Viele von uns haben wie die Leute zu Jesu Zeiten Gott um Heilung von körperlichen Leiden gebeten, wenn sich alle anderen Mittel als unwirksam erwiesen haben, und sind durch die Christliche Wissenschaft von Leiden erlöst und mit neuer Freiheit der Gesundheit gesegnet worden. Aber der ernste Sucher ist mit einem bloßen leiblichen Gefühl des Wohlseins nicht zufrieden. Er möchte etwas von der Kraft wissen, die ihn heilte, mit Gott, der göttlichen Liebe, vertraut werden.
Auf der ersten Seite in „Miscellaneous Writings” schreibt Mary Baker Eddy: „Demut ist der Schrittstein zu einer höheren Erkenntnis der Gottheit”. Diese Erklärung setzte eine Frau, welche Demut für ein Zeichen der Schwäche hielt, in Erstaunen. Sie hatte nicht erkannt, daß Jesu große Demut ihn mächtig machte. Viele haben Demut mit Unterwürfigkeit in Verbindung gebracht, haben gedacht, daß diejenigen, die demütig sind, getäuscht und gering geschätzt werden können. Ist dies nicht ein falscher Sinn der Demut? Wer wahrhaft demütig ist, fühlt sich keiner Person untergeordnet; denn er ist nur Gott untergeordnet. Demütiges Erkennen der Einheit und Allheit Gottes befähigt einen auch zu erkennen, daß der wirkliche Mensch, Gottes Widerspiegelung, vollkommen und vollständig ist.
Liest man weiter, so kann einem zum erstenmal ein Licht aufgehen, wie man wahrhaft demütig werden kann. Mrs. Eddy fährt fort: „Der aufsteigende Sinn entnimmt der Asche des sich auflösenden Selbst neue Formen und seltsames Feuer und läßt die Welt fallen. Sanftmut erhöht unsterbliche Eigenschaften nur durch Beseitigung des Staubes, der sie trübt”.
Stolz in seinen vielen Erscheinungsformen wie Selbstrechtfertigung, Neid und Eigenwillen ist das Hindernis der Demut. Viele sind erzogen worden zu glauben, daß Familienstolz oder Stolz auf Stellung, Macht und Besitz, wenn auch nicht offen zu hegen, so doch mindestens zu verteidigen sei. Familien- oder Ahnenstolz kann einen falschen Sinn des Vorrangs schaffen, da er Eigenliebe und Großtuerei nährt. Ein edles Erbe ist eher in gottähnlichen Eigenschaften des Denkens, in guten Taten als in Vererbung und Familienbesitztümern zu erkennen. Abraham Lincoln ist ein treffendes Beispiel edlen Denkens, dem kein Ahnenruhm zu Grunde lag.
In der Bibel lesen wir, daß Joseph von seinen Brüdern nach Ägypten in die Sklaverei verkauft wurde. Wegen seiner Ehrlichkeit, Weisheit, Standhaftigkeit und Demut „setzte ihn Pharao über ganz Ägyptenland”. Die biblische Geschichte erwähnt nicht, daß Joseph Stolz auf seine Stellung zur Schau trug, als seine Brüder zur Zeit der Hungersnot nach Ägypten kamen, um Getreide zu kaufen. Im Gegenteil, nachdem er ihre Redlichkeit genau erprobt hatte, behandelte er sie mit großem Erbarmen und wischte alles Denken an das Unrecht, das sie ihm zugefügt hatten, aus mit den Worten: „Und nun bekümmert euch nicht und denkt nicht, daß ich darum zürne, daß ihr mich hieher verkauft habt; denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch her gesandt”. Durch Demut anerkannte Joseph Gottes Größe und unfehlbare Führung.
Jahrhunderte später sagte der große Wegweiser, der das höchste Amt aller Zeit bekleidete: „Ich bin unter euch wie ein Diener”. Seine mächtigen Werke wurden durch bewußte Widerspiegelung seines Vater-Mutter, der Liebe, die in einer tiefen und allumfassenden Liebe zur Menschheit zum Ausdruck kam, vollbracht. Seine beständige Vergegenwärtigung der Allheit Gottes und der Nichtsheit der menschlichen Macht oder Gewalt wurde in Demut offenbar.
Demut des Denkens führt zur bewußten Gegenwart des Christus, der Wahrheit, die alle Widerwärtigkeiten heilt. Die Schritte auf dem Wege vom Stolz zur Demut werden durch die Christliche Wissenschaft gut erhellt. Gewiß springt einer nicht mit einem Satz vom Stolz zur Demut; aber der ehrliche Wunsch, eine klarere Widerspiegelung des göttlichen Prinzips, der Liebe, zu sein, treibt ihn an, genauer über sein Denken zu wachen. Er wird wachsamer im Weigern, Gedanken zu beherbergen, die nicht vom göttlichen Gemüt kommen können, wie Furcht, Eigenliebe, Wetteifer oder Vorurteil. Wenn Freundlichkeit und allumfassende Liebe das Denken erleuchten, das Stolz, Unduldsamkeit und Eigennutz verdunkeln würden, nähert sich der gehorsame Wissenschafter Gott, der göttlichen Liebe, und beansprucht wahres Selbstvertrauen, Intelligenz, Fähigkeit und Vollständigkeit, Eigenschaften, die er durch Verlaß auf Gott in vollem Maße empfängt. So gewinnt er auch ein klareres Verständnis seines Bruders und lernt dessen Wert höher schätzen.
Durch geduldiges Streben, demütig zu sein, erfährt er, daß jeder Schritt vorwärts durch zunehmende Freudigkeit, Gesundheit und Harmonie in seinem täglichen Leben reichlich belohnt wird. So beginnt die Umwälzung des menschlichen Denkens, die Auflösung des Selbst, die dem geistigen Verständnis weicht, und dauert fort. Familien- oder Besitzstolz scheint in der Tat dem fremd, der diese neue geistige Freudigkeit findet und Mrs. Eddys Ermahnung sorgfältig beachtet (Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1902, S. 9): „Kümmere dich weniger um die Welt, um Beliebtheit, Stolz und Bequemlichkeit und liebe!”
Laßt uns durch Sanftmut und geduldige Liebe den Staub des menschlichen Stolzes entfernen, damit unsere „unsterblichen Eigenschaften” ans Licht kommen können.
