In ihrem Buch „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften) bringt Mary Baker Eddy einen kurzen Aufsatz mit dem Titel „Empfindlichkeit“, der allen Menschen als ein sehr wichtiges Studium empfohlen werden könnte. Es ist ein Rezept für Harmonie, Zufriedenheit und reibungsloses Zusammenleben, das in den heutigen menschlichen Beziehungen so nötig ist. Der Schlüssel zu dem Aufsatz ist gewissermaßen in diesen Worten zu finden (S. 223): „Der mentale Pfeil, der von eines andern Bogen abgeschossen wird, kann uns nicht schaden, wenn unser eigenes Denken ihm nicht Macht verleiht.“ Somit wird hier die Verantwortung für ein Verletztsein dem Einzelnen anheimgestellt.
Scheinen wir manchmal die Zielscheibe für die Pfeile der Eifersucht, des Sarkasmus, der Beleidigung und der Verleumdung des sterblichen Gemüts zu sein? Sind wir je dem lächelnden Antlitz, das Betrug verbirgt, dem Schmeicheln, das Heuchelei bemäntelt, und der falschen Freundschaft, die für selbstsüchtige Zwecke ausgenützt wird, begegnet? Wir sollten uns weigern, durch Beleidigungen anderer verletzt zu werden.
Das Gegenmittel für Empfindlichkeit ist immer die göttliche Liebe. Unsere Führerin Mrs. Eddy rät uns zu bedenken, daß es zahllose menschliche Meinungen, Willen und Kulturen in der Welt gibt, die gegeneinander wirken, und dann spricht sie von den geistigen Eigenschaften, die eine undurchdringliche Rüstung gegen dies alles bilden: Demut, Geduld, Würdigung des Guten, Großmut, Gelassenheit, Gleichmut, Liebe und Freundlichkeit. Sie alle sind von Gott hergeleitete Eigenschaften, und wir können sie bewußt demonstrieren auf Grund der Tatsache, daß der Mensch untrennbar mit Gott, mit Liebe, Geist, Seele und Gemüt, verbunden ist.
Christus Jesus nahm Beleidigungen nicht übel auf, nicht einmal bei der Kreuzigung. Dagegen erregte die Reinheit seiner Lehren oft Ärgernis bei anderen. Im fünfzehnten Kapitel des Matthäusevangeliums lesen wir, daß die Schriftgelehrten und Pharisäer in Jerusalem, die streng auf den kirchlichen Traditionen bestanden, Jesus fragten, warum seine Jünger mit ungewaschenen Händen Brot äßen. Zu den Zeiten waren im Orient keine Messer und Gabeln im Gebrauch, und es war zu einem kirchlichen Brauch geworden, daß die Hand, die in die allgemeine Schüssel getaucht wurde, absolut rein sein mußte. Jesus, der ihre Kritik nicht übelnahm, da er wohl wußte, daß Heilbeweise und nicht rituelle Bräuche seine Lehren bestätigen würden, sagte zu ihnen (Matth. 15:11): „Was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht; sondern was zum Munde ausgeht, das verunreinigt den Menschen.“
Die Pharisäer andererseits waren selbstgerecht und aufgebracht, und die Jünger gingen zu Jesus und sagten ihm, daß er sie mit seinen Worten beleidigt habe. Doch Jesus, der sich durch solchen Tadel nicht irremachen ließ und nur den Wunsch hatte, von seinen Jüngern richtig verstanden zu werden, sagte zu ihnen (Matth. 15:19): „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsch Zeugnis, Lästerung. Das sind die Stücke, die den Menschen verunreinigen. Aber mit ungewaschenen Händen essen verunreinigt den Menschen nicht.“ Der Meister war imstande, mit Zöllnern und Sündern zu essen, erbarmungsvoll der Magdalena zu vergeben, Teufel auszutreiben und Kranke zu heilen, denn sein Bewußtsein von der Allheit der Liebe konnte nicht durch eine Annahme des Bösen berührt oder beleidigt werden. Er war wahrhaft eine Veranschaulichung jener Worte unserer Führerin (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 266): „Allumfassende Liebe ist der göttliche Weg in der Christlichen Wissenschaft.“
Christus Jesus hatte eine besondere Liebe für seine Jünger, doch auch sie fühlten sich manchmal durch seine Worte und Handlungen verletzt. Am Abend vor seiner Kreuzigung, als er das Abendmahl mit seinen Jüngern einnahm, sagte er ihnen, daß sie sich in jener Nacht alle an ihm ärgern würden. Jesus wußte, daß sie nicht immer den Christus, die geistige Idee der Liebe, wahrnahmen, und daß sie deshalb verletzt und verwirrt sein würden durch das, was ihr Meister und Lehrer erleiden sollte. Und doch gab es keinen andern Weg für ihn; und er wußte auch, daß sie nach der Auferstehung seine Worte und Werke besser verstehen würden und erkennen, daß die Liebe, die sich weigert, sich durch das Böse erbittern zu lassen, selbst über den Tod triumphieren kann.
Judas, einer der Zwölfe, verriet ihn mit einem Kuß für dreißig Silberlinge, doch nirgends wird berichtet, daß Bitterkeit, Zorn oder Haß im Denken Jesu Einlaß fand. Der bisher so treue und eifrige Petrus verleugnete seinen Meister dreimal; und trotzdem sagte Jesus nach seiner Auferstehung bei dem letzten Frühmal gerade zu Petrus (Joh. 21:17): „Weide meine Schafe.“ Hier finden wir keine Spur von verletzten Gefühlen — nur christliche Liebe.
In dem Maße, wie wir uns bestreben, Stolz, Bitterkeit, Empfindlichkeit, Eigensinn und Eitelkeit aus unserm Denken auszumerzen, werden wir nur das Bewußtsein der Liebe haben, das Bewußtsein, das keine verletzten Gefühle kennt. Der Psalmist sagte (119:165): „Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben; nichts kann sie verletzen.“ (nach engl. Bibelübersetzung.)