„Die Attribute Gottes sind Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Weisheit, Güte u.s.w.“ So erklärt Mary Baker Eddy auf Seite 465 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“. Als eine neue Anhängerin der Christlichen Wissenschaft diese Worte las, war sie enttäuscht über den jähen Schluß „u.s.w.“, der einer — wie es ihr schien — unbefriedigend kurzen Aufzählung von Gottes Attributen folgt. Infolge ihres Studiums von Mrs. Eddys Werken fing sie an zu erkennen, daß wir, wenn wir verstehen, was Gott ist, ebenfalls verstehen, was der Mensch ist, und daß wir dadurch einen Blick in die Wahrheit unsres Seins tun. Daher wünschte sie eine vollständige Darstellung der wesentlichen Eigenschaften Gottes zu haben.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie begriff, daß man ihr nicht erst zu sagen brauchte, was Gottes Attribute sind. Es war ihr ganz im Gegenteil sehr wichtig, selbst die Attribute Gottes — im Gegensatz zu irrigen Eigenschaften — unterscheiden zu können. Sie erkannte, daß sie das Wirkliche verstehen und vom Unwirklichen trennen lernen müsse, das Geistige vom Materiellen, das Unsterbliche vom Sterblichen. Mit Freude lernte sie verstehen, daß sie bei der Erwägung irgendwelcher wesentlichen Eigenschaften ihrer selbst oder eines andern, diese bis zu ihrem Ausgangspunkt zurückverfolgen konnte. Sie konnte sich fragen: Ist dieses wesentliche Merkmal eine Eigenschaft des göttlichen Gemüts, der Seele, des Geistes, des Prinzips, des Lebens, der Wahrheit und der Liebe — aller Synonyme Gottes? Ihre Antwort auf diese Frage würde darüber entscheiden, ob die Eigenschaft dem wirklichen Menschen, der Widerspiegelung Gottes, zugehörte.
Das Studium der Synonyme und der Attribute Gottes, wie die Christliche Wissenschaft sie offenbart, ist in Wirklichkeit ein Entfaltungsprozeß. Schritt für Schritt erscheinen dem erleuchteten Denken die herrlichen Möglichkeiten des Menschen als dem Gleichnis Gottes. Die Eigenschaften Gottes sind geistige Kräfte, lebenspendende, unzerstörbare und immergegenwärtige Energien, die beständig und unparteiisch im Menschen wirksam sind. Die Eigenschaften, die im Gegensatz zu ihnen stehen, haben keine Wirklichkeit; sie sind nichts als Täuschungen und somit kraft- und machtlos.
Infolge unseres Studiums erkennen wir allmählich immer klarer, was damit gemeint ist, daß wir „Gottes Erben und Miterben Christi“ seien (Röm. 8:17). Wir können nun nicht mehr sprechen von „meiner Güte“, „meiner Veranlagung“, „meiner Freude“, „meiner Geduld“, „meiner Gesundheit“, oder „meinem Wesen“, als seien wir die Urheber dieser Eigenschaften. Nur weil Gott gut ist, besitzen wir Güte; und wenn wir Gott widerspiegeln, dann spiegeln wir eben ganz selbstverständlich Güte wider. Unsre wahre Veranlagung — ebenso wie die unsres Nächsten — ist aus allen gottähnlichen Eigenschaften zusammengesetzt.
Freude besitzen wir völlig unabhängig von unserer Umgebung oder von materiellen Umständen, denn sie gehört dem Menschen durch Widerspiegelung zu. Geduld ist ein Element unsres wunderbaren Erbes als Kinder der göttlichen Liebe, die wir in Wahrheit sind. Gesundheit gehört Gott zu, und — durch Widerspiegelung — auch dem Menschen. Wir erleben Gesundheit in dem Maße, wie wir die Harmonie und Vollkommenheit des Geistes verstehen lernen. Es erweist sich, daß eine reiche Fülle alles Guten unser ist, wenn wir Gott als den Geber alles Wirklichen begreifen. Unser liebender Vater-Mutter Gott gibt uns alles, was jeder einzelne von uns nötig hat; doch gibt Er damit sein „Alles“ nicht auf. Es gehört Ihm noch immer zu, obwohl der Mensch es ewiglich durch Widerspiegelung besitzt.
Das Geben von seiten Gottes und das Empfangen von seiten des Menschen zeugen für die Wirksamkeit des Christus, die uns dazu befähigt, des Menschen Herrschaft über die Erde zu beweisen. Das Geben und das Empfangen geht in Gestalt von inspirierten — oder geistigen — Ideen vor sich. Wenn wir für diese Ideen empfänglich sind, so bringen sie in unser Erdendasein die Freude, Vollkommenheit, Schönheit, Fülle und den Frieden der geistigen Wirklichkeit.
Gott ist göttliche Liebe und göttliche Weisheit, und Er teilt beständig die Idee — oder Engelsbotschaft — mit, die gebraucht wird, und zwar genau in dem Augenblick, in dem wir sie nötig haben. In Wirklichkeit haben wir immer alles besessen. Die besondere Eigenschaft Gottes, welche uns Vollkommenheit und Schutz zusichert, ist bereits als ein Teil unsres wahren Seins an der Arbeit. Unser Beten zu Gott ändert den Menschen nicht, sondern macht uns nur dessen bewußt, was wir wirklich sind.
