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„Die Art der Gnade“

Aus der September 1952-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es ist auffallend und bedeutsam für den Christlichen Wissenschafter, daß das Kapitel in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy, das hauptsächlich vom Heilen handelt, mit einem hervorragenden Beispiel von Gnade oder Barmherzigkeit beginnt (S. 362), einem Beispiel, das eine grundlegende Tatsache der Christlichen Wissenschaft veranschaulicht, nämlich, daß jemand, der die unendliche Liebe ausdrückt, in diese Liebe unfehlbar alles einschließt, dessen er sich bewußt ist. Die unendliche Liebe würde aufhören, unendlich zu sein, wenn sie eine Neigung enthielte, etwas auszuschließen.

Ja, diese Begebenheit, Jesu Verteidigung der Maria Magdalena im Hause Simons, kann sehr wohl Shakespeare veranlaßt haben, Gnade so zu sehen, wie Porzia es im „Kaufmann von Venedig“ ausdrückt:

Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang.
Sie träufelt wie des Himmels milder Regen
... zwiefach gesegnet:
Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt.

Der dritte religiöse Glaubenssatz der Christlichen Wissenschaft zeigt uns klar, daß unsere Barmherzigkeit sich wie Jesu Barmherzigkeit Gottes Vergebung zum Vorbild nehmen muß. Er lautet (Wissenschaft und Gesundheit, S. 497): „Wir bekennen Gottes Vergebung der Sünde in der Zerstörung der Sünde und in dem geistigen Verständnis, welches das Böse als unwirklich austreibt. Aber die Annahme von Sünde wird so lange bestraft, wie die Annahme währt.“

Barmherzigkeit ausdrücken ist eine gegenseitige und einigende Erfahrung, denn sie beseitigt einigermaßen das Hindernis persönlicher Gesinnungen, das „den Zaun“ bildet, „der dazwischen war“, von dem wir im Brief an die Epheser lesen (2, 14). Gewohnheitsmäßige Barmherzigkeit bedingt ein beständiges Anerkennen der Allheit Gottes, beständigen Verlaß auf sie, und dadurch bringt sie das Wirken und die Macht der göttlichen Liebe vollständiger in unser Leben und in unsere Angelegenheiten und ist oft ein Vorbote unerwarteten Fortschritts und unerwarteter Herrschaft.

Daß Barmherzigkeit den segnet, der sie übt, und den, dem sie zuteil wird, heißt nur eine subjektive Auffassung feststellen, wofür wir zwei beachtenswerte Beispiele in den im Alten Testament berichteten Erlebnissen Josephs und Davids haben. Durch ihr Freisein von Bitterkeit und Rache und die damit verbundene Nächstenliebe brachten sie in ihrem Handeln ihre Einheit, ihr Einssein, mit Gott einigermaßen zum Ausdruck, und die größere Liebe, die sie dadurch beseelte, führte sie in einen größeren menschlichen Wirkungskreis und gleichzeitig zu ungesuchtem persönlichem Wohlstand. Daß sie an Liebe reich waren, äußerte sich in menschlichem Reichtum.

Wirkliche Barmherzigkeit kommt so unmittelbar und natürlich mühelos zum Ausdruck, wie die göttliche Liebe ihr eigenes Sein ausdrückt. Ja, sie ist eine Eigenschaft dieser Liebe. Sie geht aus wahrer Intelligenz hervor. Sie ist ein Ausdruck der Seele; sie ist unparteiisch und wird von keinem persönlichen Sinnenzeugnis beeinflußt.

Eine wissenschaftliche und wahre Auffassung von der Liebe ist für dauernde Barmherzigkeit grundlegend. Die Liebe bekundet unumgänglich Barmherzigkeit; denn Liebe „rechnet“, wie Paulus so klar sah und erklärte (1. Kor. 13, 5), „das Böse nicht zu.“ War Jesus entsetzt, als das im Ehebruch ergriffene Weib zu ihm gebracht wurde? Gab er zu, daß sie eine verstockte Sünderin sei? Übermannten ihn Grauen und Selbstgerechtigkeit? Nein. Unsere Führerin schreibt in Wissenschaft und Gesundheit (S. 448): „Blindheit und Selbstgerechtigkeit klammern sich fest an die Sünde.“ Jesus spiegelte Gott in solchem Maße wider, daß er wußte, ihre Sündenannahme war vergeben, und er gebot ihr mit göttlicher, heilender Vollmacht (Joh. 8, 11): „Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!“

