Im Mittelpunkt der Lehre der Christlichen Wissenschaft steht die Tatsache, daß alles, was unter irgend welchen Bedingungen zur eigenen Sicherheit und zur wahren und bleibenden Zufriedenheit vonnöten ist, jederzeit erlangt werden kann. Diese Tatsache wird in der Christlichen Wissenschaft genau erklärt und ständig bewiesen durch das Überwinden von Mangel verschiedener Art — Mangel an Gesundheit, an Gelegenheit und Fähigkeit, an entsprechenden Beziehungen, Frieden, Freude und anderen erstrebenswerten Dingen und Zuständen — ein Überwinden, das oft erlangt wurde, wenn es völlig ausgeschlossen schien.
Die Grundwahrheit dieser Lehre und die sich aus ihr ergebenden Erfahrungen wurden von Christus Jesus mit den Worten angedeutet (Joh. 10:30): „Ich und der Vater sind eins.“ Im Lichte der Christlichen Wissenschaft zeigt diese Erklärung die Einheit aller Menschen mit dem Guten, die weder an Ausmaß noch an Beschaffenheit begrenzt ist. Denn in dieser Wissenschaft wird Gott, der Vater, als das unendliche Gute, als das immergegenwärtige göttliche Gemüt, Leben und Liebe verstanden, wie auch die Heilige Schrift lehrt, und das wirkliche Selbst eines jeden als der unmittelbare und unbegrenzte Ausdruck Gottes. Jeder von uns, so sagte Jesus, ist eins mit dem Vater und daher keiner Begrenzung unterworfen.
Jesu Leben war, wie leicht ersichtlich ist, ein fortlaufender Beweis dieser Wahrheit. Wenn Mangel an Nahrung zu herrschen schien, versorgte der Meister sich und die andern damit. Wenn Harmonie und Friede weit entfernt und unerreichbar schienen, wie dies im Sturm auf dem Galiläischen Meer für die Jünger der Fall war, bewies Jesus ihnen, daß beides zur Hand war. In unzähligen Fällen, wo das Augenlicht oder die Sprache oder ein anderer Ausdruck von Gesundheit zu fehlen schien, brachte er ihn ans Licht. Selbst als das Leben scheinbar erloschen war, vermochte er, es wiederherzustellen.
Durch all diese Taten bewies er, daß weder er noch die andern von etwas wahrhaft Begehrenswertem abgeschnitten war, daß vielmehr die Vollkommenheit und unbegrenzte Fülle des göttlichen Seins allen immerdar zugehörte, um verkündet zu werden. Die unzähligen Heilungswerke, die die Christliche Wissenschaft heutzutage vollbringt, sind ein Beweis, daß das erhabene Beispiel des Meisters für alle Menschen und zu allen Zeiten fortbesteht. Mit seinen eigenen Worten (Joh. 14:12): „Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue“; was einfach bedeutet, daß alle Menschen immerdar und beweisbar mit dem unendlichen Guten verbunden sind.
Die allgemeine materielle Auffassung vom Menschen ist davon freilich sehr verschieden. Nach dieser Auffassung kann jeder Mensch von seinen Freunden getrennt und der Entfaltungsmöglichkeiten, der Gesundheit, Sicherheit und anderer notwendiger Dinge beraubt werden. Doch das, wohlverstanden, ist nur die Vorstellung der physischen Sinne, die selbst im Dienste der Naturwissenschaft immer unzuverlässig sind. Die Vorstellung vom Menschen, als könne er in Not geraten und des wirklich Wertvollen ermangeln, ist, nach der Christlichen Wissenschaft, ebenso ungütlig, wie die bekannten Trugschlüsse des gewerbsmäßigen Hypnotismus oder wie die Träume des natürlichen Schlafes. Um diese Auffassung vom Menschen zu berichtigen, bedarf es nur des weiteren Schrittes, der auch in diesen besonderen Fällen nötig ist: des Erwachens.
„Da der wirkliche Mensch durch die Wissenschaft mit seinem Schöpfer verknüpft ist“, schreibt Mary Baker Eddy in dem christlichwissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 316) „brauchen sich die Sterblichen nur von der Sünde abzuwenden und die sterbliche Selbstheit aus den Augen zu verlieren, um Christus, den wirklichen Menschen und seine Beziehung zu Gott, zu finden und die göttliche Sohnschaft zu erkennen.“
In Mrs. Eddys Schriften werden wir immer wieder an die Tatsache gemahnt, daß wir in keiner Weise abgesondert sind, noch abgesondert werden können, sondern daß wir ewiglich mit allem Guten „verknüpt“ sind. Mrs. Eddy zeigt, daß daher die allerwichtigsten Fragen eines jeden die sind: in wie weit ist er sich dieser Verbindung bewußt und wie bereitwillig und verständnisvoll macht er sie in Stunden der Not nutzbar.
