Johannes bezeichnet Gott als Liebe (1. Joh. 4:8), und die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wir, um das Prinzip des Seins zu finden, nicht höher als auf die Liebe blicken können. Wenn wir erkennen, daß der eine Gott, das schöpferische Prinzip, Liebe ist, dann erkennen wir die Vollkommenheit ihrer Idee oder ihres Ausdrucks an — die Vollkommenheit des Menschen und des Universums; denn Liebe kann nichts Geringeres als Vollkommenheit schaffen. Das Wesen der Liebe macht den Menschen ohne Falsch, gesund und frei; sie hält ihre individuellen Ideen in harmonischer Verbindung beieinander; stattet sie mit Reinheit und Weisheit aus; läßt alle vom Guten beseelt sein; regiert alle mit ihrem barmherzigen, unwandelbaren Gesetz.
Die göttliche Liebe wirkt spontan, denn in ihr ist keine Zurückhaltung oder Parteilichkeit, die sie aufhalten könnte; keine Hemmungen oder Schranken, die ihr Wirken hindern, keine materiellen Bewertungen, die sie begrenzen könnten. Und der Mensch, der die göttliche Liebe zum Ausdruck bringt, spiegelt die Spontaneität des Wesens der Liebe wider. Das ist die Logik der wahren Theologie oder Christlichen Wissenschaft, und sie kann durch das Leben derer ausgedrückt werden, die willens sind, sie anzuerkennen. Mary Baker Eddy sagt in ihrer Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1901 (S. 1): „Als Christliche Wissenschafter seid ihr bemüht, Gott eurem eigenen Bewußtsein dadurch zu erklären, daß ihr das Wesen und die tatsächlichen Möglichkeiten der göttlichen Liebe empfindet und sie anwendet, um die absolute und höchste Gewißheit zu erlangen, daß das Christentum heute das ist, was Christus Jesus lehrte und bewies — Gesundheit, Heiligkeit, Unsterblichkeit.“
Gott recht definieren, bedeutet, Liebe durch die heilende Kraft ausdrücken. Unsere Liebe zu unseren Freunden entspricht unsrer Fähigkeit, Gottes Liebe zu ihnen widerzuspiegeln. Und wir verkörpern die göttliche Macht in dem Verhältnis, wie wir das Vorhandensein jener Liebe und ihre allen zur Verfügung stehende Anwendbarkeit beweisen. Ununterbrochen demonstrierte Christus Jesus Gottes Liebe zu Seinen Kindern. Er lehrte die Menschen, auf Gottes Liebe zu vertrauen, Glauben an sie zu haben und ihre liebende Fürsorge zu erwarten. In der Nacht vor der Kreuzigung, als der Meister um die Offenbarung der Einheit oder der Verbundenheit des Vaters mit Seinen Kindern betete, verweilte er lange barmherzig bei dem Gedanken, daß er der Menschheit das Verständnis des herrlichen Namens oder Wesens Gottes gebracht hatte. „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan“, betete er, „und will ihn kundtun, auf daß die Liebe, damit du mich liebst, sei in ihnen und ich in ihnen“ (Joh. 17:26). Der Meister wußte, daß die Liebe Gottes, die er in der Fülle seines eigenen Lebens ans Licht gebracht hatte, allumfassend war, daß alle teil an ihr haben konnten, und daß es für die Menschen nur die eine Notwendigkeit gab, nämlich den Namen Gottes kundzutun, indem sie Seiner Liebe gemäß lebten.
Unser Fortschritt im christlich-wissenschaftlichen Heilungswerk entspricht der Reinheit der Liebe, die wir zum Ausdruck bringen. Mrs. Eddy sagt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 239): „Um uns über unsren Fortschritt zu vergewissern, müssen wir uns klar werden, worauf unsre Neigungen sich richten, wen wir als Gott anerkennen, und wem wir gehorchen. Wenn die göttliche Liebe uns näher kommt, uns teurer und wirklicher wird, dann unterwirft sich die Materie dem Geist.“ In dem Maße, wie unsere Liebe zur göttlichen Liebe wächst, nimmt unsere Liebe zur Materie ab, unsere Abhängigkeit von andern Menschen wird geringer, und unser Verlangen nach rein menschlicher Liebe und Anerkennung vergeht.