Diese Vollmacht entsprang seiner Erkenntnis, daß der Mensch ewig das Kind des Vaters ist, und nichts konnte ihn überreden, dies in Abrede zu stellen. Daher konnte er auch angesichts jedes sich darbietenden Irrtums, der Gottes Allerhabenheit und die daraus folgende Vollkommenheit des Menschen leugnete, unerschütterlich den Standpunkt vertreten (Vers 46): „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“

Diese biblische Geschichte zeigt klar, daß ein wahres Verständnis des Menschen und der Schöpfung, wie Gott sie schuf und sie kennt, immer von Barmherzigkeit begleitet ist, und daß ein treues Festhalten an dieser richtigen Auffassung den Vorhang — die Anhäufung von Annahmen, die Gottes Schöpfung verbergen — durchdringt und ihn zerreißt und dadurch des Menschen wahre Wesenheit ans Licht zu bringen beginnt.

Barmherzigkeit ist nie veränderlich; sie wohnt immer der reinen, unverfälschten Liebe inne, die das Prinzip ist. Barmherzigkeit kann nicht von der Liebe getrennt werden. Man kann nicht Gott lieben und keine Barmherzigkeit walten lassen; denn jemand, der Gott liebt, muß auch seinen Bruder lieben. Dies zeigt klar, daß sich das Maß unserer Liebe, ja, unsere ganze Denkart und unsere Treue gegen Gott aus der Art unserer Barmherzigkeit ermessen läßt.

Wir bekunden menschlich ausgedrückte Barmherzigkeit im Maße unseres geistigen Verständnisses: sie steht im Verhältnis zu unserem Beweisen der göttlichen Liebe. Sie muß mit Barmherzigkeit gegen uns selber beginnen. Ein sich selber verdammender Mensch kann wenig Barmherzigkeit erzeigen; denn die Verdammung, die er in sein Bewußtsein einläßt und die es kennzeichnet, wirkt ohne sein persönliches Wollen als Verdammung anderer. Und umgekehrt kann jemand, der einen andern verdammt, dem Gift der Selbstverdammung nicht entrinnen; denn unser Bewußtsein kann nicht in Fächer eingeteilt werden, sondern es besteht als ein unteilbares Ganzes.

Was für eine ganz andere Welt wir hätten, wenn Männer und Frauen als Kinder mit verständnisvoller Barmherzigkeit behandelt worden wären — wenn bei ihrer Zurechtweisung Liebe sowohl empfunden als auch an den Tag gelegt worden wäre! Dann hätte es wenig Ungerechtigkeit, Demütigung und Auflehnung gegeben — wenig Groll, Zorn und Haß — die im stillen verbittern und schließlich in den jetzt vorherrschenden verbrecherischen Neigungen gipfeln.

Alle Möglichkeiten des Guten sind jetzt gegenwärtig. Die in der Christlichen Wissenschaft enthüllte Lehre der Allgegenwart und immerwährenden Zugänglichkeit der Barmherzigkeit und Liebe Gottes schließt in sich, daß alles Gute, das einem Menschen je möglich war, heute möglich ist.

Gewohnheitsmäßiges Bestehen hierauf und beharrlich geübte göttliche Barmherzigkeit unserseits kann auch jetzt noch unsere weniger begünstigten Brüder von der Folter befreien, die ihnen falsche Erziehung oder unweise Behandlung auferlegt hat.

„Güte und Treue begegnen einander“, lesen wir in den Psalmen (85, 11). Wahrheit und Barmherzigkeit sind untrennbar. Vollkommene Barmherzigkeit muß aus dem Bewußtsein völlig auslöschen, daß etwas vergeben wurde oder der Vergebung bedarf. Diese Art Barmherzigkeit sucht Anne Campbell Stark in den Schlußzeilen ihres Gedichts:

Lehre mich vergeben,
Lieber Vater im Himmel,
Und hilf mir dann vergessen,
Daß ich vergeben habe.

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