Wenn Sie mit einem Freund zusammenträfen, der vielleicht über etwas Bescheid wüßte, das Ihnen nutzen könnte, und wenn kein Grund dagegen vorläge, daß auch Sie davon hörten, würden Sie sicher nicht zögern, danach zu fragen, in der Gewißheit, daß es Ihnen mitgeteilt würde. Verhalten wir uns in unserer Beziehung zu Gott ebenso vernünftig? Hier ist der Eine, mit dem wir immer gemeinsam wandern; der Eine, der uns solche Güte erweist, daß wir Ihn als Liebe erkennen; der Eine, ferner, dessen Hilfsquellen unbegrenzt sind, ja, der selbst unendliche Substanz, Intelligenz und unendliches Leben ist, und der, wie der Vater im Gleichnis, zu einem jeden von uns ewiglich spricht (Luk. 15:31): „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“
Machen wir es uns zur Gewohnheit, uns in jeder Lebenslage an diesen Freund, diesen Vater, zu wenden? Das ist eine lebenswichtige Frage, die nicht leichthin beantwortet werden sollte. Bedenken wir oft und konsequent genug die Tatsache, daß Mangel und Begrenzung nur die Folge davon sind, daß die Dinge von uns nicht so gesehen werden, wie Gott sie sieht und wie sie tatsächlich sind? Sind wir in jeder Notlage schnell genug bereit, uns zu fragen: wie sieht uns Gott? Wie sieht Er unsere Mitarbeiter und unsere Lebensumstände? Sind wir uns bewußt, daß dieser Eine — an den wir uns in jeglicher Not mit der vollen Gewißheit wenden können, daß Er ihr abhilft — keineswegs von uns getrennt ist, sondern daß Er tatsächlich unser Gemüt und unser Leben ist? Wenden wir uns an Ihn, dann finden wir die Wahrheit sowohl über uns selbst wie über Gott; wir erkennen, daß wir durch dieses Hinwenden zu Ihm nun uns selbst und was uns betrifft im rechten Lichte sehen, und zwar, als Ausdruck Seiner eigenen vollkommenen Natur.
Was Jesus über solches Gottvertrauen sagte, hätte kaum nachdrücklicher sein können. „Bittet, so werdet ihr nehmen“ sagte er (Joh. 16:24), und dann (Mark. 11:24): „Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr's empfangen werdet, so wird's euch werden.“
„Glaubet nur, daß ihr's empfangen werdet“, sagte er, und es ist leicht ersichtlich, warum er es sagte. Wir müssen selbstverständlich um das beten, wovon wir glauben und wissen, daß Gott es zu geben vermag. Wenn wir uns daher mit Erfolg an den Vater wenden, dann suchen wir nicht in erster Linie materielle Dinge; und das ist gut so. Unser Suchen wäre sonst begrenzt. Wir suchen und erstreben statt dessen ein klares Verständnis von unserer Einheit mit allem, was göttlich ist. Wenn es uns zum Beispiel an Liebe zu fehlen scheint, dann erinnern wir uns daran, daß wir in Wirklichkeit Liebe besitzen; daß wir infolge unserer Einheit mit Gott unermeßliche Liebe empfangen und sie unbegrenzt zum Ausdruck bringen; und indem wir uns diese große Tatsache zueigen machen, beweisen wir sie. Genau so verhält es sich mit der Intelligenz. Wenn wir uns beim Erlernen oder Behalten von etwas, das wir wissen müssen, gehemmt fühlen, dann wenden wir uns an das immergegenwärtige göttliche Gemüt, das alles weiß, und das, der göttlichen Natur entsprechend, uns nichts vorenthält. Durch das Verständnis von unserer Einheit mit Gott finden wir, daß uns das erforderliche Wissen zufällt, zuweilen auf eine Art, die einem nicht Unterrichteten wie ein Wunder erscheinen mag.
Dasselbe gilt für Gesundheit, Kraft, Nützlichkeit, Inspiration, Zufriedenheit — für eine jede der göttlichen Eigenschaften. Wir wenden uns an den Vater der unser Gemüt und unser Leben ist, und im Verständnis, daß wir haben, was Er hat, beweisen wir diese Tatsache auf die gerade erforderliche Art. Durch solches Streben und Suchen finden wir, wie es der Meister voraussagte, daß wir wohl versorgt sind und selbst in menschlicher Hinsicht alles Wünschenswerte besitzen.
Daraus folgt der Schluß, daß wir uns selbst begrenzen, wenn wir in der Annahme — und sei es auch nur durch Unachtsamkeit — etwas erstreben oder annehmen, das dem Reich Gottes oder Seiner Gerechtigkeit unähnlich ist, denn das Sich-an-Ihn-Wenden bedeutet, alle Ihm unähnlichen Beweggründe, Gedanken oder Charaktereigenschaften aufzugeben und zu vernichten. Alles dieser Art ist, der Annahme nach, Blindheit gegenüber der göttlichen Wirklichkeit. Haß oder auch nur Gleichgültigkeit hindern uns, Liebe zu empfinden und auszudrücken. Reizbarkeit, Unverantwortlichkeit, verantwortlichkeit, Zügellosigkeit, Apathie — alles, was dem göttlichen Gemüt und dem göttlichen Leben unähnlich ist — verdunkelt dem Menschen die so überaus kostbare Gabe, die ihm, als dem geistigen und daher wahrhaft substantiellen und unbegrenzten Ausdruck Gottes, in Wirklichkeit zugehört. Daher bedeutet es für uns einen großen Vorteil, wenn wir all unser menschliches Handeln so weitgehend wie möglich dem göttlichen Charakter angleichen, und die Art der Unterstützung erkennen, die wir in unserem Bestreben finden. Denn, wie die Heilige Schrift erklärt: indem uns der Vater zwingt, unser Heil auszuarbeiten, wirkt Er in uns zu diesem Zweck. Dadurch, daß wir die Eigenschaften Gottes als unsere eigenen anerkennen und demonstrieren, beweisen wir unsere Einheit mit Ihm.
Mrs. Eddy weist uns klar den Weg — die Art und Weise der Überwindung allen Mangels und aller Begrenzung — wenn sie schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 4): „Die einfache Bitte, daß wir Gott lieben mögen, wird uns nie dahin bringen, Ihn zu lieben; aber das Sehnen, besser und heiliger zu werden, das sich in täglicher Wachsamkeit ausdrückt, sowie in dem Streben, sich dem göttlichen Charakter immer mehr anzugleichen, wird uns modeln und neugestalten, bis wir in Seinem Gleichnis erwachen.“