Doch wie steht es nun mit den entgegengesetzten Eigenschaften, welche die Menschheit zu erleben und als unvermeidliche Übel zu betrachten scheint? Wie steht es mit dem Haß, dem Kummer, der Verzweiflung, mit Krankheit und Armut? Woher kommen sie? Wir könnten ebensowohl fragen: „Woher kommt die Luftspiegelung, die auf der Landstraße vor dir als Wasser erscheint, und die verschwindet, wenn du näher kommst? Woher kommt der Löwe, der dich in einem Traum verfolgt?“ Die Christliche Wissenschaft macht es uns klar, daß diese Illusionen nirgendwo herkommen, weil sie nicht existieren.
Wie befähigt uns doch diese Erklärung, klar und deutlich die geistige Wirklichkeit in bezug auf Personen und Situationen zu erkennen! Da die göttliche Liebe allgegenwärtig ist, ist der Haß auf immer abwesend; und das nämliche trifft auf jede irrige Eigenschaft zu, die uns anzuhaften scheint. Falschheit, Unzuverlässigkeit, Streitsucht, Sinnlichkeit, Bosheit, Kranksein — alle ungöttlichen Eigenschaften — sind ebenso unwirklich wie die Luftspiegelung oder wie der Löwe im Traum. Solche Eigenschaften können niemals anwesend sein, da sie kein Teil von Gottes Idee oder Widerspiegelung sein können. Daher sollten wir Anspruch auf die Tatsache erheben, daß sie immerdar abwesend sind von unsrem Erleben; und wir müssen ihre Unwirklichkeit durch die Betätigung gottähnlicher Eigenschaften beweisen.
Nun sind aber schlechte Eigenschaften nicht etwa bei dir und bei mir abwesend, um dafür bei einem andern vorhanden zu sein. Da sie nicht von Gott herrühren, können sie in Wirklichkeit nirgendwo existieren. Und ebenso wie sie nirgends vorhanden sein können, können die Attribute Gottes niemals einen Augenblick abwesend sein. Es kann tatsächlich keine Abwesenheit irgendwelcher Art geben, denn alles ist wirklich Gegenwart — die Gegenwart der unendlichen göttlichen Liebe. Mrs. Eddy fragt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 287): „Da Gott überall und allumfassend ist, wie kann Er abwesend sein oder auf die Abwesenheit von Allgegenwart und Allmacht hinweisen? Wie kann es mehr als alles geben?“
Es ist also dringen notwendig, daß wir die irrige Annahme durch die immergegenwärtige geistige Wahrheit ersetzen. Es wird Hingebung von uns verlangt, damit wir irrige Charakterzüge in uns selbst und bei andern hinwegsehen, bis wir durch dieses Verhalten den wahren Charakter und die wahre Individualität ans Licht bringen. Wenn wir unser Denken solchermaßen beobachten und „alle Vernunft unter den Gehorsam Christi“ gefangennehmen (2. Kor. 10:5), dann beten wir wahrhaft ohne Unterlaß, wie die Bibel von uns fordert.
In „Wissenschaft und Gesundheit“ lesen wir (S. 275): „Alle Substanz, Intelligenz, Weisheit, alles Sein, alle Unsterblichkeit, Ursache und Wirkung gehören Gott an. Sie sind Seine Attribute, die ewigen Offenbarwerdungen des unendlichen, göttlichen Prinzips, Liebe.“ Als „Offenbarwerdungen“ müssen diese Eigenschaften durch die individuelle Idee offenbar gemacht werden. In der Christlichen Wissenschaft lernen wir mit unaussprechlicher Freude, daß Gottes Attribute ewiglich durch den Menschen kundgetan werden, durch die wahre Selbstheit eines jeden einzelnen von uns. Wir lernen verstehen, daß der Mensch nicht als ein gesondertes Wesen existiert und eine von seinem Schöpfer getrennte Persönlichkeit besitzt, sondern daß er als die ewige Offenbarwerdung Gottes besteht und die Vollständigkeit und Vollkommenheit Gottes und Seiner Schöpfung kundtut.
Wir wissen, daß Gottes Natur, wie sie durch den Menschen offenbar wird, der Christus ist, den Jesus so völlig und vollkommen durch die Zerstörung von Irrtum, Krankheit und Tod demonstrierte. Wenn wir den Christsus verstehen, so können wir Jesu Verheißung in die Tat umsetzen (Joh. 14:12): „Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere als diese tun; denn ich gehe zum Vater.“ Jesus wußte, daß die einzige Macht, die er besaß, seinem himmlischen Vater entstammte. „Ich kann nichts von mir selber tun“, erklärte er (Joh. 5:30). Gleichzeitig wies er darauf hin und bewies er, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge möglich sind, denen, die Gott als den Ausgangspunkt von jedem ihrer Gedanken und von jeder ihrer Taten begreifen und die anerkennen, daß der Mensch einzig von Gott belebt, geleitet und regiert wird.
Wenn wir uns um Verständnis und um Führung an die göttliche Quelle wenden, so haben wir die Macht, alles Gute zu vollbringen. Nichts als die Unwissenheit über unser Erbe kann uns an dieser Demonstration unsres Einsseins — oder unsres Verbundenseins — mit unserm Vater hindern. So verstehen wir unser Erbe — unser wahres Sein — und erkennen Sinn und Zweck unres Daseins: Gott durch die Widerspiegelung Seiner Attribute zu verherrlichen.
