Ist es nicht beachtenswert, daß Jesus, als er das große Gebet betete, das wir im 17. Kapitel des Johannesevangeliums finden, damit begann, den Christus, den Sohn Gottes, zu verherrlichen? Wir lesen: „Solches redete Jesus, und hob seine Augen auf gen Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da, daß du deinen Sohn verklärest, auf daß dich dein Sohn auch verkläre.“
Dieses Gebet war das Vorspiel zu einer großen geistigen Erfahrung. Jesus sollte bald darauf ungerecht angeklagt, ungesetzmäßig verhört und grausam gekreuzigt werden. Die Versuche seiner Feinde, ihn zu zerstören, wurden zunichte gemacht durch sein Verständnis von Gott, dem Vater, an den sein Gebet vor der Kreuzigung gerichtet war.
Mary Baker Eddy definiert das Wort „Vater“ im Glossarium ihres Buches „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 586) wie folgt: „Ewiges Leben; das eine Gemüt; das göttliche Prinzip, allgemein Gott genannt.“ Der Gott, an den Jesus sein Gebet richtete, war der Gott, der das Leben ist; und wahrlich hätte er keine bessere Einstellung zu Gott finden können zu einer Zeit, als er mit dem Tode bedroht war. Bemerkenswert ist Jesu selbstlose Einstellung zu seinem Problem. Die Anfangsworte des Gebets haben Bedeutung für uns alle in ihrem inspirierten Sinne. Er begann nicht damit, sich selbst als Sterblichen zu verherrlichen, oder Erlösung für sein materielles Selbst zu erflehen. Er begann in tiefer Demut damit, den Christus zu verherrlichen, in der Erkenntnis, daß der Christus ihn verklären würde, wenn er in wahrer Demut und geistiger Aufrichtigkeit betete.
Jesus wußte ebenfalls, daß der Christus seine Jünger verklären würde, die hilfesuchend zu ihm aufschauten, ja daß er sogar diejenigen verklären oder inspirieren würde, die damals noch nicht seine Jünger waren, die jedoch dermaleinst fähig sein würden, unter den göttlichen Einfluß des Christus zu kommen. Sein Gebet der Selbstverleugnung sicherte ihm eine erfolgreiche Demonstration über den letzten Feind; denn nach drei Tagen erstand er wieder von den Toten in körperlicher Form und wandelte und redete mit seinen Jüngern.
Wenn es einem Christlichen Wissenschafter schwer fällt, eine tiefgründige Furcht zu überwinden, wenn all seine anfänglichen Anstrengungen, sich von dieser Furcht freizumachen, erfolglos gewesen sind, so sollte er nachsinnen über dieses Gebet Jesu und über seine Einstellung zu Gott und Seinem Christus. Dann mag er vielleicht einen heimtückischen Irrtum in seinem Denken entdecken. Vielleicht hat er zu viel an das eigene „Ich“ gedacht und für dasselbe gearbeitet! Vielleicht hat er dies falsche Ichbewußtsein mitgenommen in die christlich-wissenschaftlichen Gottesdienste, Zeugnisversammlungen, Vorträge und Lesezimmer. Es mag zu einem beständigen Begleiter geworden sein, einem Begleiter, der manchmal mit Selbstbedauern erfüllt ist, weil eine Demonstration noch nicht vollendet zu sein scheint. In dem Maße, wie man nachsinnt über die Worte Jesu, wird es einem klar, wie notwendig es ist, das falsche Ichbewußtsein zu überwinden.
Wenn ein Wissenschafter aufgefordert wird, ein Amt zu übernehmen, das eine gewisse Selbstüberwindung von ihm fordert, und er das Amt tatsächlich übernimmt, so kommt es oftmals vor, daß er von Banden der Furcht und der Selbstsucht befreit wird, die ihn gefesselt hielten. Natürlich sollte jeder Schritt vorwärts von Weisheit begleitet sein. So sollte man zum Beispiel keine Aufgabe übernehmen, der man offenbar nicht gewachsen ist. Doch eine Lektion, die gelernt werden muß, ist die Notwendigkeit, tiefgründige Furchtgefühle zu überwinden, — sie niemals zu beherbergen.
Mrs. Eddy schreibt auf Seite 385 in „Wissenschaft und Gesundheit“: „Was auch immer deine Pflicht ist, kannst du tun ohne dir zu schaden.“ Unsre Verpflichtung besteht darin, uns die göttliche Fähigkeit zu vergegenwärtigen. Es ist ganz klar, daß wir, wenn eine neue Anforderung an uns herantritt, die sich als eine Pflicht gegen Gott und den Menschen erweist, die entsprechende Arbeit in selbstloser Liebe und Treue erfolgreich leisten können.
In der Gewißheit, daß aufrichtiges Verlangen belohnt wird, sollten wir uns an die Selbstsucht wenden und mit Überzeugung zu ihr sagen: „Du kannst mich nicht davon abhalten, diese Arbeit zu tun, denn es ist meine Pflicht gegen Gott und meinen Bruder.“ Das Ergebnis solch einer mit Überzeugung gemachten Erklärung wird das Überwinden des falschen Ichbewußtseins werden, das unsern Fortschritt gehemmt und unsere Heilarbeit in der Ausübung der Christlichen Wissenschaft weniger erfolgreich gemacht haben mag, als sie hätte sein sollen.
Laßt uns eingedenk bleiben, daß wir uns an Gott wenden und Heilung suchen sollten mit dem Wunsch, den Christus zu verherrlichen, nicht um einen selbstsüchtigen oder persönlichen Vorteil zu erlangen. Dadurch wird viel von der alten Selbstsucht ausgetrieben werden; und wenn wir jemals wieder mit den stürmischen Wogen des Irrtums kämpfen müssen, so werden wir nicht mehr um der Schwachheit unseres Schiffleins willen in Sorge sein. Wir werden unsere Hände ausstrecken nach dem Christus, und der wird sie ergreifen mit seiner Macht und uns zu Sicherheit und Frieden führen. Gemäß den Worten des Paulus werden auch wir erkennen (Phil. 4:13): „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“ So wird es uns klarwerden, daß der Christus immer bei uns ist in unserm verklärten Bewußtseinszustand, und in dankbarer Anerkennung unserer Erlösung können wir in den schönen Worten jenes Liedes unserer Führerin singen:
„Und auf dem ird'schen sturmbewegten Meere
Sehe ich Christus wandeln dort,
Und sieh', er naht sich mir, und voller Milde
Spricht er zu mir sein göttlich Wort.“
Echte Demut überwindet die Selbstsucht und widmet sich der Dienstbereitschaft. In dem Maße, wie wir das rechte Verlangen hegen, werden sich uns Gelegenheiten bieten, von Diensten zu sein. Keinem, der wirklich den Wunsch hat, Gott zu gehorchen und seinem Bruder treu zu sein, wird es je an fortschrittlicher Tätigkeit mangeln. Die Furchtgefühle, die uns zu Gefangenen der Selbstsucht machen, verschwinden in der Freiheit, die uns durch das Verstehen der Seele zuteil wird.
Der Mensch ist geistig, die Widerspiegelung der Seele; und durch das Verstehen dieser Tatsache wird einer finden, daß er alle Fähigkeiten besitzt, die für die Erfüllung der Pflichten notwendig sind, mit denen der Vater ihn betraut hat.
