Eine der schönsten und lehrreichsten Erzählungen des Alten Testaments finden wir in dem Buch Nehemia. Hier wird uns berichtet, wie Nehemia, dem der König von Persien erlaubt hatte, nach Jerusalem zurückzukehren, die verbliebenen Juden inspirierte, ihm zu helfen, die zerstörte Stadtmauer wieder aufzubauen. In dieser Erzählung ist es besonders bemerkenswert, wie weise und beharrlich Nehemia den Lockungen und Drohungen seiner Feinde widerstand. Bei einer Gelegenheit sagte er (Neh. 6:3): „Ich habe ein großes Geschäft auszurichten, ich kann nicht hinabkommen; es möchte das Werk nachbleiben, wo ich die Hand abtäte und zu euch hinabzöge.“
Die Absicht der Feinde war, das Werk Nehemias nicht nur aufzuhalten, sondern überhaupt zu vereiteln. Nehemia, daran gewöhnt, auf Gottes Stimme zu lauschen und ihr konsequent und unbeirrt zu folgen, durchschaute die schlimmen Absichten seiner Feinde und machte sie unwirksam, indem er mit erhöhter Wachsamkeit das begonnene Werk fortsetzte und es auf diese Weise glücklich vollendete.
Geistig gesehen, drückt eine Stadtmauer Gedanken des Schutzes und der Geborgenheit aus für alles, was sich innerhalb der Mauer befindet. Der Christliche Wissenschafter ist sich immer dessen bewußt, daß er, gleich Nehemia, an dem Schutzwall seines Bewußtseins arbeitet. Er fügt Stein um Stein, Wahrheitsgedanken um Wahrheitsgedanken in diese geistige Mauer ein. Durch seine Wachsamkeit verhütet er, daß Irrtumsgedanken sein Denken in Anspruch nehmen und die wichtige Arbeit des Aufbauens eines immer bessern, geistigen Bewußtseins von Gott, dem Guten, stören oder unterbrechen. Er weib, daß solch ein geistiges Bewußtsein für seine individuelle Bekundung vollkommener Gesundheit, befriedigender menschlicher Beziehungen oder erfolgreichen Unternehmens, ja für die Harmonie seines ganzen Daseins unerläßlich ist. Und er labt sich durch keinen äußeren Augenschein, keinen widrigen Einfluß davon abhalten, nur das als wirklich und wesentlich anzuerkennen, was in Übereinstimmung mit Gott, dem Geist, dem Guten, steht.
Durch die von Mary Baker Eddy geoffenbarte Christliche Wissenschaft ist es allen Menschen möglich, sich aus den Trümmern menschlicher, irriger Annahmen zu erheben. In dem Maße, wie jemand sein Denken vergeistigt, wird ihm der Wert, die Schönheit und die Unvergänglichkeit göttlicher Ideen bewußt, sowie die Wertlosigkeit niederer, vergänglicher Annahmen, die ihm die Welt der materiellen Sinne vorhält. Und so wird er nich immer mehr dessen bewußt, daß auch er, wie Nehemia, „ein großes Geschäft auszurichten“ hat.
Mrs. Eddy erklärt im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 450): „Der Christliche Wissenschafter hat sich in den Dienst der Verminderung des Bösen, der Krankheit und des Todes gestellt und wird sie durch das Verständnis ihrer Nichtsheit und der Allheit Gottes oder des Guten überwinden.“
Ganz gleich, wie gefährlich eine Krankheit oder wie aussichtslos eine Situation zu sein scheint, der Christliche Wissenschafter verneint und verwirft die entmutigenden Einwände des Bösen. Er sieht nur auf die Stimme der Wahrheit. Er sieht nur in die geistige Wirklichkeit, in der alles gut, vollkommen, harmonisch und friedevoll ist.
