Geistiges Denken führt jeden klaren Denker zu der Erkenntnis, daß hoch erhaben über den widersprechenden Meinungen und mentalen Bildern der materiellen Sinne das Gesetz und der Wille Gottes, des göttlichen Prinzips, jede Einzelheit des wahren Seins in Harmonie und Ordnung erhält. Das Studium der Christlichen Wissenschaft erweckt unser Bewußtsein zur Erkenntnis dieser unumstößlichen Tatsache. Diese Wissenschaft verkündet die Wahrheit, daß Gottes Wille einzig und allein Macht hat, und betont daher, wie hoch wichtig es ist, in Übereinstimmung damit zu leben.
Mit Bezug hierauf schreibt die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft Mary Baker Eddy in ihrem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 33): „Als das menschliche Element in ihm mit dem göttlichen rang, sagte unser großer Lehrer: ‚Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!‘ — das bedeutet, laß nicht das Fleisch, sondern den Geist in mir zum Ausdruck kommen. Dies ist das neue Verständnis von der geistigen Liebe. Es gibt alles für Christus oder Wahrheit hin.“ So wird ein jeder in dem scheinbaren Kampf zwischen den Sinnen und der Seele dazu geführt werden — ebenso wie Jesus — dem Willen Gottes Geltung zu verschaffen als dem wahren Willen des Menschen.
Bei ihrem Erlösungswerk enthüllt die Christliche Wissenschaft die irrige Natur des menschlichen Willens und seinen schädlichen Einfluß auf das Leben und die Gesundheit der Menschen. Auf Seite 490 ihres Lehrbuches sagt Mrs. Eddy: „Der menschliche Wille ist ein tierischer Trieb, nicht ein Vermögen der Seele. Daher kann er den Menschen nicht richtig regieren. Die Christliche Wissenschaft enthüllt Wahrheit und Liebe als die Triebkräfte des Menschen. Der Wille — blind, halsstarrig und ungestüm — wirkt gemeinsam mit Begierden und Leidenschaften. Aus diesem Zusammenwirken entsteht sein Übel. Daher kommt auch seine Machtlosigkeit, denn alle Macht gehört Gott, dem Guten, an.“ Die schädliche Einwirkung des menschlichen Willens in unserm Leben zu erkennen, bedeutet einen wichtigen Schritt in der individuellen Erlösung. Doch die Bereitwilligkeit, diesen Willen zu überwinden, damit der Wille Gottes geschehe, bedeutet einen noch wichtigeren Schritt in unsrer Entfaltung.
Das ganze Leben Jesu bestand in der Erfüllung des göttlichen Willens und Vorsatzes. Laßt uns nicht vergessen, wie oft er wiederholte, daß er nicht gekommen sei, seinen eigenen Willen zu tun, sondern den Willen seines Vaters, der ihn gesandt hätte. Er sah in sich nur den Ausdruck des göttlichen Willens. Indem er seine göttliche Selbstheit als die sich entfaltende geistige Idee erkannte, war er beständig dem Willen Gottes gehorsam und stellte somit ein Beispiel auf, dem wir alle folgen können.
Der menschliche Wille, wo und wie er auch immer in die Erscheinung treten mag, bringt niemals Glück, Frieden oder Freiheit. Despotische Beherrschung, ob nun in Familien, Geschäftskreisen, in Kirchen- oder Regierungsangelegenheiten ausgeübt, kann nur Disharmonie und Verwirrung bringen. Die immerwährende hartnäckige Behauptung des eigenen menschlichen Willens endet in Leiden und Schmerz. Streit und Reibung, wie sie beim Aufeinanderprallen entgegengesetzter Willensäußerungen hervorgerufen werden, offenbaren ihren bösen Ursprung.
Wer jahrelang als Ausüber der Christlichen Wissenschaft tätig gewesen ist, erkennt, welchen Teil der menschliche Wille bei den mannigfachen Schwierigkeiten und Problemen bildet, die von der Wahrheit geheilt werden sollen. Auch versteht er die heimtückische und trügerische Natur dieses menschlichen Willens und seine Einwirkung auf das Leben und den Körper derer, die geheilt werden möchten. Hier muß bemerkt werden, daß viele Menschen sich tatsächlich ihres Eigenwillens gar nicht bewußt sind. Viele können nicht begreifen, daß Eigenwillen ein störendes Element in ihrem Leben gewesen ist, oder daß er in irgend welchem Zusammenhang mir ihrem körperlichen Zustand steht. Darum sollte man sich oft daran erinnern: „Ich habe keinen Willen außer dem Willen Gottes — ‚nicht mein, sondern der Wille Gottes geschehe‘. Ich habe kein Gemüt außer dem Gemüt Gottes,“ — und sich klarmachen, was das eigentlich bedeutet. Der Wunsch, daß das Gemüt in uns sei, „das auch in Christus Jesus war“, und unsre ausdrückliche Bereitwilligkeit, im Gehorsam gegen das Prinzip zu leben, wird sicherlich mehr Zufriedenheit, Gesundheit und Harmonie in unser Leben bringen.