Wir wissen, daß Liebe unsere Substanz ist, und daß wir in ihr unser Alles finden müssen. Wenn wir nach Gottes Anerkennung streben, sehen wir, daß das Wesen der Liebe sich sanft in uns ausdrückt, uns den Mut gibt, das Böse zurückzuweisen, und die Willigkeit, dem Schuldigen zu vergeben. Und der Geist der Wahrheit, die Charakter, Körper und Erfahrung umwandelt, vermittelt uns eine höhere Kundwerdung des Seins.
Moses definierte Gott als Liebe in der Weise, daß Gott uns gebot, Ihn zu lieben, keine andern Götter neben Ihm zu haben, und uns davor zu hüten, unseren Nächsten zu verletzen. Christus Jesus hob die Frage der wahren Anbetung höher. Neben anderem lehrte er uns, den Gottesbegriff dadurch zu definieren, daß wir die Vollkommenheit wahrer Gotteskindschaft zum Ausdruck bringen, das heißt, daß wir „den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit“ (Joh. 4:23). Doch die Christliche Wissenschaft offenbart Liebe als das Alles, und das erfordert eine restlose Zurückweisung der Annahme, daß in der Materie Leben sei, oder daß die Materie überhaupt existiere; daß das Böse wirklich sei oder Macht habe; daß der Tod unvermeidlich sei oder daß er das Leben bedrohen könne. Es wird uns in dem Verhältnis gelingen, Liebe als das All zu definieren, wie wir die Wahrheit von der Herrschaft und der unumschränkten Gewalt der Liebe demonstrieren, indem wir voll Erbarmen die Kranken, Sündigen und Verarmten heilen.
Das Anbeten der Liebe als das Alles-in-allem bedingt oft eine Art Zurechtweisung, die dem sogenannten sterblichen Gemüt Verdruß bereitet. Mrs. Eddy sagt in „Miscellaneous Writings“ (S. 214): „Obwohl Jesu Leben von Liebe erfüllt und eine Demonstration der Liebe war, schien es jedoch dem fleischlichen Gemüt oder dem sterblichen Denken seiner Zeit, Haß zu sein.“ Wir können die Tatsache nicht übersehen, daß Liebe auch Wahrheit ist; und Wahrheit wird nicht durch Sentimentalität und rein persönliche Treue bekundet, sondern durch geistige Lauterkeit, durch Treue gegenüber den aufrichtigen Zwecken der Wissenschaft und durch stets bereite Gerechtigkeit. Die göttliche Liebe schließt aus ihrer Gegenwart aus, was nicht in Harmonie mit der Vollkommenheit der Wahrheit steht, und in dieser „Finsternis... da wird sein Heulen und Zähneklappen“ (Matth. 8:12). Das Zarteste und Sanfteste wird zum Unnachgibigsten im Fordern der Erlösung, ehe der Segen der Liebe erlangt werden kann.
Wenn die richtige Zurechtweisung ihre Wirkung gehabt hat, und das sterbliche Gemüt sein Bemühen, Liebe in falscher Weise zu definieren, aufgegeben hat, dann sucht und erkennt das geläuterte Herz den Zustand des Menschen als den Gegenstand der Liebe, als ihre Idee, ihren wohlbehüteten Ausdruck, und die sich nie wandelnde Liebe heißt ihn willkommen. Gelassen im Verständnis ihrer eigenen Unendlichkeit, regiert Liebe ihr Reich in aller Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Und in dem Verhältnis, wie wir durch unseren Charakter eine Definition der Liebe geben, ruhen wir in der Harmonie der Liebe, erquickt durch ihre Kräfte, ruhig und im Frieden, als Beweis, daß der Mensch auf ewig eins mit der Liebe ist — der stete Zeuge ihres Wesens.