Welch freudiges Beginnen, welch wahrhaft lohnende Beschäftigung ist doch ein solches von geistiger Einsicht und Wachsamkeit getragenes Bauen! Wie befriedigt kann der Christliche Wissenschafter sich dadurch fühlen! Er hat sich in die Front derer gestellt, die wie er bestrebt sind, im menschlichen Bewußtsein das uneinnehmbare Bollwerk der Wahrheit gegen den Irrtum aufzurichten.
Die Verfasserin hat den Wert und Segen einer solchen Einstellung, wie sie nur die Christliche Wissenschaft vermittelt, selbst erfahren, als sie vor einer Reihe von Jahren infolge des Verbotes der Christlichen Wissenschaft in ihrem Lande ins Gefängnis geschickt wurde und ihr wenig später die Verbringung in ein Konzentrationslager drohte. Sie ließ sich davon nicht beirren; sie nutzte die Zeit im Gefängnis, um auch dort über die Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft nachzudenken und sie auf ihre damalige Lage anzuwenden. Sie ließ sich nicht schrecken von der drohende Gefahr des Konzentrationslagers. Sie wußte, daß Gefängnis und Konzentrationslager Trugbilder waren, die in Gottes Schöpfung nicht vorhanden sind und daher keinen Bestand einer wirklichen Erfahrung bilden konnten.
In der Stille ihrer Zelle wußte sie sich eins mit Gott, denn der Mensch ist die Widerspiegelung Gottes. Sie war sich Seiner Allmacht und Güte und Immergegenwart, sowie Seiner Macht, aus jeder Notlage zu erretten und zu befreien, bewußt.
Wie eine schirmende Mauer umgaben sie diese Gedanken und bewahrten sie zugleich vor aller Furcht. Auch widerstand sie der Versuchung, Haß oder Groll gegen diejenigen zu empfinden, die sie in diese Lage gebracht hatten. Es verwunderte sie nicht, als sie eines Tages ohne einen angegebenen Grund freigelassen wurde, ohne ein Konzentrationslager gesehen zu haben.
Wie Nehemia in alter Zeit, so ließ sich auch unser großer Meister Christus Jesus niemals durch äußere Schwierigkeiten oder menschliche Drohungen an der Erfüllung seiner erlösenden Mission beirren. Auch er wußte, daß er „ein großes Geschäft auszurichten hatte“, daßer er ständig „in seines Vaters Geschäft“ sein mußte, und daß der Vater ihm Macht und Autorität gegeben hatte, aller Schwierigkeiten Herr zu werden.
Gleich ihm war Mary Baker Eddy unermüdlich tätig, um die ihr zuteil gewordene Offenbarung von der Allheit Gottes, des Guten, und dem Nichts des Irrtums durch ihre inspirierten Schriften und Lehren der Menschheit zugänglich und verständlich zu machen. Als Nachfolgerin Christi Jesu bewies auch sie durch Lehren und Heilen, daß das Freiwerden von Disharmonie jeder Art noch immer eine gegenwärtige Möglichkeit ist. Außerdem war unsere Führerin stets bestrebt, die von ihr ins Leben gerufene Bewegung mehr und mehr auszubauen und zu festigen. Sie ließ sich hierbei immer von Gott leiten. Keine menschlichen Einwände konnten sie dann schrecken oder davon abhalten, das zu tun, was sie als göttliches Geheiß erkannte. Sie füllte ihre Tage und oft auch ihre Nächte mit treuer, hingebungsvoller und gebeterfüllter Arbeit für die größte Sache, die je der Menschheit geboten wurde. Immer erfüllte sie das Bewußtsein, daß sie „ein großes Geschäft auszurichten“ hatte.
Und in ihrer Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1900 (S. 2) drückt sie die Arbeitsmethode eines Christlichen Wissenschafters mit diesen Worten aus: „Das Lied der Christlichen Wissenschaft lautet: ,Arbeite — arbeite — arbeite — wache und bete!' “ Durch diese Arbeitsweise gelangt der Christliche Wissenschafter zum Verstehen der frohen Verheißung des Propheten Jesaja (26:1): „Wir haben eine feste Stadt, Mauern und Wehre sind Heil.“