Betreffs dieses Problem des Eigenwillens erinnert sich der Verfasser an einen Fall, über den er ziemlich genau orientiert war. Es handelte sich um einen Mann, dessen Finger und Gelenke geschwollen, schmerzhaft und steif waren, — die Ärzte nannten es Gicht. Auch seine Füße waren so steif und schmerzten ihn so sehr, daß er nur mit Mühe gehen konnte. Doch begann er nun, die Verderblichkeit des menschlichen Willens klarer zu erkennen, und auch zu verstehen, daß er als Gottes Kind nur den göttlichen Willen und Vorsatz erfüllen konnte. Er lernte ferner begreifen, daß der wirkliche Mensch überhaupt nur ein Ausdruck von Gottes Willen ist, und daß dies die geistige Tatsache des Seins in bezug auf ihn selber und alle Menschen ist. Dementsprechend fing er nun an, sich in keiner Weise mehr mit Eigenwillen, Schieberei, Streberei, Hartnäckigkeit und materieller Widerspenstigkeit zu identifizieren. In dem Maße, wie dieser Wandel in seinem Denken vor sich ging und immer mehr zweite Natur wurde, ließen Schmerzen und Schwellungen nach, bis er Hände und Füße wieder vollkommen normal benutzen konnte.
Eigenliebe und Eigenwille verfinstern natürlich das Licht des geistigen Verständnisses. Darauf bezugnehmend sagt unser Lehrbuch (Wissenschaft und Gesundheit, S. 242): „Eigenliebe ist undurchsichtiger als ein fester Körper.“ Das Bewußtsein eines Menschen ist gewissermaßen mit einer Fensterscheibe zu vergleichen. Wenn Haß, Neid und Eigenwillen das Verständnis verdunkeln, so wird das Bewußtsein wie eine verstaubte Fensterscheibe. Das Licht ist zwar da, doch das selbstsüchtige und eigenwillige Denken läßt es nicht hindurchscheinen.
Die Christliche Wissenschaft erklärt, daß alle Schöpfung der Ausdruck oder die Offenbarwerdung des göttlichen Gemüts ist, und daß daher alle Ideen, die diese Schöpfung ausmachen, einen göttlichen Zweck haben müssen. Wir sehen also, daß vom geistigen Standpunkt aus der Mensch kein Zufall ist; denn er ist unentbehrlich für die Vollkommenheit der Schöpfung Gottes, des Gemüts. Wer folglich sein eigenes Sein als die Idee oder Widerspiegelung des göttlichen Gemüts erkennt, der kann nur den Willen des Gemüts ausdrücken und erfüllen.
Angesichts der Zustände, die heute in der Welt herrschen, sollten wir uns manchmal klarmachen, was wohl geschehen könnte, wenn jedes Einzelwesen sich in diesem Augenblick entschlösse, seinen eigenen menschlichen Willen aufzugeben, und seine Beweggründe, sein Denken und Handeln ausschließlich zu einem Ausdruck des göttlichen Vorsatzes zu machen. Alle Zwietracht zwischen Familiengliedern, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern würde verschwinden. Die Kriege würden aufhören, und die Einheit und Allheit Gottes würde demonstriert werden, wenn die Menschheit den göttlichen Willen widerspiegelte. Der menschliche Wille ist eine Art Trotz und Widerstand gegen das allumfassende Gesetz und Gebot Gottes, — ob man sich nun dessen bewußt wird oder nicht.
So lernen wir verstehen in der Christlichen Wissenschaft, daß unser Denken in Harmonie mit dem vollkommenen Willen Gottes zu bringen, bedeutet, in Harmonie mit dem göttlichen Prinzip zu sein und zu leben, Das Wort des Psalmes beschreibt wohl am besten diese Einstellung, dieses Leben in bereitwilligem Gehorsam gegen das Prinzip, wenn David sagt (Ps. 40:9): „Deinen Willen, mein Gott, tue ich gerne, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“