Wenn die Menschen zur Erkenntnis der Größe des Lebens erwachen, finden sie sich eins mit allen großen Idealen und Zwecken, welche allgemeine Erlösung verkündigen. Indem sie sich wesenseins mit allem machen, was intelligent und gerecht für Gleichheit und Freiheit unter den Menschen arbeitet, sehen sie ihr eigenes Leben im Verhältnis zum Ganzen. Sie erfassen etwas von Mary Baker Eddys Worten auf Seite 100 in „Miscellaneous Writings”: „Die Bemühungen der Liebe sind nicht umsonst. Die fünf persönlichen Sinne, die weder die Bedeutung noch die Größe der Selbstverleugnung begreifen, mögen sie aus den Augen verlieren; aber die Wissenschaft verkündigt selbstlose Liebe, entfaltet das unendlich Gute, steht an der Spitze unwiderstehlicher Kräfte und wird schließlich die Früchte der Liebe aufweisen”. Wer nicht willens gewesen ist, „die lange Kleinheit des Lebens” zu verlassen, die zahlreichen Eigennützigkeiten und Feigheiten, die Unehrlichkeiten und Gegenbeschuldigungen des sterblichen Selbst aufzugeben, hat in „der Größe der Selbstverleugnung” nichts von der grenzenlosen Größe des Menschen, der das Gleichnis Gottes ist, gesehen.
Heute werden die Menschen in der allumfassenden und gewaltigen Not der Welt aufgefordert, nicht in Kleinheit zu denken und zu handeln, sondern in der Größe des Dienstes; nicht in Ausdrücken von mein, sondern von unser; nicht in bloßer Selbsterhaltung und eigenem Vorteil, sondern im Gewahrwerden der Versicherung Jesu: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden”.
Die Größe der Aufgabe, die zu erfüllen alle aufgefordert sind, kann kaum außer acht gelassen werden. Durch die Jahrhunderte hindurch haben große Männer und Frauen in erhabener Selbstverleugnung dem Ruf ihrer Brüder nach Befreiung entsprechend gehandelt; aber andere, die den Umfang ihrer Anstrengungen nicht im Maß der Liebe, sondern im Befriedigen ihrer eigenen Bedürfnisse oder Bestrebungen entworfen haben, haben Kleinheit in Ideal und Erfüllung bekundet. Heute sieht der Denker in der geistigen Chemikalsation, die die Wahrheit hervorruft, unerbittlich das unaufhaltsame Vordringen jener von Mrs. Eddy erwähnten unwiderstehlichen Kräfte. Er sieht auch, wenn er den Blick dem Licht zuwendet, daß trotz des wütenden, grausamen Widerstandes des Bösen ihre Weissagung in der Verwirklichung der Liebe in Erfüllung geht.
„Beurteile die Höhe deines Gemüts nach dem Schatten, den es wirft”, ermahnte Browning in „Paracelsus”. Nicht durch das, was wir sagen oder untätig als wahr oder falsch annehmen, sondern durch das, was wir sind und daher tapfer, beharrlich in der Größe unserer Pflicht vollbringen, leisten wir unsern Beitrag zu den Bedürfnissen der Welt. Durch diese Mittel allein wird das, was gerettet werden muß, gerettet, geht das, was nicht gerettet zu werden braucht, verloren.
Sich selbst verleugnen, wie unsere Führerin es tat: die Binde von blinden Augen nehmen, geschlossene Türen denen öffnen, die in Krankheit und Sünde eingekerkert sind, läßt alle Kleinheit zurück und tritt in die Selbstheit ein, die Unendlichkeit ist. Für sie waren göttliche und menschliche Größe nicht etwas Getrenntes und Unmittelbares. Sie setzte die dynamische Kraft und Gegenwart des Christus, die im Anfang der christlichen Zeitrechnung der Menschheit Heilung und Erlösung gebracht hatte, nicht beiseite und hielt sie daher nicht für unwirksam im täglichen Leben. Daher konnte sie die Mission des Heiligen Geistes oder des Trösters zeigen, konnte sie der Menschheit die Wissenschaft des Christentums enthüllen. Sie erinnert uns nicht nur beständig daran, daß Jesus „durch die Größe seines menschlichen Lebens das göttliche Leben bewies” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 54), sondern zeigt uns auch die einzige Art, wie dies getan werden kann. Können die Menschen in Anbetracht der Tausende, die wegen der Höhe und Breite des Schattens, den sie warf, wegen der Größe dessen, was sie lebte und liebte, Gesundheit und Erneuerung gefunden haben, trachten, weniger zu tun als ihr zu folgen?
Im menschlichen Leben allein erbringt jeder den Beweis seiner Jüngerschaft. Das Denken, das sich lieber der Beschränkung als der Unendlichkeit, lieber der Weltlichkeit als der Geistigkeit, lieber der Habsucht als der Freigebigkeit zuwendet, gibt das Christusbeispiel auf. In der Größe menschlichen Lebens wird das Leben bewiesen, das keine Selbstverleugnung fordert.
Was auch immer die Kleinheit sei, die sich einem im eigenen Wesen oder in dem, was man auf seinem Wege antrifft, darbietet, ist nicht als Hindernis, sondern als Herausforderung anzusehen. Nur die von den Sterblichen angeregten und ausgebeuteten Bemühungen sind umsonst; die von der Liebe bewirkten sind nicht vergeblich. Zu welcher Höhe sich dann einer erheben kann! Sein Ziel ist nicht mehr begrenzt, sein Himmel nicht mehr fern. Indem er seine Welt nicht mehr in Ausdrücken menschlicher Größe, so unermeßlich und mächtig sie auch sei, sondern in der Art der Allumfassenheit Gottes wahrnimmt, geht er in das unendliche Reich der Unsterblichkeit ein. Er weiß, wovon Jesus sprach, als er sagte: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen”.
So werden die Menschen, wenn sie die ganze Kleinheit des Sinnes und des Selbst aufgeben, aufgefordert, in „der Größe der Selbstverleugnung” vorwärtszugehen. Ihre Verantwortungen mögen furchtbar scheinen; aber die Bemühungen der Liebe kennen keine Einschränkung, keine Trennung. Wie klar doch Paulus die unveräußerliche Größe Gottes und des Menschen erkannte, als er in seinem Briefe an die Epheser von „der überschwenglichen Größe seiner Kraft an uns, die wir glauben nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke”, schrieb!
