persönlicher Sinn der Freigebigkeit befriedigt wird, oder in seltenen und erhabenen Beispielen selbstloser Menschenfreundlichkeit, immer noch durch die Erwartung eines zeitlichen oder dauernden Vorteils beeinflußt. Und dies ist nicht nur im Leben des einzelnen und im öffentlichen Leben so, sondern zeigt sich auch genau so in internationalen Angelegenheiten, wo oft Habgier und Neid unter völliger Mißachtung der Rechte anderer großgezogen und ausgebeutet wurde.
Auf Seite 518 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mary Baker Eddy: „Die geistig Reichen helfen den Armen in einer großen Brüderschaft, und alle haben dasselbe Prinzip oder denselben Vater, und gesegnet ist der Mensch, der seines Bruders Not sieht und ihr abhilft und das eigene Gute in dem des andern sucht”. Wer das eigene Gute in dem eines andern sucht, hat die Ansprüche des Wettstreits und das ehrgeizige Streben nach Sieg und Eroberung verworfen — ist aus einer umgrenzten und sich in Selbstsucht und Habgier immer mehr verengenden sterblichen Welt heraus- und in eine Welt hineingetreten, wo Geben und Empfangen nach den Worten des Propheten Jesaja „ohne Geld und umsonst” geschehen, weil sie einen mentalen und nicht einen materiellen Begriff ausdrücken.
Christus Jesus drückte in seinem uneingeschränkten Geben beständig Gottes Art aus. Symbolisch für die Unendlichkeit dessen, was er zu geben hatte, war die Speisung von mehr als fünftausend Menschen in der Wüste. Es war für das wartende Volk nicht nur genug, sondern übergenug vorhanden, und nachdem sie satt waren, wurde, um dies hervorzuheben, ein Korb nach dem andern von dem, was übrig blieb, bis zum Rande gefüllt.
Wer das eigene Gute in dem eines andern sucht, hat erkannt, daß sie in Wirklichkeit eins sind. Was das Gute eines andern beiseiteschafft, außer acht läßt, zerstört, ist für niemand gut. Wer einem andern vorenthält, glaubt stillschweigend, daß das Gute begrenzt sei, und hat sich von dem Bewußtsein der Unendlichkeit Gottes ausgeschlossen. Menschen oder Völker, die glauben, daß sie Segen oder Sicherheit finden, indem sie sich auf Kosten anderer bereichern, oder daß sie gedeihen können, wenn sie sich blindlings und besorgt an ihr eigenes Wohlergehen klammern, während anderen Befreiung bitter not tut, verzögern nur die Erkenntnis ihres Platzes in der „einen großen Brüderschaft”, die Jesus veranschaulichte, und die unsere Führerin weiter enthüllt und beleuchtet hat. Weil Jesus verstand, daß er durch Geben das göttliche Prinzip seines Seins ausdrückte, gab er nicht wie die Welt gibt. Er machte durch sein Geben den Menschen wesenseins mit der Quelle und der Substanz des unendlich Guten. Wir sehen, wie groß sein Verständnis des göttlichen Gesetzes, wie tief sein Erbarmen, wie edelmütig seine geistige Überzeugung war. Eine solche Überzeugung vom Einssein des Menschen mit dem Geben Gottes und daher vom grenzenlosen Ausdruck und Besitz Seines Gebens tut heute Menschen und Völkern not, damit ihr Urteil nicht abgelenkt, ihr Herz nicht hart, ihr Glaube nicht getrübt werde. „Gott gibt alles, und der Mensch hat alles, was Gott gibt”, schreibt unsere Führerin auf Seite 5 in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany”.
„Ich habe ihn erweckt in Gerechtigkeit”, lesen wir im 45. Kapitel des Propheten Jesaja, „und alle seine Wege will ich eben machen. Er soll meine Stadt bauen und meine Gefangenen loslassen, nicht um Geld noch um Geschenke, spricht der Herr Zebaoth”. Durch diese Mittel wird das Geben der Welt überall dem geistigen Geben weichen, das von „demselben Prinzip oder demselben Vater” ausgeht. So werden die Menschen, wie Jesaja voraussah, die Erhebung der geistigen Idee nach göttlicher Verordnung, den Wiederaufbau verwüsteter Stätten, die Befreiung der Gefangenen sehen, nicht aus Furcht vor Strafe, nicht um persönlichen Gewinns willen, sondern weil nur so die Art des Seins allgemein ausgedrückt werden kann.